Mobilität
Verkehrsinfarkt
Von Alan C. Robles
Wenn doch jemand täglich einen Weltmeisterschaftskampf für den berühmten Boxer Manny Pacquiao organisieren könnte! Oder jede Woche Karfreitag wäre! Dann wären die Verkehrsprobleme von Metro Manila gelöst. Die Straßen wären leer, denn die Menschen hockten entweder vor dem Fernseher oder verbrächten ein paar freie Tage außerhalb der Stadt.
Absurderweise scheint dies fast wahrscheinlicher zu sein als das, woran Experten seit langem arbeiten: einem integrativen Verkehrsmanagement für ganz Metro Manila, unabhängig von lokalpolitischem Streit. Die Eigeninteressen der Kommunalverwaltungen stehen einer Verbesserung der Lage seit Jahrzehnten im Wege.
Yves Gonzalez, Leiter der Verkehrsabteilung der Entwicklungsbehörde von Metro Manila (Metro Manila Development Authority – MMDA), fasst es zusammen: „Metro Manila hat nachts 12 Millionen Einwohner und tagsüber 15 Millionen. Es fahren also täglich drei Millionen Menschen in die Stadt, die alle diese Straßen nutzen müssen.“ Hinzu kommen weitere Millionen, die innerhalb des Ballungsraums pendeln.
Im Berufsverkehr könne das Durchschnittstempo auf der Hauptverkehrsader Epifanio de los Santos Avenue auf fünf Stundenkilometer sinken, sagt Gonzalez. In der Sommerhitze im überfüllten Bus durch die Abgase zur Arbeit zu fahren ist sicherlich nicht das schönste Erlebnis.
Die MMDA warnt, dass „die Hauptstraßen das ständig wachsende Verkehrsaufkommen nicht mehr bewältigen können“. Die Situation wird durch veraltete Verkehrsschilder, den schlechten Straßenzustand und mangelnde öffentliche Verkehrsmittel verschärft. Ein Unfall an einem der Hauptknotenpunkte kann den gesamten Verkehr stundenlang lahmlegen.
Die Regierung schätzt, dass Manilas Verkehrsstaus die Volkswirtschaft jährlich rund 2,3 Milliarden Euro kosten: wegen Produktivitätsausfällen, Krankheit, Benzinvergeudung und für die Instandhaltung der Fahrzeuge. Die Last tragen jene, die es sich am wenigsten leisten können. Einem Weltbankbericht zufolge legen Fußgänger und Pendler aus den unteren Einkommensschichten 75 Prozent der Wege durch Metro Manila zurück.
10 000 Autos im Jahr 1922
Das Verkehrsproblem in Manila ist nicht neu. In einem Roman von 1887 schildert der Nationalheld Jose Rizal, wie Kutschen in den engen Straßen der kleinen spanischen Kolonialstadt zusammenprallen. 1922 gab es dort bereits – inzwischen unter nordamerikanischer Kolonialherrschaft – 10 000 Autos, 6000 Pferdekutschen und 97 Verkehrspolizisten.
Aus dem Kolonialstädtchen ist inzwischen Metro Manila geworden, eine Agglomeration mit 16 Städten und einer Gemeinde. Die Straßen sind aber weitgehend noch die alten. Laut MMDA sind in Metro Manila derzeit 1,9 Millionen Fahrzeuge registriert, fast 15 Prozent mehr als 2008. Die Verkehrsabteilung der MMDA hat zwar inzwischen 1400 Mitarbeiter, aber wenig Geld. In diesem Jahr kann sie lediglich 1,2 Milliarden Pesos (20 Millionen Euro) ausgeben – nur 20 Prozent mehr als 1995.
Die MMDA setzt heute auf Informations- und Kommunikationstechnik (ICT). Seit 2010 twittert sie, momentan mit 180 000 Followern, und seit vergangenem Jahr bietet sie Verkehrsapps für mobile Geräte an. Außerdem kooperiert sie mit einer Radiostation bei aktuellen Verkehrsmeldungen. Die Behörde nutzt Straßenkameras, Laserkanonen und digitale Anzeigetafeln auf der Epifanio de los Santos Avenue. So soll der Verkehr besser gesteuert werden.
Gonzalez zufolge ist fehlende Information ein Hauptgrund für Staus. Wenn die Leute beispielsweise nicht wissen, dass es einen Unfall gegeben hat, können sie ihn auch nicht umfahren. Aber auch intelligentes Verkehrsmanagement ist keine ausreichende Lösung für das tatsächliche Problem – dass es zu viel Verkehr auf unzureichender Infrastruktur gibt.
Vier Probleme
Alle Versuche, das Problem langfristig zu lösen, scheiterten bisher. Die vier Hauptgründe dafür sind
– die schlecht organisierte Verwaltung,
– die Undiszipliniertheit vieler Menschen,
– ungezügelte Korruption und
– das Fehlen eines guten öffentlichen Nahverkehrs.
Die 17 Kommunalverwaltungen in Metro Manila sind sehr empfindlich, was ihre Zuständigkeiten angeht. Zudem sind sie nicht die einzigen Körperschaften, die in Verkehrsangelegenheiten etwas zu sagen haben (siehe Kasten).
