Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Fachliteratur

Alternatives Herrschaftsmodell

Einige Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Akteure sehen den aktuellen Post-2015-Prozess kritisch. Sie fordern, dass sich die neuen Entwicklungsziele weg von bisherigen hegemonialen Machtstrukturen und von neoliberalem Denken hin zu einem menschenrechtsbasierten Ansatz bewegen müssen.
Antiregierungsdemonstrationen in São Paulo im Juni: Die Forderungen von sozialen  Protesten sollen Global Governance bestimmen, fordern zivilgesellschaftliche Organisationen. Carlos Villalba Racines/EPA/picture-alliance Antiregierungsdemonstrationen in São Paulo im Juni: Die Forderungen von sozialen Protesten sollen Global Governance bestimmen, fordern zivilgesellschaftliche Organisationen.

Derzeit findet eine intensive entwicklungspolitische Debatte statt, welches Entwicklungsmodell den aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel, Wirtschafts-, Energie- und Nahrungsmittelkrisen gerecht werden kann. Die Fehler der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) sollten nach Ansicht vieler Akteure nicht wiederholt werden. Kritisiert wird insbesondere, dass die MDG-Ziele von den reichen Industrienationen von oben herab formuliert und die Rechenschaftspflichten einseitig auf die Länder des globalen Südens ausgerichtet wurden. Kritiker sehen ein weiteres Defizit der MDGs darin, dass sie nur als politische Zielsetzung, nicht aber als völkerrechtlich verbindliche Norm konzipiert wurden. Also sind die MDGs rechtlich nicht einklagbar.

Viele UN-Dokumente zur Post-2015-Entwicklungsagenda gehen von einem Konzept globaler Entwicklungspartnerschaften aus. Gleichwohl wird Armut weiterhin als quasi naturgegeben und nicht als Problem ungerechter Herrschaftsverhältnisse angesehen. Bei den „New Global Partnerships” soll vor allem der privatwirtschaftliche Sektor eine zentrale Rolle spielen. Im Bericht des „High-Level Panel of Eminent Persons“ wird weiterhin ein auf Wirtschaftswachstum fokussiertes Entwicklungsmodell propagiert, kritisiert Nayyar (2011) in einem Research Paper des South Center, einer internationalen Organisation von Entwicklungsländern. Kumi, Arhin und Yeboah (2013) finden falsch, dass die auf Privatisierung und Deregulierung ausgerichtete Fortschrittsideologie häufig unhinterfragt bleibt.

Unter dem Leitbild einer Corporate Social Responsibility propagieren UN, Weltbank und Internationaler Währungsfond (IWF) soziale Unternehmensverantwortung als Element von Good Governance. Das bedeutet, Public-Private-Partnerships (PPPs) werden als globale Entwicklungspartnerschaften befürwortet. Problematisch daran ist, dass PPPs so in wirtschaftlich schwächeren Staaten zu zentralen Akteuren von Entwicklung avancieren. Unternehmen erfahren damit einen bedenklichen Machtzuwachs, der nicht selten zur Verdrängung lokaler und nationaler Wirtschaftsaktivitäten führt.

Dieses konterkariert nach Ansicht vieler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine nachhaltige und auf das Empowerment Benachteiligter zielende Entwicklung (IBON Policy Brief 2014).

Dazu kommt, dass in Folge der globalen Finanzkrise in vielen Ländern – sowohl in reichen als auch in armen – eine Sparpolitik verfolgt wurde, die verhinderte, dass Staaten genügend in eine soziale und ökologische Infrastruktur investieren konnten, schreiben McCoy et al. (2009).

Global Governance in der Krise

Wissenschaftler sprechen davon, dass Global Governance, also die Art und Weise des globalen Regierens, sich in einer Krise befinde. Es mangele internationalen Abkommen an Verbindlichkeit, außerdem habe die derzeitige Global Governance keine ausreichende Legitimationsgrundlage. Die Grundlinien globaler Wirtschafts-, Außen-, Umwelt-, aber auch von Entwicklungspolitik sind häufig von machtpolitischen Interessen bestimmt und kamen nicht durch demokratische Entscheidungsprozesse zustande, schreibt Brand (2003). Hinzu kommt, dass gerade die als relativ unabhängig geltenden UN-Institutionen weitgehend marginalisiert wurden und in Abhängigkeit von privaten Geldgebern geraten sind. So bestimmen immer mehr wirtschaftsorientierte Institutionen wie die Gruppe der größten Industrie- und Schwellenländer (G20), die Welthandelsorganisation (WTO), IWF und Weltbank die globale Agenda, wobei ihre Entscheidungsprozesse häufig intransparent sind. Die Global Governance in ihrer jetzigen Form sollte beim Post-2015-Prozess überdacht werden.

NGO-Beteiligung als Ausweg?

