Seerecht

Philippinische Kursänderung

Staaten kontrollieren die Gewässer vor ihren Küsten. Aus Sicht der chinesischen Regierung jedoch gehört fast das ganze Südchinesische Meer zur Volksrepublik. Die Chefs südostasiatischer Länder waren bislang anderer Meinung – die philippinische Regierung unter dem neuen Präsidenten Rodrigo Duterte gibt sich nun jedoch seltsam ambivalent.
Die chinesische Küstenwache greift philippinische Fischer in der Nähe des Scarborough-Riffs auf, auf das historisch beide Länder Anspruch erheben. picture-alliance/AP Photo Die chinesische Küstenwache greift philippinische Fischer in der Nähe des Scarborough-Riffs auf, auf das historisch beide Länder Anspruch erheben.

Noch vor rund einem Jahr, unter der Regierung von Benigno Aquino, folgte die philippinische Diplomatie einem klaren, stetigen Kurs. Manila rief ein internationales Gericht an, um zu entscheiden, ob China Anspruch auf Kontrolle des gesamten Südchinesischen Meeres hat. Die Regierung Aquino bestand im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens (UNCLOS) auf einem Schiedsgerichtsverfahren. Die Streitigkeiten sollten in einem multilateralen Rahmen geregelt und Beziehungen zu anderen Ländern aufgebaut werden, die ebenfalls von den maritimen Übergriffen Pekings betroffen sind.

Dieses Vorgehen war recht erfolgreich. Im Juli vergangenen Jahres entschied ein UNCLOS-Tribunal in Den Haag zugunsten der Philippinen. Doch Peking akzeptierte den Entscheid nicht: Das kommunistische Regime beruft sich auf eine alte Karte des Südchinesischen Meeres und beansprucht die Hoheit über das gesamte Gebiet innerhalb der sogenannten Neun-Striche-Linie. Diese erstreckt sich entlang der Küste Vietnams nach Malaysia und im Norden bis zu den östlichsten Inseln der Philippinen. Die Linie ist nicht genau definiert, aber sie verletzt eindeutig die von UNCLOS definierten ausschließlichen Wirtschaftszonen mehrerer Länder.

Bisher haben alle betroffenen Regierungen die territorialen Ansprüche Chinas abgelehnt. Aber neuerdings schlingert Manila. Die neue Regierung ignoriert, dass die Philippinen das Schiedsverfahren gewonnen haben, wirft sich Peking an den Hals und brüskiert damit seine bisherigen Verbündeten.

Grund ist die Wahl Rodrigo Dutertes zum Präsidenten, dem blutrünstigen, populistischen Ex-Bürgermeister von Davao City (siehe hierzu auch Artikel in E+Z/D+C e-Paper 2017/02). Im Wahlkampf bezog er keine klare Position zum Streit um das Südchinesische Meer, sondern schlingerte umher. Beispielsweise schwor er, notfalls mit Jet-Skis zu den umstrittenen Felsen zu fahren und dort eigenhändig die philippinische Flagge zu hissen.

Kaum im Amt, änderte er seine Außenpolitik jedoch. Wiederholt beleidigte er die USA, nannte den damaligen Präsidenten Barack Obama einen „Hurensohn“ und drohte, alle Sicherheitsabkommen mit der Supermacht außer Kraft zu setzen. Dafür kuschte er in Peking vor der kommunistischen Führung. Ohne die Streitigkeiten um das Südchinesische Meer zu erwähnen, sagte er zu seinem Pendant Xi Jinping: „Das ist der Frühling unserer Beziehung.“ Es sei an der Zeit gewesen, sich von den USA zu verabschieden. Duterte versprach der chinesischen Führung: „Ich werde für immer von euch abhängig sein.“

Das war Musik in den Ohren der Gastgeber. Duterte kehrte reich beschenkt heim: Darlehen in Milliardenhöhe, Vereinbarungen bezüglich Handel, Investitionen und Sicherheit, Versprechen zur Finanzierung von Infrastruktur sowie die Ankündigung von Flugzeugladungen von chinesischen Touristen und Investoren.

Es wird heftig darüber spekuliert, warum er diese spektakuläre diplomatische Wende vollzogen hat. Eine Vermutung ist, dass Duterte die USA hasst, weil er einst kein Visum bekommen hat. Man munkelt auch, China habe heimlich seinen Wahlkampf unterstützt oder biete dem kranken 71-jährigen Präsidenten eine gute medizinische Versorgung.

Die wohlwollendste Interpretation seines Kurswechsels ist, dass Duterte den gerissenen Filipino spielt, der sich in alle Richtungen absichert und dabei zwei Mächte gegeneinander ausspielt. Tatsächlich hat er trotz seiner rhetorischen Aussetzer bislang die Sicherheitsabkommen mit Washington nicht angetastet, und er macht auch keine Anstalten, die fünf US-Militärstützpunkte auf den Philippinen zu schließen.

So gesehen, spielt Duterte ein heikles Spiel. China ist keinen Schritt davon abgerückt, dass ihm „unbestreitbar“ das ganze Südchinesische Meer gehöre, wie es die „Neun-Striche-Linie“ vage definiert. Peking hat zudem nie geklärt, wie weit die Striche von der Küste entfernt sind. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Linie die ausschließliche Wirtschaftszone der Philippinen durchkreuzt und sehr nahe an der Küste von Luzon verläuft, der wichtigsten und bevölkerungsreichsten Insel des Archipels.


