Internationales Recht
Konzerne klagen gegen staatlichen Klimaschutz
Der Energiecharta-Vertrag regelt die Beziehungen von mehr als 50 Ländern in den Bereichen Handel, Transit und Investitionen von Energieträgern. Er stammt aus der Zeit nach Ende des Kalten Krieges und sollte beispielsweise ausländische Investoren, die in die maroden Energiebetriebe der ehemaligen Sowjetunion investierten, vor Enteignungen schützen.
Hält sich ein Staat nicht an den Vertrag, können ausländische Unternehmen ihn vor einem privaten Schiedsgericht verklagen. Umgekehrt haben Staaten diese Möglichkeit nicht. Laut einer Studie des gemeinnützigen Vereins PowerShift mit Sitz in Berlin führt dies in der Praxis dazu, dass viele Investoren Klage einreichen – oder damit drohen – , wenn Staaten mit neuen Gesetzen das Klima schützen wollen und dadurch Investitionen in Kraftwerke gefährden.
PowerShift nennt das Beispiel der kanadischen Firma Vermilion, die Frankreich 2017 mit einer Klage vor einem privaten Schiedsgericht drohte. Die Regierung in Paris wollte die Öl- und Gasförderung schrittweise verbieten. Vermilion verantwortet mehr als Dreiviertel der französischen Ölproduktion und pochte auf seine Investorenrechte nach dem Energiecharta-Vertrag. Aus Sorge vor hohen Entschädigungszahlungen änderte Frankreich das geplante Gesetz. Nun ist die Ölförderung bis 2040 weiter möglich – eine Niederlage für den Klimaschutz, auch in einem Land mit eher geringen Ölreserven wie Frankreich.
Ein weiteres Beispiel ist der Energieversorger Vattenfall, der Deutschland auf Entschädigungszahlungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro verklagt. Die Bundesrepublik hatte nach der Fukushima-Katastrophe einen vorzeitigen Atomausstieg verabschiedet. Für Vattenfall bedeutet dies ein schnelleres Abschalten seiner Kraftwerke in Deutschland. Insgesamt haben Konzerne Staaten laut PowerShift bereits mehr als 120 Mal verklagt. Fast die Hälfte der Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.
Derzeit verhandeln die Mitgliedsstaaten über Reformen des Energiecharta-Vertrags. Fabian Flues, Referent für Handels- und Investitionspolitik bei PowerShift, sieht diese jedoch kritisch. Klimaschutz spiele in den Modernisierungsüberlegungen kaum eine Rolle. „Für uns wäre eine klare Folgerung des Pariser Klimaabkommens, dass die EU den Investitionsschutz für fossile Energieträger aussetzt“, sagt Flues. Vertragsänderungen müssen zudem von allen 53 Mitgliedsstaaten einstimmig verabschiedet werden. Doch einzelne Länder, darunter Japan, hatten bereits angekündigt, dass sie wenig Notwendigkeit für Reformen sehen.
Problematisch sind laut Flues auch die Bemühungen des Sekretariats des Energiecharta-Vertrags um weitere rohstoffreiche Mitglieder im globalen Süden, beispielsweise in Ostafrika. Diese Länder hätten von einer Mitgliedschaft keine Vorteile, könnten aber Klagen ausländischer Investoren kaum Stand halten.
Ende 2019 haben 278 zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften aus den Mitgliedsstaaten des Energiecharta-Vertrages einen offenen Brief an die Minister und Parlamente ihrer Länder sowie die Europäische Kommission verfasst. Außer dem Ende des Investitionsschutzes für fossile Brennstoffe fordern sie die Streichung des Streitbeilegungsmechanismus vor privaten Schiedsgerichten und einen Stopp für die Aufnahme neuer Mitglieder bis zu einer umfassenden Reform des Vertrages. Ein erster Fortschritt seit Erscheinen des Briefs: Ein Aufnahmestopp ist beschlossen, bis die Mitgliedsstaaten das Verfahren überprüft haben.
Quelle
PowerShift, 2019: Stolperfalle für den Klimaschutz. Wie der Energiecharta-Vertrag ambitionierte Klimapolitik gefährdet.
https://power-shift.de/wp-content/uploads/2020/02/Wie-der-Energiecharta-Vertrag-ambitionierte-Klimapolitik-gefährdet-FactSheet-1.pdf