Mexiko

Vermisste

Mexikos Drogenkrieg hat entsetzliche Folgen. Laut dem Länderbericht 2018 von Human Rights Watch verschwanden 32 000 Menschen zwischen 2006 und 2017, Opferverbände sprechen von aktuell sogar mehr als 35 000. In vielen Fällen sind staatliche Sicherheitskräfte am „Verschwindenlassen“ beteiligt – es sind aber erst 12 Menschen deswegen verurteilt worden.
Gedenken an die Opfer des mexikanischen Drogenkriegs. picture-alliance/AP Photo Gedenken an die Opfer des mexikanischen Drogenkriegs.

International erregte die Entführung von 43 Studenten aus Ayotzinapa im September 2014 das meiste Aufsehen. Ihr Schicksal ist nach wie vor ungeklärt. Nach Behördenangaben wurden die Leichen verbrannt. Doch die Angehörigen der Opfer haben gute Gründe, dieser Version der Geschichte nicht zu trauen. Die Studenten sind nicht wieder aufgetaucht.

Wegen der weitgehenden Untätigkeit der Behörden machten sich Organisationen, die Angehörige anderer Vermisster vertreten, im ganzen Land auf die Suche nach den Verschwundenen. Zum Teil gruben sie selbst von Hand in der Erde. Sie fanden zahlreiche Massengräber, so dass die offizielle Zahl der in Mexiko registrierten Massengräber nun bei 1,307 liegt. Einige sterbliche Überreste konnten identifiziert werden, viele andere aber nicht.

Human Rights Watch weist außerdem auf außergerichtliche Tötungen und zunehmenden Machtmissbrauch durch Sicherheitskräfte hin. Bei einer Umfrage gaben demnach 58 Prozent aller Gefängnisinsassen an, gefoltert worden zu sein. Die allgemeine Menschenrechtslage hat sich verschlechtert. Erpressung, Menschenhandel und Sklaverei gehören zur Arbeitsweise der Drogenkartelle. Journalisten und Politiker sind in Gefahr und Korruption und Straflosigkeit weit verbreitet.

Ein Problem, über das wenig gesprochen wird, ist die interne Vertreibung. 2016 registrierte die Nationale Menschenrechtskommission 90 000 Vertriebene aufgrund von Gewalt. Andere Quellen zählen mehr als 300 000 Vertriebene in den Jahren 2009 bis 2017.

Fortschritte sind kaum zu verzeichnen. Polizisten sind schlecht ausgebildet und schlecht bezahlt. Obendrein arbeiten sie ohne ausreichende Sicherheitsausrüstung und Bewaffnung. Ihre persönliche Sicherheit – und die ihrer Familien – hängt davon ab, dem organisierten Verbrechen nicht in die Quere zu kommen. Die Gefahren sind sehr real, und in manchen Dörfern hat die Polizei kein Personal.

Erschwerend kommt hinzu, dass manche Einheiten heimlich mit den Kartellen kooperieren. Das Überleben der Beamten hängt oft davon ab, in einem Bandenkrieg den Sieger zu erraten. Zugleich haben die Gangster aber auch die nötige Finanzkraft, um Staatsdiener zu bestechen. Tom Wainwright, ein ehemaliger Mexiko-Korrespondent des Economist, hat das in seinem Buch „Narconomics“ sorgfältig beschrieben (zur Besprechung des Buchs siehe Beitrag von Hans Dembowski in E+Z/D+C e-Paper, Schwerpunkt).

Jedenfalls begehen die Sicherheitskräfte selbst ­Menschenrechtsverletzungen, führen willkürliche Aktionen durch und machen Fehler, die Unschuldige das Leben kosten. Ihr Image in der Gesellschaft hat großen und möglicherweise irreparablen Schaden genommen. Es ist bezeichnend, dass die Menschen nicht wissen, was sie von der Aussage des Drogenbosses Joaquín „El Chapo“ Guzmán halten sollen, der in New York vor Gericht steht. Er sagte, die beiden vorigen Präsidenten Felipe Calderón Hinojosa und Enrique Peña Nieto seien mit viel Drogengeld geschmiert worden. El Chapo könnte natürlich lügen – aber ist das sicher? (vm)


Quelle
Human Rights Watch, 2018: Länderbericht Mexiko (auf Englisch und Spanisch)
https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/mexico