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Ernährung

Big Food erobert Schwellen- und Entwicklungsländer

Eine Handvoll Großkonzerne wie Nestlé, Unilever, Mars oder Danone kontrollieren den weltweiten Markt für Lebensmittel und Getränke. Thomas Kruchem, der die Konzerne als „Big Food“ bezeichnet, kritisiert diese in einer kürzlich erschienen Publikation scharf. Big Food suggeriere einen gesunden und modernen Lebensstil, mache stattdessen aber Menschen krank.
Großkonzerne fördern ungesundes Ess- und Trinkverhalten in Entwicklungsländern: Verkaufsstand in Neu-Delhi. Stefan Mauer/picture-alliance/dpa Großkonzerne fördern ungesundes Ess- und Trinkverhalten in Entwicklungsländern: Verkaufsstand in Neu-Delhi.

Das Kerngeschäft und die Existenzgrundlage von Big Food ist das sogenannte Junkfood, industriell gefertigte Lebensmittel, die fast nur aus Zutaten wie Fett, Stärke, Zucker, Salz, Geschmacks-, Konservierungs- und Farbstoffen bestehen (sogenannten „leeren Kalorien“). Während der Absatz von Junkfood in den Industrieländern stockt, vermarkten die Konzerne ihre Produkte laut Kruchem inzwischen besonders aggressiv in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Der Autor wirft den Unternehmen Verbrauchertäuschung vor: Betörend attraktive Verpackungen, Träume weckende Fernsehspots und Elterngefühle missbrauchende Gesundheitsversprechen verleiteten zum Kauf von krankmachenden Lebensmitteln. Die Werbung suggeriere, industriell hergestellte Lebensmittel seien hochwertiger als Speisen, die der Konsument aus frischen Zutaten selbst zubereitet. Industrienahrung schmecke besser, sei Ausdruck eines modernen Lebensstils, erspare Arbeit und Zeit. Zudem sei sie oft sogar billiger als frische Lebensmittel.

Der rapide zunehmende Junkfood-Konsum habe aber dramatische Folgen für die Gesundheit der Menschen, erläutert Kruchem in „Am Tropf von Big Food“. Übergewicht und Fettleibigkeit verbreiteten sich explosionsartig. Nach jüngsten Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich die Zahl der übergewichtigen Kinder in den letzten 40 Jahren mehr als verzehnfacht; 124 Millionen der Fünf- bis 19-Jährigen seien adipös, 213 Millionen übergewichtig. Mit der Expansion von Big Food werden diese Zahlen noch weiter steigen.

Übergewichtige Kinder hätten mit vielen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, betont der Autor: Sie litten häufig unter Störung der Skelett- und Muskelentwicklung. Außerdem sei ihr Risiko für Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen im Erwachsenenalter drastisch erhöht. Hinzu kämen psychische Probleme wie geringes Selbstwertempfinden, soziale Ausgrenzung und Depressionen.

Insgesamt habe sich die Zahl der Diabetiker weltweit zwischen 1980 und 2016 nahezu vervierfacht. Mittlerweile sei weltweit jeder elfte Erwachsene Diabetiker; 80 Prozent der Erkrankten lebten in Entwicklungs- und vor allem in Schwellenländern wie Indien, China, Mexiko oder Südafrika. Sowohl die Gesundheitseinrichtungen als auch die Gesellschaften der betroffenen Länder seien mit dieser Pandemie völlig überfordert, erklärt Kruchem. Zahllose Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern siechten jahrelang mit Diabetes-Folgeschäden wie Herz-Kreislauf-Problemen, Schlaganfällen oder Amputationen dahin, meist ohne ärztliche Behandlung, denn die chronisch unterfinanzierten öffentlichen Gesundheitssysteme konzentrierten sich fast ausschließlich auf akute Erkrankungen.

Die Nahrungsmittelkonzerne scheuten auch nicht davor zurück, internationale Hilfsorganisationen (NGOs) vor ihren Karren zu spannen, kritisiert der Autor. Viele NGOs ließen sich auf fragwürdige Kooperationen mit Unternehmen ein, weil sie händeringend Gelder brauchten. Dabei gerieten sie zunehmend in Interessenkonflikte. Die Nahrungsmittelindustrie hingegen profitiere vom „guten Ruf“ von Organisationen wie dem Kinderhilfswerk UNICEF und dem Welternährungsprogramm (WFP). Systematisch erobere Big Food Sitze in Gremien der WHO oder der Welternährungsorganisation (FAO) und nehme so Einfluss auf die globale Gesundheits- und Ernährungspolitik.

Als einen der größten Türöffner für die Nahrungsmittelindustrie in Märkte armer Länder sieht Kruchem die Global Alliance for Improved Nutrition (GAIN). Diese 2002 gegründete Stiftung, die unter anderen von der Gates-Stiftung finanziert wird, widmet sich dem Kampf gegen Mangelernährung und konzentriert sich auf die Anreicherung von Nahrungsmitteln mit Mikronährstoffen. Dies erlaube der Industrie, ihr mit Nahrungsergänzungsmitteln angereichertes Junkfood als gesund zu verkaufen.

Um krankmachendes Junkfood zurückzudrängen, brauche es nach Ansicht Kruchems einen gemeinsamen Willen und eine konzertierte Aktion von Konsumenten, Zivilgesellschaft, Regierungen, UN-Organisationen, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie der Wissenschaft.


Buch
Kruchem, T., 2017: Am Tropf von Big Food – Wie die Lebensmittelkonzerne den Süden erobern und arme Menschen krank machen. Bielefeld: transcript Verlag.