Entwicklung und
Zusammenarbeit

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„Das Wohlstandsgefälle ist die eigentliche Herausforderung“

Unternehmen brauchen stabile, zuverlässige und wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen, um erfolgreich zu agieren. Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen sie sich unter anderem durch Einhaltung der Gesetze und solide Geschäftsberichte. BDI-Präsident Jürgen Thumann erläutert im Interview, dass er keinen Konflikt zwischen betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen sieht. Maßnahmen der Corporate Social Responsibility dienen Ansehen und Glaubwürdigkeit von Unternehmen. Der Unternehmer, der auch die Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitik der Deutschen Wirtschaft (AGE) leitet, appelliert an Akteure aus China, Indien und Brasilien, sich klarzumachen, dass sie globale Verantwortung tragen.

[ Interview mit Jürgen R. Thumann ]

Was genau verstehen Sie unter Corporate Social Responsibility (CSR)?
CSR ist ein Konzept gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen. Das ist natürlich nichts völlig Neues, denn Unternehmen bekennen sich schon lange zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung – lokal und global. CSR nimmt die Aspekte der Nachhaltigkeit auf und stützt sich auf die drei Säulen Wirtschaft, Soziales und Umwelt. CSR-Initiativen entspringen dem Engagement des jeweiligen Unternehmens. Sie beruhen auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung.

Inwiefern sollte das Unternehmensengagement über betriebswirtschaftlich relevante Ziele hinausgehen?
Ich sehe da keinen Gegensatz. CSR ist keine Benefiz-Veranstaltung, sondern sollte immer Teil der gesamten Unternehmensstrategie sein – denn es rechnet sich wie die Investition in eine neue Anlage. Ein Unternehmer, der langfristig und vielleicht auch mal um die Ecke denkt, der sieht: CSR ist auch eine Investition in die Zukunft des Unternehmens. Es kann
die Beziehung zu den Mitarbeitern fördern, es kann das Ansehen als Zulieferer verbessern, es kann das Vertrauen der Konsumenten stärken und es kann schließlich dazu beitragen, dass ein Unternehmen als glaubwürdiger gesellschaftlicher Akteur wahrgenommen wird. Wo CSR draufsteht, sollte immer ein „Business Case“ drin sein.

Wer kontrolliert die Einhaltung der Versprechen?
Es geht hier um Taten, nicht um Versprechen. Und Taten sprechen in der Regel für sich selbst. Dennoch sind die Unternehmen sehr an der Kontrolle ihrer Ziele interessiert. Im Rahmen ihrer Managementsysteme führen sie daher ein internes Monitoring durch. Einige Unternehmen ziehen aber auch eine externe Kontrolle oder Zertifizierung vor. Welcher Weg der bessere ist, ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich.

Welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?
Für ein Unternehmen, das sich als gesellschaftlicher Akteur sieht, spielt die Zivilgesellschaft natürlich eine bedeutende Rolle. Denn gesellschaftliche Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam meistern. In der Praxis stellt sich aber oft die Frage: Wer ist eigentlich „die Zivilgesellschaft“? Denn spezifische Engagements haben immer spezifische Zielgruppen. Zum Glück bringen Unternehmen hier Erfahrungen mit. Denn die Frage, wer die Kunden sind, ist entscheidend für einen erfolgreichen Unternehmer.

Welche Rolle spielen staatliche Stellen in verschiedenen Ländern?
Unternehmen brauchen einen effektiven ordnungspolitischen Rahmen. Unternehmen funktionieren ja nicht in einem Vakuum. Es geht also um wirtschaftsfreundliche Standortbedingungen. Denn nur international wettbewerbsfähige und wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind überhaupt in der Lage, ihren Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu leisten.

