Mikrofinanz

Dem Sturm trotzen

Auch bei den jüngsten globalen Turbulenzen kamen die auf Spargeldern basierenden Mikrofinanzinstitutionen auf Bali gut weg. Bereits die Asienkrise in den späten 90er Jahren konnte ihnen kaum etwas anhaben.


[ Von Hans Dieter Seibel und Ketut Nurcahya ]

Vor der globalen Krise im vergangenen Jahr war der globale Mikrofinanzsektor über drei Jahrzehnte hinweg schnell gewachsen. Experten befürchten nun, dass die internationale Kreditknappheit den Mikrofinanzinstitutionen (MFI) schaden könnte. Die Denkfabrik Consultative Group to Assist the Poor (CGAP) etwa berichtete, dass „es für viele MFI schwieriger geworden ist, Gelder zu erhalten, und dass ihre Mikrokredit-Portfolios stagnieren oder schrumpfen” (CGAP, 2009).

Viele der MFI, um die CGAP besorgt ist, wurden aber auch übermäßig von internationalen Gebern und Investoren unterstützt. Unabhängige MFI fallen weniger auf, sind aber auch weniger den Höhen und Tiefen des internationalen Finanzmarkts unterworfen. Die lokalen Sparkassen in Indonesien sind wenig anfällig für globale Risiken – die Finanzkrise scheint sie kaum zu betreffen. Besonders auf Bali gibt es viele selbständige lokale Spar- und Kreditinstitutionen.

Kultur und Governance

Die indonesische Mikrofinanz hat eine über hundertjährige Geschichte, richtig in Schwung kam sie aber erst in den frühen 80er Jahren. Angesichts des rapide fallenden Ölpreises deregulierte das Suharto-Regime die Zinssätze, schaffte Kreditobergrenzen ab und schränkte Liquiditätszuschüsse an staatliche Banken drastisch ein. Das führte zu einer Expansion des Bankensektors, verschiedene Sparkassenmodelle entstanden – darunter auch die Mikrobankeinheiten (MBUs) der Bank Rakyat Indonesia sowie ländliche Kleinbanken. Auf Bali entwickelte sich ein neues System lokaler Finanzinstitutionen, das sich erheblich von denen aus anderen Teilen Indonesiens unterscheidet.

In Bali herrschen zwei verschiedene Systeme vor. Eines ist säkular und Teil des indonesischen Staates: eine in verschiedenen hierarchischen Bürokratieebenen verwaltete Provinz. Das andere System ist kulturell geprägt und religiös: Eine Hindu-Insel in einer vorwiegend muslimischen Nation, die sich in traditionellen Dörfern (“desa pakraman”) und kleinen Gemeinden (“banjar”) organisiert. Beide Strukturen reichen über die des administrativen Dorfes („desa dinas“) hinaus.

Balis lokale Sparkassen heißen Lembaga Perkreditan Desa (LPD). Sie wurden 1985 auf der Ebene der traditionellen Dörfer gegründet und haben die Selbsthilfegruppen auf Banjarebene weitgehend ersetzt. Diese Dörfer besitzen, finanzieren und leiten die LPDs; sie sind zu einem integralen Bestandteil der balinesischen Kulturgeworden. Das letzte Wort haben die alteingesessenen Gemeindemitglieder („krama ngarep“) als die höchste Autorität.

Anfangs ging es darum, funktionierende MFI zu schaffen und zugleich die traditionellen Dörfer als Zentrum der balinesischen Kultur zu stärken. Im Gegensatz zu den ländlichen Banken und den MBU der Bank Rakyat Indonesia werden die LPDs nicht von der Zentralbank reguliert, sondern unterstehen Balis Provinzregierung.

Die LPDs sind Dorfbanken, auch wenn sie nicht so genannt werden dürfen. Balis Regierung widerstand dem Versuch, sie zu regulären Banken zu machen, und die Zentralbank erkannte sie schließlich als eigenständige Finanzinstitutionen unter balinesischem Recht an.
Balis Finanzlandschaft ist daher von einigen Eigenheiten geprägt:
– Bestimmung der gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Provinzebene,
– Management und Leitung durch die traditionellen Dörfer selbst, sowie
– jährliche finanzielle Zuwendungen der LDP an das traditionelle Dorf.

Derzeit gehören 1356 von Balis 1433 traditionellen Dörfern zum LPD-Netzwerk. Die LPDs erreichen daher quasi alle, und es gibt sie auch überall. Durchschnittlich besitzt jede Familie 1,5 Spar- und Festgeldkonten. Fast jede zweite Familie hat einen Kredit aufgenommen.

Die LPDsarbeiten mit Spargeldern, bei einem Verhältnis von Einlagen zu Krediten von 118 Prozent. Im Jahr 2008 überstiegen die Sparguthaben und das Eigenkapital zusammen die Kredite um 45 Prozent. Der Überschuss wird bei der Bank Pembangunan Daerah Bali (BPD) – der Entwicklungsbank der Provinz – deponiert.

