Entwicklung und
Zusammenarbeit

Elasticsearch Mini

Elasticsearch Mini

Kommentar

Chaotisch organisierte Globalisierungskritik

Wie gut, dass nur 50 000 kamen. Hätten sich die erwarteten 150 000 Teilnehmer zum Weltsozialforum im Januar in Nairobi aufgemacht, wäre aus dem organisatorischen Durcheinander ein absolutes Chaos geworden. Inhaltlich hatte das Treffen der Globalisierungskritiker zwar viel zu bieten, insgesamt aber konnte es die Erwartungen nicht erfüllen.

[ Von Frank Kürschner-Pelkmann ]

Ursache der Enttäuschung war vor allem die mangelhafte Organisation der Großveranstaltung. Mikrofone und Verstärkeranlagen waren oft so schlecht, dass Diskussionen teilweise kaum zu folgen war. Das Pressezentrum war in einem derart desolaten Zustand, dass die Journalisten schon froh waren, wenn sie Berichte an die heimischen Medien schicken konnten. Für Frustration sorgte auch die Verlegung von Veranstaltungen in letzter Minute. Für einen angekündigten Termin zum Beispiel beanspruchten gleich drei Gruppen denselben Raum. Zu denen, die gehen mussten, gehörte eine indische Obdachloseninitiative. Der Sprecher erklärte resigniert, man sei es ja gewohnt, vertrieben zu werden, und setzte sich mit seinen Leuten auf den Boden. Die freiwilligen Organisationsteams in Nairobi waren international besetzt, die Probleme waren also nicht nur „typisch afrikanisch“.
Die organisatorischen Schwierigkeiten wirkten sich auch inhaltlich aus. Viele der spannenden und fundierten Beiträge vor allem afrikanischer Referentinnen und Referenten fanden in dem Durcheinander nicht die gebührende Beachtung. Das galt zum Beispiel für Seminare zu den Auswirkungen von Ölförderung und Bergbau in Afrika. An Beispielen wurde vermittelt, warum so wenig von den reichlich fließenden Einnahmen bei der lokalen Bevölkerung ankommt und wie dadurch soziale Konflikte verschärft werden. Oft zum ersten Mal trafen sich hier Initiativen aus rohstoffreichen Ländern wie Angola und Sierra Leone. Sie verabredeten, künftig eng zusammenzuarbeiten. Erfreulich war auch, wie afrikanische Menschenrechts-, Frauen- und Umweltgruppen ihre Themen in das globale Treffen einzubringen vermochten, zum Beispiel Migration und HIV/AIDS. Besonders auffällig war das große Engagement von Kirchen sowie kirchlichen Hilfswerken und Initiativen.

Aber es gelang in Nairobi nicht, die Themen und Einsichten der mehr als 1200 Veranstaltungen miteinander zu verknüpfen. Es ließ sich deshalb kein Einblick in die Breite der globalisierungskritischen Debatte gewinnen. Verstärkt wurde die Zersplitterung dadurch, dass es keine charismatischen Persönlichkeiten gab, die das Treffen prägten. Redner wie der frühere sambische Präsident Kenneth Kaunda blieben umstritten, und über den Auftritt von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu erfuhren viele erst hinterher aus der Zeitung. Andere prominente Sprecherinnen und Sprecher der globalisierungskritischen Bewegung wie Vandana Shiva aus Indien sind in Afrika weitgehend unbekannt. Sie erhielten keine Vorschusslorbeeren, sondern bekamen erst dann Beifall, wenn sie etwas Fundiertes sagten.

Manche Latinos und Europäer kritisierten, in Nairobi hätten die großen Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt mit ihrem Geld und ihren logistischen Erfahrungen die basisorientierten sozialen Bewegungen an den Rand gedrängt. Die Kritik ist nur teilweise berechtigt. Denn ohne die vielen Programmangebote internationaler Hilfswerke und Stiftungen wäre die Frustration der Besucher wahrscheinlich noch größer gewesen. Die Zivilgesellschaft in Afrika ist anders als in Lateinamerika oder Indien kaum durch schlagkräftige Massenbewegungen geprägt. Dafür gibt es eine Vielzahl kleinerer Gruppen und Initiativen – und die fanden in Nairobi durchaus ein Forum.

Als Gegenstand von Analysen und Konzepten waren die Armen auf dem Weltsozialforum stets präsent, aber das nächste Slumgebiet schien Welten entfernt vom gut gesicherten Veranstaltungsgelände. Als einige hundert Slumbewohner auf Druck südafrikanischer Aktivisten kostenlos auf das Gelände durften, verwandelten sie es in einen afrikanischen Markt. Ein Dialog mit den Gästen hingegen blieb weitgehend aus. Die sozialen Bewegungen, die das globale Treffen tragen, haben sich nach den Erfahrungen in Nairobi erst einmal eine Denkpause verordnet: Im kommenden Jahr wird es kein Weltsozialforum geben.