Migration
Transnationale Chancen
[ Von Andrea Riester ]
Fast die Hälfte aller somalischen Haushalte ist auf Überweisungen von Verwandten und Freunden aus dem Ausland angewiesen. Rund 14 Prozent der Bevölkerung haben das Land verlassen. Sie schicken pro Jahr schätzungsweise 1,6 Milliarden Dollar in die Heimat. Das UNDP (2009) geht davon aus, dass 80 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in Somalia tätig sind, nur dank Investitionen aus der Diaspora gegründet werden konnten.
Fachleute sind sich darüber einig, dass Diasporagemeinschaften ökonomisch für Daheimgebliebene in Entwicklungsländern immens wichtig sind. Laut Weltbank (2009) transferierten Migranten 2008 rund 328 Milliarden Dollar in Entwicklungsländer – also rund drei Mal so viel das Gesamtvolumen der staatlichen Entwicklungshilfe weltweit. Wie wichtig die Rolle der Weggezogenen ist, lässt sich unter anderem aber auch an vielen Forschungsprojekten ablesen, die in den vergangenen drei Jahren zum Thema „Diaspora und Frieden“ angelaufen sind. Dieses Thema hatte die Transnationalismus-Forschung, die in den 1990er Jahren entstand, bislang eher vernachlässigt.
Migranten sind häufig Brückenbauer zwischen Ländern und Kulturen. Besonders wichtig, in der Fachdiskussion aber oft unberücksichtigt, ist auch der Einfluss der Frauen, die ihre Heimat verlassen haben. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie an ihrem neuen Lebensmittelpunkt oft zu einem anderen Rollenverständnis finden, selbst aber Verwandten oder Bekannten als Vorbild dienen.
In vielen Bereichen decken sich die Ziele der Diasporagemeinschaften mit denen der Entwicklungspolitik. Ihre Aktivitäten laufen jedoch parallel und sind nicht vernetzt mit EZ-Programmen. Daher beschäftigt sich die deutsche Entwicklungspolitik damit, neue Konzepte und Instrumente zu entwickeln, um das positive Potenzial von Migration für die Herkunftsländer zu fördern und die negativen Effekte zu mildern. Zu den unerwünschten Migrationsfolgen gehört beispielsweise der Brain-Drain – Fachkräftemangel durch Abwanderung.
Bisher dominieren Berichte über die Verschärfung von Konflikten durch die Diaspora die Wahrnehmung. Indessen wächst aber auch das Interesse an positiven Formen des Engagements in Krisenländern. Daher hat die GTZ im Auftrag des BMZ eine Studie über Beispiele für friedensförderndes Engagement unterschiedlicher Diasporagruppen in ihren Herkunftsländern anfertigen lassen (Fahrenhorst et al. 2009). Sie zeigt, dass positives Engagement in großer Vielfalt existiert und sich lokal entfaltet. Die Aktivitäten umfassen ein breites Spektrum der Konfliktbearbeitung:
- Early-warning und Monitoring durch detaillierte Informationen aus dem Herkunftsland,
- mäßigender Einfluss auf Konfliktparteien,
- Organisation von Dialogforen sowie
- Mitwirkung beim Wiederaufbau nach Konfliktbeendung – durch Remittances und Sachspenden, persönliches Engagement für Konfliktschlichtung, Friedenserziehung und Traumabewältigung.
Westafrikanische Bürgerkriegsopfer
Ein typischer Fall von Engagement einer Diasporagemeinschaft ist das Kindernetzwerk Sierra Leone (KNSL), ein 2003 in Berlin gegründeter Verein. Er arbeitet im südlichen Pujehun District, dessen Bewohner unter der Bürgerkriegsgewalt besonders gelitten haben.
Ziel des Vereins ist es, die in Sierra Leone herrschende Armut, mangelnde Ausbildung und Perspektivlosigkeit zu bekämpfen. Einerseits soll Kindern aus bedürftigen Familien der Schulbesuch ermöglicht werden. Andererseits soll den Gemeindebewohnern gezeigt werden, wie sie gewaltfrei mit Konfliktsituationen umgehen können. Dazu werden lokale Experten im Bereich „Conflict Management“ ausgebildet und Diskussionsforen und Vorträge zur Gemeindeentwicklung (Community Development Forum) angeboten. Um Themen wie soziale Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung und Jugendarbeitslosigkeit zu behandeln, finden Podiums- und Radiodiskussionen ebenso statt wie Schüler- und Frauenabende oder auch Filmvorführungen.