Militärische Dimensionen

Die Frage ist von großer geostrategischer Bedeutung. China hat sich Felsen und Riffe im Meer unter den Nagel gerissen und begonnen, sie zu Inseln mit militärischen Anlagen auszubauen. Laut US-Militär könnten die neuen Stützpunkte bald bis oben hin mit Raketen ausgestattet sein – und die befahrenste Seestraße der Welt in eine Art chinesischen See verwandeln. Die US-Marine beobachtet das Ganze entsprechend aufmerksam.

Einige Filipinos halten es für das Beste, das Gebiet einfach aufzugeben, da die Philippinen ohnehin nicht in der Lage wären, sich gegen China zu verteidigen. Sie verkennen, dass es ein Unterschied ist, ob sich jemand eines Gebietes bemächtigt, oder ob es ihm freiwillig überlassen wird. Wenn Manila jetzt nachgibt, wird es künftig sehr schwer sein, chinesische Besitzansprüche an das Südchinesische Meer anzufechten.

Zudem ist denen, die so argumentieren, nicht bewusst, was auf dem Spiel steht. Der Historiker und Philippinen-Spezialist Alfred McCoy von der Universität von Wisconsin-Madison rät zu einem „Blick auf die Karte“ und betont, dass die ausschließliche Wirtschaftszone der Philippinen im Südchinesischen Meer „etwa einem Drittel des bestehenden Hoheitsgebiets des Landes“ entspricht. Auch seien dies die „reichsten Fischgründe“, die künftige Generationen mit Eiweiß versorgen werden.

McCoy warnt die Filipinos davor, auf die Fischgründe und die unter dem Meer gespeicherten Kohlenwasserstoffvorkommen zu verzichten. Das Wirtschaftswachstum könne darunter leiden. Der Wissenschaftler hält Dutertes Vorgehen für ein „gefährliches Spiel“, denn mit seinem Kotau vor China beunruhige er philippinische Nationalisten. Der UNCLOS-Rechtssieg war wichtig, meint McCoy, doch der neue Präsident habe ihn praktisch außer Kraft gesetzt.

Dutertes außenpolitischer Kurswechsel stellt eine drastische – und wohl lange überfällige – Abkehr von der bisherigen Unterwerfung unter die USA dar. Andererseits merkt Manila nun, dass sein neuer bester Freund ebenfalls sehr fordernd sein kann.

Ende Februar sagte Dutertes Außenminister Perfecto Yasay Reportern: „Wir widersprechen dem Festhalten der Chinesen an der Neun-Striche-Linie vehement.“ Und weiter: „Wenn China uns angreift, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu verteidigen und sicherzustellen, dass unsere souveränen Rechte anerkannt werden.“ Yasay sagte auch, ASEAN sei besorgt über Chinas Militarisierung der künstlichen Inseln.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Peking sagte die geplante Reise seines Handelsministers nach Manila ab, bei der er Verträge für 40 Milliardenprojekte hätte unterzeichnen sollen. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums bezeichnete Yasays Worte als „rätselhaft und bedauerlich.“ Duterte schritt daraufhin ein und meinte, man habe seinen Außenminister „falsch verstanden“. Später musste dieser aufgrund von Problemen mit seiner Staatsangehörigkeit zurücktreten.


Länger, als die Verfassung vorsieht

China dürfte mit seinem Mann in Manila zufrieden sein. Im Februar rief Zhao Jianhua, der chinesische Botschafter auf den Philippinen, offen zur Notstandsermächtigung für Duterte auf – angeblich, um Infrastrukturprojekte wie Verkehr zu regeln. Er sagte, die Chinesen hätten Bedenken gegenüber „Projekten, die eine Amtszeit überdauern“, und deutete damit an, dass es im Sinne Chinas sei, wenn Duterte das Land länger regiert als die verfassungsmäßig vorgesehene sechsjährige Amtszeit. Politischen Beobachtern in Manila ist jedoch klar, dass Duterte selbst sehr auf eine Notstandsermächtigung aus ist – und gern zum Diktator würde, der nicht der Verfassung unterworfen ist.

Dutertes Schulterschluss mit Peking ist nicht im Sinne der philippinischen Bevölkerung und schon gar nicht des Militärs. Die Streitkräfte des Landes sind nach amerikanischem Vorbild organisiert, trainiert und ausgestattet, und viele Offiziere wurden in den USA ausgebildet.

Nicht zuletzt macht die Wahl Donald Trumps – und damit eines Staatschefs, der ähnlich schwankend zu sein scheint wie Duterte – die Sache komplizierter. Durch die Ankündigung des US-Präsidenten, das Militär auszubauen, und die Tatsache, dass er China als Bedrohung wahrnimmt, werden sich wohl auch die Spannungen bezüglich des Südchinesischen Meeres verschärfen. In einem Konflikt wären die Philippinen ein Frontstaat. Bisher scheint Duterte mit Trump auszukommen, aber seine pekingfreundliche Politik könnte in Washington auf Widerstand stoßen.

Jahrzehntelang lebten die Filipinos als glückliche Insulaner, weit weg von den geopolitischen Themen des asiatischen Festlandes. Jetzt sind sie erwacht und müssen feststellen, dass die Philippinen in der schwelenden Konfrontation zwischen China und den USA eine bedeutende Rolle spielen. Kurz gesagt, erkennen sie: „Geographie ist Schicksal“, wie Napoleon gesagt haben soll.


Alan C. Robles ist freier Journalist und lebt in Manila.
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