Eine einzige, für den ganzen Ballungsraum zuständige Verwaltung wäre sinnvoll – aber politisch heikel. Der Leiter dieser Behörde wäre dann so mächtig, dass nur der Präsident noch über ihm stünde. Dass früher Imelda Marcos, die Frau des Diktators Ferdinand Marcos, Gouverneurin von Metro Manila war, ist auch nicht gerade zuträglich. Die Familie plünderte die Inselgruppe aus und ist den Menschen nicht in positiver Erinnerung geblieben.
Die Disziplin der motorisierten Verkehrsteilnehmer ist erbärmlich. Ein Fremder in Manila begreift schnell, dass Filipinos Verkehrsvorschriften eher als Option denn als Pflicht sehen. Sie laden, entladen und parken ihre Autos und Lastwagen, wo immer sie gerade wollen. Sie missachten Verkehrszeichen und nutzen manchmal sogar die falsche Straßenseite. Motorräder fahren oft auf Gehwegen. Diese Unbekümmertheit ist nicht nur den Fahrern zu eigen – auch Buspassagiere halten öffentliche Fahrzeuge mitten auf Straßen an, während Fußgänger dazu neigen, mal eben über eine stark befahrene Straße zu rennen. Der MMDA-Beamte Gonzalez glaubt, verpflichtende Regeln und Verkehrserziehung würden helfen. Aber mit schnellem Erfolg rechnet auch er nicht. „Zielgruppe sollten junge Leute sein, denn sie haben noch nicht so viele schlechte Angewohnheiten.“ Mit unterhaltsamen DVDs und Videos auf YouTube möchte die MMDA bald eine Bewusstseinskampagne starten.
Bremsmittel Schmiergeld
Noch schlimmer ist das Problem der Korruption. Es gibt wohl kaum philippinische Autofahrer, die noch nie Polizisten geschmiert haben. Es wird Generationen dauern, um das in den Griff zu bekommen. Gonzalez glaubt, es wäre ein guter Anfang, Verkehrspolizisten besser zu bezahlen, damit sie weniger dazu verleitet wären, Schmiergeld anzunehmen.
Korruption verschlimmert Manilas Verkehrsprobleme auch in anderer Hinsicht. Gonzalez zufolge „besitzt ein Busunternehmer mit einer Lizenz für 30 Busse meist eher um die 45 Busse“. Er kommt damit durch, weil er „die richtigen Leute besticht“. Der MMDA-Mann schätzt, dass mindestens 30 bis 40 Prozent mehr als die 200 000 registrierten öffentlichen Verkehrsmittel auf den Straßen von Metro Manila fahren. Deshalb möchte die MMDA so bald wie möglich alle öffentlichen Busse mit RFID-Chips (radio frequency identification) ausstatten lassen, um sie via GPS zu überwachen und unzulässige Busse zu identifizieren.
Doch solange die Straßen voll sind mit registrierten und unregistrierten Bussen, den berühmten Jeepneys (US-Militärfahrzeugen nachempfundene Kleinbusse mit Dieselmotor) und motorisierten Dreirädern, wird das vor allem zu Chaos und Unbehagen führen. Die Fahrzeuge sind meist überfüllt und viele so alt, dass sie fast auseinanderfallen. Aus dem Auspuff steigen schwarze Wolken. Gonzalez weiß, dass es anders sein könnte, denn „in Singapur kommt man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln überallhin, Arbeiter wie Anwälte können sie nutzen, sie sind effizient und bequem.“
Auch Manilas Bahnsystem ist nicht schlecht und ein echter Segen für viele Pendler. Aber es deckt die Stadt nicht ausreichend ab. Die Züge sind immer berstend voll, weil es zu wenige Wagen für die Passagiermassen gibt.
Man kann es den Leuten kaum verübeln, dass sie ihr eigenes Auto bevorzugen. Gonzalez zufolge will hier „niemand vom öffentlichen Verkehr abhängig sein“ – eine Beobachtung, die von einer Studie von 2007 bestätgt wird. Diese im Journal of the Eastern Asia Society for Transportation Studies erschienene Untersuchung schildert, dass die erste Wahl der Pendler das Auto ist. Im öffentlichen Verkehr bevorzugen sie den Zug. „Es ist wichtig, dass die Regierung sich darauf konzentriert, mehr Massentransportmittel in Metro Manila anzubieten“, heißt es weiter.
Gonzalez sieht das genauso: „Wir müssen das öffentliche Verkehrssystem so verbessern, dass es für die Menschen eine brauchbare Alternative darstellt.“ Ansonsten, warnt er, werden die Filipinos immer mehr Autos kaufen – „selbst, wenn sie keinen Parkplatz haben oder es nicht fahren können“. Jedes neue Fahrzeug ist eines mehr, das die Straßen überfüllt.
Ohne Koordination und Planung droht die Stadt langsam an der wachsenden Anzahl an Fahrzeugen zu ersticken, die die zu wenigen Straßen verstopfen. Und die Bemühungen der MMDA sind dann bestenfalls noch ein Rückzugsgefecht.