2007 richtete der Verein in Sierra Leone eine Bibliothek neu ein und bot erstmals Anfängerkurse für den Umgang mit Computern an, um Grundkenntnisse in der Nutzung des Internet sowie von Office-Programmen zu vermitteln. Zielgruppe sind junge Menschen.
Allgemeine Ergebnisse
Die GTZ-Studie zeigt klar, dass die Diaspora mindestens ebenso heterogen ist wie die Bevölkerung in ihrem Herkunftsland. Keineswegs ist „die Diaspora“ ein monolithischer Block, dessen Ziele und Interessen homogen sind. Im Gegenteil: Häufig spiegelt sich in der Diaspora die Zerrissenheit des Herkunftslandes wider.
Diejenigen, die durch Konflikte in ihren Herkunftsländern ins Ausland vertrieben wurden („conflict-generated diaspora“), setzen sich öfter für ihr Heimatland ein als Migranten, die ihr Land verlassen haben, um Arbeit zu suchen. Die unterschiedliche Haltung lässt sich teilweise mit der erlittenen Traumatisierung der Flüchtlinge erklären, deren Leben von Gewalt geprägt wurde. Auf alle Fälle muss ihre Konflikterfahrung bei der Zusammenarbeit mit ihnen berücksichtigt werden.
Gerade in Postkonfliktsituationen ist die Rolle der Diaspora als Akteur im Wiederaufbau nicht unumstritten:
- Erstens kann persönliche Betroffenheit in manchen Bereichen eher behindern,
- zweitens werden Diasporagruppen in ihren Herkunftsländern bisweilen nicht – oder auch nicht mehr – akzeptiert und
- drittens verfügt die Diaspora oft nicht über ausreichend Erfahrung im Wiederaufbau.
Es ist also eine große Herausforderung, Diasporas richtig einzuschätzen. Die Chancen der Zusammenarbeit mit Diasporagruppen, die sich für den Frieden in ihren Herkunftsländern engagieren, sind aber so zahlreich, dass sie genutzt werden sollten.
- Diasporagemeinschaften sind meistens sehr gut vernetzt. Das dient der Wirksamkeit und der Nachhaltigkeit von Initiativen.
- Dank der persönlichen Kontakte und Vertrautheit mit dem Krisenland kann die Diaspora in allen Konfliktphasen und -zonen aktiv sein.
- Mitglieder der Diaspora können auf Augenhöhe Wissen und Know-how ins Herkunftsland transferieren, welches den Partnern vor Ort neue Horizonte eröffnet.
Daraus folgt, dass Initiativen zur Zusammenarbeit mit der Diaspora langfristig angelegt werden sollten. Zudem sollten sie sich am Prinzip do-no-harm orientieren. Auf keinen Fall dürfen sie mögliche Konflikte zwischen der Diaspora und der Bevölkerung im Land verschärfen.
Wer entwicklungspolitisch sinnvoll mit Diasporagemeinschaften kooperieren will, muss sich mit Problemen und Spannungen innerhalb der Diaspora oder zwischen Diaspora und Herkunftsland auseinandersetzen.
Migrantenorganisationen in Deutschland, die sich für Frieden und Wiederaufbau in ihren Herkunftsländern engagieren, sollten sich mit anderen Initiativen vernetzen. Das Projekt- und Finanzmanagement sollte verbessert werden – sowohl in den Aufnahme- als auch in den Herkunftsländern.
Obwohl die friedensfördernden Maßnahmen der Diaspora bisher recht vereinzelt auf lokaler Ebene stattfinden, leisten sie wichtige Beiträge zu Frieden und Entwicklung in ihren Herkunftsländern. Neben dem Einsatz für Frieden und Versöhnung tragen sie insbesondere zum Wiederaufbau der Infrastruktur und zur Schaffung neuer Lebensperspektiven nach dem Ende von Kriegen und Konflikten bei.