Roman
Mächtige Königin wehrt sich gegen das British Empire
Jind Kaurs Schicksal nahm drastische Wendungen. Sie kam aus einfachen Verhältnissen, wurde aber die jüngste Frau des Maharadschas Ranjit Singh. Nach dessen Tod stieg sie selbst zur Herrscherin auf und regierte an Stelle ihres Sohnes, der mit fünf Jahren Maharadscha wurde. Von den für ihre militärischen Traditionen berühmten Sikhs, die seinerzeit im Punjab dominierten, wurde sie akzeptiert und unterstützt.
Jind Kaur regierte von 1843 bis 1847, als das britische Empire nach dem Sieg über die Sikh-Armee die Kontrolle übernahm. Die Kolonialmacht trennte die Königin von ihrem Sohn Duleep und brachte sie aus Furcht vor einem möglichen Aufstand unter ihrer Führung in ein abgelegenes Gefängnis. Ihr gelang jedoch die Flucht und Nepals König gewährte ihr Asyl.
Duleep Singh blieb auch nach 1947 formell Maharadscha von Punjab, aber die Macht wurde nun von einem britischen Beamten in Lahore ausgeübt. Später schickte die Kolonialmacht den jungen Monarchen ins Exil nach England, wo ihn Queen Victoria offiziell zum Freund der königlichen Familie machte. Seine Mutter war keine Gefahr mehr und durfte ihm nach England folgen. Dort starb sie 1863 im Alter von 45 Jahren.
Die Bestsellerautorin Chitra Banerjee Divakaruni veröffentlichte 2021 ihren fiktionalen Bericht über das Leben von Jind Kaur unter dem Titel „The Last Queen“. Sie war nicht die letzte südasiatische Frau, die Macht von ihrem Ehemann oder Vater erbte. Jind Kaur ist somit eine Vorgängerin von Indira Gandhi, Benazir Bhutto oder Sheik Hasina. Diese waren Töchter von Premierministern und gelangten jeweils selbst an die Spitze von Indien, Pakistan und Bangladesch. Obwohl die Gesellschaften des Subkontinents männlich dominiert sind, spielen Familienbande eine wichtige Rolle.
Divakaruni stammt aus Kalkutta und lehrt als Professorin an der University of Houston kreatives Schreiben. Die Erfolgsautorin hat sich schon mit einer Bandbreite an Themen auseinandergesetzt – von der feministischen Neuerzählung indischer Mythen über die Erfahrungen der südasiatischen Diaspora in den USA bis hin zu Fantasyromanen für Kinder. In ihrer fiktiven Biografie von Jind Kaur hält sie sich an die grundlegenden historischen Fakten, nutzt aber ihre Fantasie, um die Gefühle und persönlichen Interaktionen der Protagonistin zu beschreiben. Dass einige der Figuren frei erfunden sind, verschweigt sie nicht.
Ein Beitrag zur Gendergerechtigkeit
Das Buch ist leicht zu lesen. Die Handlung ist nachvollziehbar, die Geschichte berührend und der historische Kontext faszinierend. Die Frage stellt sich jedoch, ob Divakarunis Erzählung auf modernen Vorstellungen von Geschlechterrollen und weiblicher Selbstbestimmung beruht, statt die Gefühls- und Gedankenwelt von Frauen im Punjab vor 200 Jahren authentisch abzubilden. So beschreibt sie zum Beispiel die Beziehung von Jind Kaur zu den anderen Ehefrauen des Maharadschas. Mit einer freundet sie sich an, und diese entschließt sich später mit Begeisterung dafür, mit ihrem toten Ehemann auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Im Roman versucht Jind Kaur sie davon abzuhalten. Die andere Maharani ist allerdings fest entschlossen und Opium sorgt schließlich für einen weitgehend schmerzlosen Flammentod.
Ob die Autorin das Selbstverständnis von Frauen in einem südasiatischen Harem des 19. Jahrhunderts zutreffend charakterisiert, ist nicht klar, aber auch nicht sonderlich wichtig. Wer einen Roman schreibt, hat die Freiheit, Ideen so zu vermitteln, wie es passt. Romane sind nicht dazu da, absolute historische Wahrheit zu präsentieren.
Divakaruni liefert ihrem Publikum eine spannende Biografie der letzten souveränen Herrscherin des Punjab. Das Buch hilft, die Erinnerung an Jind Kaur zu bewahren, und leistet somit einen wertvollen Beitrag zur Gendergerechtigkeit. Dass Frauen in der Geschichte oft wichtige Rollen spielten, bleibt oft unterbelichtet.
Buch
Divakaruni, C. B., 2021: The Last Queen. Gurugram, Haryana, HarperCollins India.
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z /D+C.
euz.editor@dandc.eu