Afrika
Kostbarer Boden
[ Von Lorenzo Cotula und Sonja Vermeulen ]
Die Bestandsaufnahme des Landverkaufs in Äthiopien, Ghana, Madagaskar, Mali und Sudan zeigt:
- Das Phänomen ist signifikant: In diesen fünf Ländern wurden seit 2004 rund 2,5 Millionen Hektar Land erworben (annähernd die Fläche Albaniens). Diese Zahl berücksichtigt große Verkäufe an heimische und ausländische Investoren, aber weder Besitzwechsel unter 1000 Hektar noch laufende Verhandlungen. Der Datensatz ist also unvollständig, die Schätzung konservativ. Die Gesamtfläche wäre weitaus größer, würden derzeit laufende Verkaufsverhandlungen mit einbezogen.
- Die Landinvestitionen haben in den vergangenen fünf Jahren zugenommen. Dabei stieg sowohl die Zahl der Vorhaben als auch der verkauften Agrarflächen. In Zukunft ist mit weiter wachsenden Investitionen zu rechnen.
- Die Kaufobjekte sind zum Teil sehr groß, mit deutlichen Unterschieden von Land zu Land – beispielsweise 452 500 Hektar Land für ein Biotreibstoffprojekt in Madagaskar, 150 00 Hektar für Tierhaltung in Äthiopien und 100 000 Hektar für ein Bewässerungsprojekt in Mali.
- Privatverkäufe kommen häufiger vor als solche zwischen Regierungen, wobei die Regierungen einiges tun, um Privatverkäufe indirekt zu unterstützen. Die staatlichen Investitionen sind bedeutend und nehmen zu.
In allen genannten Staaten machen große Ländereien nur einen kleinen Teil der nutzbaren Fläche aus. Das meiste agrarisch wertvolle Land wird bereits genutzt, zumeist von der heimischen Bevölkerung. Böden mit Bewässerungsmöglichkeiten oder in direkter Marktnähe sind besonders begehrt.
Die Hauptantriebsfedern des internationalen Investoreninteresses sind Sorgen um Nahrungssicherheit (verstärkt durch Wasserknappheit in wichtigen Investorenländern und den immensen Anstieg der Nahrungsmittelpreise im vorigen Jahr) sowie der Biotreibstoffboom. Aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle – etwa die Erwartung weiter steigender Nahrungsmittelpreise, die Industrienachfrage nach Agrarprodukten oder politische Reformen in den Empfängerländern, die das Investitionsklima attraktiver machen sollen.
Chancen ergreifen
Für die Menschen in den betroffenen Ländern birgt diese neue, rasante Entwicklung Risiken und Chancen. Höhere Investitionen können Vorteile auf der Makroebene bedeuten (Wirtschaftswachstum, höhere Steuereinnahmen) und nähren Hoffnung auf einen höheren Lebensstandard. Investoren bieten Vorteile bezüglich Kapitalausstattung, Technologie, Know-how, Infrastruktur und Marktzugang. Sie können in ländlichen Gebieten ökonomischen Aufschwung anstoßen.
Wenn das ausländische Investoreninteresse jedoch wächst und von Regierungen und Märkten bedient wird, kann die lokale Bevölkerung den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen wie Land, Wasser, Holz und Weideland verlieren. Die Annahme, dass in manchen Staaten reichlich Land zur Verfügung stehe, ist mit Vorsicht zu genießen. Häufig wird das angeblich freie Land bereits genutzt oder zumindest beansprucht – auch wenn dies offiziell nicht zur Kenntnis genommen wird, weil manche Bauern von formalen Gesetzen benachteiligt werden und kaum Zugang zu Justiz und anderen staatlichen Institutionen haben.
Die Nachfrage konzentriert sich grundsätzlich auf das beste und fruchtbarste Land. Deshalb kann selbst dort, wo es eigentlich noch unbenutztes Land gibt, der Verkauf großer Agrarflächen Vertreibung auslösen.