Insgesamt ist das Ganze sehr erfolgreich. Dennoch gibt es auch Herausforderungen, die vor allem mit fehlender Aufsicht zu tun haben und damit, dass es sehr viele kleine Dörfer mit sehr kleinen LPDs gibt. Grob geschätzt arbeitet eine von sechs LPDs nicht ordnungsgemäß. Anfang 2009 wurden 56 als „notleidend“ eingestuft, 110 als „unsolide“ und 49 als „wenig solide“. Unter diesen befinden sich einige inaktive winzige Kassen, die nicht geschlossen werden, weil jedes traditionelle Dorf ein Recht auf eine eigene LPD hat. Von den übrigen 1141 LPDs wurden 1000 als „solide“ und 141 als „ziemlich solide“ eingestuft.

Die Probleme sollten dennoch nicht überbewertet werden. Fallstudien zeigten, dass ruhende LPDs schnell reaktiviert werden konnten, wenn ihr traditionelles Leitungsgremium sich dazu entschlossen hatte. Selbst Kredite, die seit Jahren überfällig waren, wurden zurückgezahlt. Jeder hätte Angst, vor die Dorfversammlung berufen zu werden Zudem würde sich das nach balinesischem Glauben negativ auf das Karma einer Person auswirken.

Sowohl die LPDs als auch die Mikrobankeinheiten der BRI sind von der Krise verschont geblieben. Schon der Kollaps des indonesischen Bankensektors 1997/98 hatte keine größeren Auswirkungen auf sie. Vielmehr gingen beide Modelle aus dieser Zeit sogar gestärkt hervor, da sie zusätzliches Spargeld bekamen, die Kreditwünsche ihrer Kunden weiter erfüllten und gute Gewinne erzielten.

Zwischen 1996 und 1999 wuchs die Zahl der LPD-Sparkonten um 46 Prozent, verglichen mit 29 Prozent in den drei Jahren zuvor. Sparer vertrauten den LPDs offenbar. Dagegen fiel zwischen 1996 und 1999 die Zahl der Kreditnehmer um ein Prozent, nachdem sie in den drei Jahren zuvor um 43 Prozent gestiegen war. Während der Asienkrise wurde also mehr gespart als geliehen. Eine Erklärung dafür war, dass „Kreditnehmer während der Finanzkrise keine profitablen Investitionsmöglichkeiten fanden“ (Holloh 2000: 7).

Die Terroranschläge auf Bali 2002 und 2005 beeinträchtigten – zusätzlich zur politischen Dimension – auch die lokale Wirtschaft, besonders in Touristengebieten. Einzelberichten von zehn LPDs zufolge hatte der erste Bombenanschlag die größten Folgen. Die Kreditnachfrage ging zurück und einige Kredite mussten neu festgelegt werden, wurden aber letztlich zurückgezahlt. Der zweite Bombenanschlag wirkte sich dagegen nicht spürbar aus.

2008, im ersten Jahr der globalen Finanzkrise, stieg die Zahl der Kreditkonten um 3,5 Prozent, die der Sparkonten um 3,6 Prozent. Diesmal unterschieden sich Kreditnehmer und Sparer nicht in ihrem Verhalten, was darauf hindeutet, dass die Kreditnehmer immer noch an Investitionsmöglichkeiten und ihre Rückzahlungsfähigkeit glaubten. Die Bilanzsumme stieg um 30 Prozent, das Kreditportfolio um 30,5 Prozent, die Spareinlagen um 33 Prozent und das Eigenkapital um 18 Prozent.

Auffallend war aber, dass der Anteil der säumigen Kredite 2008 weit niedriger lag als in den Jahren zuvor. Monatliche Zahlen für die Zeit von Dezember 2007 bis August 2009 zeigen, dass der Anteil der überfälligen Kredite von rund 12 Prozent in den ersten sechs Monaten zurückging und ab Oktober 2008 unter 11 Prozent lag. Im August 2009 betrug er 10,5 Prozent. Die globale Krise spiegelt sich in dieser Statistik nicht.

Eine nachhaltige Alternative

Die globale Finanzkrise hat dem LPD-System nicht geschadet. Es gibt auch keinen Hinweis auf negative Folgen für ihre Kunden, die Mehrheit der balinesischen Haushalte. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studie über die Mikrobankeinheiten der BRI. Wie schon während der Asienkrise 1997/98 blieben diese MFI unerschüttert.

Forschungsergebnisse aus Vietnam legen ebenfalls nahe, dass lokale Sparkassen in Zeiten regionaler oder sogar globaler Krisen sehr widerstandsfähig sind (Seibel und Nguyen, 2009). Lokale Selbstständigkeit ist einiges wert. Für Geber, die Mikrofinanzierung fördern wollen, könnte es hinsichtlich der Nachhaltigkeit daher sinnvoller sein, die MFI in ihrer Fähigkeit, Spargelder zu mobilisieren, zu stärken, als direkt Gelder zu investieren.