Welche Rolle können und sollten Gewerkschaften spielen?
Gewerkschaften haben bei CSR keine Sonderrolle. Sie sind ebenso wie die Unternehmen ein Teil der Zivilgesellschaft. Gewerkschaften verfügen aber über ein umfangreiches Know-how in sozialpolitischen Fragen und über langjährige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Unternehmen.

Wie kann und sollte öffentlich Rechenschaft abgelegt werden?
Das zentrale Instrument, mit dem Unternehmen Rechenschaft ablegen, ist der Geschäftsbericht. Sie gehen dabei weit über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus, veröffentlichen oft eigene CSR-Berichte. Es gibt aber eine Vielzahl weiterer Kommunikationsinstrumente. Welcher Weg letztlich gewählt wird, sollte nicht zuletzt davon abhängen, welche Öffentlichkeit konkret erreicht werden soll.

Was bedeutet CSR mit Blick auf große, aufstrebende Länder wie Indien und China, in denen Korruption weit verbreitet und auf Rechtsstaatlichkeit nicht unbedingt Verlass ist?
Der gesellschaftliche Beitrag von Unternehmen kann die Aufgaben der Politik nur ergänzen, aber nicht ersetzen. Die Verantwortung, im eigenen Land, aber auch gegenüber Partnern, international für die Einhaltung sozialer Rechte und der Umweltgesetzgebung zu sorgen, liegt nach wie vor bei den Regierungen. Umso wichtiger ist: Deutsche Unternehmen leisten auf freiwilliger Basis einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung von Menschenrechten, Sozial- und Umweltstandards sowie zur Bekämpfung von Korruption. Ein Wort zur Rolle aufstrebender Länder wie China in Afrika und anderen Entwicklungsländern: Ich sehe es als wichtige Aufgabe an, bei chinesischen, indischen oder brasilianischen Akteuren Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie globale Verantwortung tragen. Zuallererst natürlich dadurch, dass sie gesetzliche Standards und internationale Regeln überall einhalten. Aber auch dadurch, dass Unternehmen aus den aufstrebenden Ländern nach und nach auch die Vorteile erkennen, die freiwilliges CSR-Engagement mit sich bringt.

Was bedeutet CSR mit Blick auf arme – möglicherweise sogar fragile – Gesellschaften, in denen rentable Investitionen kaum möglich sind?
Nicht ohne Grund fließen mehr als 90 Prozent unserer Auslandsinvestitionen in entwickelte Länder mit sicheren politischen Rahmenbedingungen und ausgefeilten Rechtssystemen. Das Problem ist weniger das mangelnde Interesse der deutschen Unternehmen an einem Engagement auf den Märkten der Dritten Welt. Oftmals sind die Risiken einfach zu hoch und die Unsicherheiten zu groß. Zur Lösung dieser Probleme sind zwei Prozesse erforderlich. Die Entwicklung der Privatwirtschaft gehört in den Bottom-up-Prozess, der den Aufbau lokaler Möglichkeiten des Wirtschaftens mit allen positiven Effekten für die Menschen und ihr möglichst friedliches Zusammenleben hervorbringt. Aber ohne den Top-down-Prozess, der die notwendigen staatlichen Strukturen und politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Handel schafft, hat der andere Prozess eine schlechte Prognose.

Wer ist für die nötige Sensibilisierung verantwortlich, wenn beispielsweise Arbeitnehmer in Entwicklungsländern kein Interesse an Gesundheits- oder Umweltschutz zeigen?
In ihrem Engagement gehen unsere Unternehmen oft über die lokalen gesetzlichen Anforderungen hinaus. Sie orientieren sich meist an deutschen Standards und verbreiten so Gesundheits- und Umweltschutz. Das ist zwar nur ein punktueller Beitrag, aber der ist wichtig und der hat einen Multiplikatoreffekt. Und wir müssen auch Geduld haben: Niedrige Standards liegen nicht an mangelndem Interesse, sondern an mangelndem Wohlstand. Das Wohlstandsgefälle ist die eigentliche Herausforderung.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.