Ob internationale Landverkäufe letztlich Chancen eröffnen und gesellschaftliche Gefahren gemieden vermeidenwerden, hängt von den örtlichen Konditionen ab. Wie werden Risiken bewertet und abgemildert? Welche Entscheidungskriterien gibt es? Welche Geschäftsmodelle werden bevorzugt (Plantagen, Vertragslandwirtschaft, Joint Ventures, staatliche Anreize et cetera)? Wie werden Kosten und Gewinne aufgeteilt? Wer trägt die Steuerlast? Welchen Schutz gibt es vor willkürlicher Enteignung? Wer definiert welche Regeln?
Obwohl die Investitionsbedingungen in allen Staaten und Projekten unterschiedlich aussehen, weist die Analyse einiger internationaler Landdeals in den fünf genannten Staaten auf einige Gemeinsamkeiten hin:
- Landverkäufe müssen in ihrem komplexen Gesamtzusammenhang gesehen werden. Dazu gehören auch Investitionsauflagen, Infrastrukturförderung und Arbeitsplatzschaffung. Der von manchen Medien betonte „land grab“ (gieriger Griff nach Land) ist nur ein Teil des Phänomens.
- In Afrika etwa dominiert die Verpachtung, nicht der Verkauf von Land, und die Regierungen der Zielländer spielen eine wichtige Rolle.
Die Pacht und andere finanzielle Leistungen sind meist gering (in Mali und Äthiopien etwa drei bis zwölf Dollar pro Hektar im Jahr) – nicht zuletzt, weil es ohne etablierten formalen Immobilienmarkt schwer ist, Preise festzusetzen.
- Vorteilhaft für das Gastgeberland ist hauptsächlich die Verpflichtung der Investoren zu weiteren Investitionen, der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Ausbau der Infrastruktur. In den laufenden Verhandlungen wird jedoch deutlich, dass derlei nur schwer einzuklagen ist.
In vielen Ländern fehlt es an juristischen und effektiven Mitteln zum Schutz lokaler Rechte sowie zur Berücksichtigung berechtigter Interessen, etwa der Sicherung der Existenz und der Wohlfahrt der örtlichen Bevölkerung. Selbst in den wenigen Ländern, in denen irgendeine Form der Anhörung der betroffenen Menschen vorgeschrieben ist, werden diese Bestimmungen nur unzureichend befolgt. Fehlende Transparenz und mangelnde gegenseitige Kontrolle bei Verhandlungen begünstigen Korruption und führen zu Verträgen, die nicht dem öffentlichen Interesse dienen.
Zahlreiche Faktoren untergraben die Position der lokalen Bevölkerung:
- unklare Nutzungsrechte auf staatlichem Grund,
- wirre Grundbücher und unzugängliche Katasterbehörden,
- vage definierte Nutzungskriterien,
- Gesetzeslücken sowie
- die Praxis, Schadenersatz für entgangene Ernten oder Holzeinschlag zu vereinbaren, aber nicht für das Land selbst.
Den Investoren, die sich korrekt und entwicklungsfördernd verhalten wollen, fehlen klare Rahmenbedingungen und Richtlinien.
Einige Verkaufsverträge sind sehr kurz und einfach gehalten. Das gilt besonders im Vergleich zu Verträgen in anderen Sektoren – etwa dem Bergbau. Zentrale Fragen werden, wenn überhaupt, häufig nur ungenau geregelt. Das betrifft etwa Vorgaben über die örtliche Wertschöpfung, die Kontrolle und Durchsetzung von Investorenauflagen, die Maximierung des Steuereinkommens sowie die Verteilung der Steuerlast. Fragen der Nahrungssicherung in Investoren- und Gastgeberland sollten sorgfältig austariert werden.
