Demokratie
Aufgeschobene Gerechtigkeit
Manche Leute glauben, sie seien im Recht, egal was sie tun. Und sie glauben, sie seien unangreifbar. General Ríos Montt, ehemals Diktator von Guatemala, ist so jemand. Während des langen Bürgerkrieges in dem kleinen Land waren von 1960 bis 1996 Gemetzel Alltag. Rund 200 000 Menschen wurden getötet oder verschwanden spurlos; viele von ihnen gehörten zu indigenen Gemeinschaften.
Die Militärs waren damals Herren über Leben und Tod. Mit einer Politik der verbrannten Erde wollten sie linken Guerrillagruppen den Rückhalt in der armen Landbevölkerung nehmen. Vor allem Maya-Dörfer wurden deshalb dem Erdboden gleich gemacht – auf Befehl von ganz oben.
Ganz oben stand Anfang der 80er Jahre General Ríos Montt. Seinerzeit gaben viele Militärdiktaturen in Lateinamerika vor, nur mit harten Bandagen gegen linke Terroristen vorzugehen. Nirgends wurden aber so viele Menschen massakriert wie in Guatemala. Menschenrechtsgruppen weisen schon lange darauf hin, dass die Massaker an den Indigenen planmäßig durchgeführt wurden und einer Genozid-Strategie entsprachen.
Dennoch dauerte es anderthalb Jahrzehnte, bis die Verantwortlichen vor Gericht standen. Als Kongressabgeordneter genoss Ríos Montt – wie andere Militärs – lange Immunität. Im vorigen Jahr schied er aus dem Parlament aus und konnte endlich angeklagt werden. Ein guatemaltekisches Gericht verurteilte ihn, der jahrelang über dem Gesetz gestanden hatte, im Mai wegen Völkermordes. Das hat Signalwirkung, selbst wenn der Oberste Gerichtshof den Fall noch einmal aufrollen lässt. Der neue Prozess soll 2015 beginnen. Das erste Urteil gibt aber all denen Hoffnung, die in anderen Ländern Strafen für frühere Militärdiktatoren fordern.
Damit ein Volk seiner Justiz vertraut, muss diese überzeugend handeln. Nach Diktaturen ist es unabdingbar, Straflosigkeit zu beenden. In Lateinamerika hat nur Argentinien direkt nach der Diktatur Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen den Prozess zu machen. 1985, nur zwei Jahre nach der Diktatur, gab es einen aufsehenerregenden Prozess, in dem die Militärjunta ebenso wie niedere Chargen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden. Später gab es Amnestien, die allerdings auch wieder aufgehoben wurden.
In den meisten anderen jungen Demokratien Lateinamerikas war das Militär zu mächtig und die Justiz zu schwach, um schnell Prozesse in die Wege zu leiten. Aber es scheint, dass die neuen Demokratien allmählich so weit erstarkt sind, dass sie die alten Seilschaften von Militär und Oligarchie herausfordern. Eine neue Generation von Staatsanwälten und Richtern stellt, unterstützt von Menschenrechtsorganisationen, ehemals unangreifbare Generäle vor Gericht.
Der Jubel, den das Urteil gegen Ríos Montt in Guatemala ausgelöst hat, ist heilsam. Die Leute wollen sagen können: „Es hat lange gedauert, aber die Gerechtigkeit hat gesiegt.“ Das macht Tote zwar nicht wieder lebendig, trägt aber dazu bei, aus einem Bürgerkriegsland eine Demokratie zu machen. Dass wegen der Entscheidung der höchsten Instanz das Urteil in Guatemala nicht rechtskräftig wurde, trübt die Freude – aber die Hoffnung ist begründet, dass der frühere Diktator nicht ungestraft davon kommen wird.
Problematisch ist unterdessen auch die Vergangenheit von Präsident Otto Pérez Molina. Während der Diktatur war er in der guatemaltekischen Armee als Standortkommandant Indizien zufolge an Orten präsent, an denen Massaker verübt wurden. Er streitet jede Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen ab und genießt als Staatschef Immunität. Das Urteil gegen Rios Montt zeigt, dass auch ihn seine Vergangenheit noch einholen kann.
Erfreulich ist derweil, dass der Oberste Gerichtshof Guatemalas entschieden hat, dass die Regierung sich bei den Opfern der Kriegsverbrechen entschuldigen muss. Das gilt besonders für die Ixil-Maya, die systematisch vernichtet werden sollten. Präsident Pérez Molina hat sich zu diesem Schritt bereit erklärt.