Ob das passiert, ist fraglich. Zwar soll zivilgesellschaftlichen Akteuren im Post-2015-Prozess nun eine konstitutive Rolle zugestanden und somit der Fehler korrigiert werden, dass die MDGs in einem nichtinklusiven Verfahren formuliert worden sind. Doch auch hier ist Vorsicht angemahnt. Denn zivilgesellschaftliche Organisationen einzubeziehen, ist nicht zwangsläufig ein Garant dafür, dass das vorherrschende Entwicklungsparadigma grundlegend überdacht wird.

Zunächst gilt zu berücksichtigen, dass die derzeitige entwicklungspolitische Global Governance bereits seit den 1990er Jahren gerade auf UN-Ebene als Multistakeholder-Prozess organisiert wird, in den nichtstaatliche Akteure explizit einbezogen werden. So leisten NGOs laut Brand, Demirovic und Görg (2001) bei entwicklungspolitischen Maßnahmen oft das, was eigentlich vom Staat zu erwarten wäre. Dieser zieht sich zunehmend aus der steuernden Rolle zurück und delegiert öffentliche Aufgaben gezielt an nichtstaatliche Akteure, stellt Wolf (2000) fest.

Zwar werden NGOs besonders in der Öffentlichkeit immer noch als die „good guys“ wahrgenommen. Diese Sichtweise ignoriert jedoch, dass NGOs miteinander um finanzielle Zuwendungen von Staaten und auch der Privatwirtschaft konkurrieren. NGOs handeln also nicht unabhängig von Systemzwängen, sondern stehen unter einem gewissen Professionalisierungsdruck. Dabei besteht die Gefahr, dass sie in Abhängigkeit von Geldgebern geraten und durch Nationalstaaten, aber auch durch internationale Organisationen instrumentalisiert werden, warnt Wahl (1997) (siehe dazu auch E+Z/D+C 2014/6, S. 256 f.) So legitimieren Staaten durch den Einbezug zivilgesellschaftlicher Kräfte zunehmend undemokratische Entscheidungen. Indem NGOs Krisen abfedern, tragen sie – wenn auch ungewollt – zur Stabilisierung ungerechter Herrschaftsstrukturen bei.

Entscheidend für den Post-2015-Prozess ist, dass NGO-Positionen zwar zur Geltung gebracht werden können. Es ist jedoch fraglich, inwiefern kritische, das heißt an soziale Kämpfe rückgebundene, soziale Bewegungen berücksichtigt werden, die eine umfassende Neuausrichtung der Entwicklungsagenda fordern.

Beyond Post-2015

Was folgt aus den bisherigen Überlegungen? Zunächst bedarf es einer Entwicklungsagenda, die von einem universellen Menschenrechtsansatz ausgeht. Sie sollte nicht nur politische Ziele postulieren, sondern justiziable Verfahren etablieren. Darin sollen klare völkerrechtliche Verpflichtungen sowohl für Staaten wie auch für die Privatwirtschaft und internationale Organisationen festlegt werden. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung, um die strukturellen Auswirkungen von Armut und Ungleichheit zu beseitigen sowie die ökologischen und wirtschaftlichen Grenzen zu respektieren (Heinrich-Böll-Stiftung 2014).

Dazu ist eine umfassende Veränderung der Entwicklungspolitik, der Produktions- und Konsummuster sowie der Wirtschafts- und Finanzpolitik von Nöten. Außerdem muss ein globales Herrschaftsmodell etabliert werden, in dem Betroffene politische Entscheidungen mitbestimmen. Es müssen (auf nationaler wie supranationaler Ebene) politische Strukturen geschaffen werden, die einer menschenrechtlich fundierten, demokratischen Bottom-Up-Logik entsprechen.

Damit ist ein alternatives Modell der Global Governance angesprochen, die auf politischen Kämpfen von sozialen Bewegungen basiert. Dieses bezeichnet die Autorin dieses Beitrags als „weltgesellschaftliche Herrschaftspraxis“ (Meisterhans 2010). Im Kern muss es darum gehen, institutionelle Räume für Gegenöffentlichkeiten und soziale Bewegungen zu schaffen. Nur so können hegemoniale Machttendenzen immer wieder aufgebrochen und unterlaufen werden. Diese Perspektive weist weit über den Post-2015-Prozess hinaus. Letzterer sollte dennoch genutzt werden, um Menschenrechte als Ordnungsprinzip einer entwicklungspolitischen Global Governance einzufordern.
 

Nadja Meisterhans ist wissenschaftliche Referentin des Geschäftsführers von medico international. Die Organisation beschäftigte sich im Februar auf der 2. Hilfe-Konferenz in Frankfurt zum Thema „Beyond aid“ unter anderem auch mit dem Post-2015-Prozess.
meisterhans@medico.de
http://www.medico.de

 

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.