Was geschehen muss
Das neue Interesse an Land reflektiert tief greifende ökonomische und soziale Umwälzungen weltweit, welche die Zukunft der Landwirtschaft prägen werden. Heutige Entscheidungen werden sich Jahrzehnte lang auf die Existenzgrundlage und die Nahrungssicherung vieler Menschen auswirken. Sie müssen deshalb auf strategischen Überlegungen basieren, welche die künftige Agrarproduktion, die Rolle von Groß- und Kleinbauern sowie der Funktion ausländischer Investitionen betreffen.
Bilaterale Verhandlungen nehmen derzeit deutlich zu – aber es besteht ein dringender Bedarf an öffentlicher Debatte in den betroffenen Ländern. Wenn Regierungen auf internationale Landdeals setzen, müssen sie sicherstellen, dass die Investoren ehrgeizige Projekte wirklich umsetzen werden. Vernünftige Rahmenverordnungen, geschickt gestaltete Verträge sowie stichhaltige Bewertungen der sozialen und ökologischen Folgen sind notwendig.
Staaten, die internationale Investoren willkommen heißen, müssen Anreize für Geschäftsmodelle schaffen, die die ländlichen Klein- und Kleinstbauern integrieren und die Einhaltung von Investitionsversprechen, Arbeitsplatzschaffung, Infrastrukturverbesserung, Steuerzahlung, Umweltschutz, Schutzklauseln und dergleichen mehr gewährleisten.
Manche Staaten, in denen Land veräußert wird, leiden selbst unter fehlender Nahrungssicherheit. Hier sind realistische Abmachungen nötig, um die lokale Versorgung insbesondere in Krisenzeiten sicherzustellen.
Angesichts des steigenden Interesses an Agrarland müssen viele Regierungen verstärkt daran arbeiten, die lokalen Land- und auch Gewohnheitsrechte zu schützen. Dazu ist es sinnvoll, gegebenenfalls kollektive Grundbucheintragungen zuzulassen. Außerdem muss das Prinzip der freien, informierten und rechtzeitigen Zustimmung aller Betroffenen in Verbindung mit klaren Kompensationsregeln, Rechtsberatung und soliden Verwaltungspraktiken sichergestellt werden.
Entwicklungspolitische Durchführungsorganisationen reicher Nationen können eine wichtige Rolle spielen, wenn sie mit den Investoren- und Empfängerregierungen, der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Sie sollten dazu beitragen, dass Landdeals der nachhaltigen Entwicklung dienen. Dazu beitragen können:
- Raum für öffentliche Debatten und die Unterstützung von Reformen in den Entwicklungsländern, um positive Ergebnisse zu maximieren (etwa durch größere Verhandlungstransparenz oder bessere Anreize für kooperativ Geschäftsmodelle),
- die Unterstützung der Regierungen von Entwicklungsländern in Vertragsverhandlungen verbunden mit der Stärkung der Zivilgesellschaft, die in der Lage sein muss, das Geschehen kritisch zu hinterfragen,
- Anstrengungen zum Schutz der lokalen Landrechte zu unterstützen und lokalen Gruppen bei den Verhandlungen mit Regierung und Investoren beizustehen (etwa durch kollektive Druckausübung und Rechtsberatung),
- der Austausch internationaler Erfahrungen sowie die Fortbildung von Beamten, Managern oder auch Vertretern von Vereinen und Verbänden, Mitarbeitern mit Blick auf Nahrungssicherung, Businesspläne und verschiedene agrarwirtschaftliche Konzepte jenseits des Plantagenbetriebs,
- internationale Verfahren und Verhaltenskodizes für Landinvestitionen, um die Beteiligung aller Betroffener, die Berücksichtigung der Menschenrechte und die schnelle und einfache Übertragung in nationales Recht zu gewährleisten, sowie
- die Prüfung der Bedingungen von Entwicklungskrediten für Privatinvestoren mit dem Ziel, ihnen Anreize für Wohlverhalten zu geben.