Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Occupation

Weshalb das westliche Modell scheitert

In Afrika sind gut bezahlte Arbeitsplätze mit sozialer Sicherung die Ausnahme, informelle Beschäftigung dominiert. Der Kontinent braucht ein neues Entwicklungsparadigma.
Junge Straßenhändler in Nairobi. dem Junge Straßenhändler in Nairobi.

In Entwicklungsländern und besonders in Afrika herrscht vorwiegend informelle Beschäftigung vor. Die Landwirtschaft ist von kleinen Familienbetrieben geprägt, deren Angehörige kleine Höfe beackern. Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft ist der Haushaltsvorstand jeweils „selbständig“ und alle anderen „helfen mit“. Lohnarbeit ist selten und oft auf Tagelöhner, die keinen eigenen Hof haben, begrenzt.

Sowohl auf dem Land als auch in den Städten geschieht derweil die meiste nichtlandwirtschaftliche Arbeit im informellen Sektor. Dieser lässt sich nur schwer wissenschaftlich präzise definieren, ist aber in der Alltagswirklichkeit leicht zu erkennen. Wichtige Merkmale sind, dass Unternehmen nicht angemeldet sind und weder Steuern noch Sozialabgaben zahlen. In Afrika sind die meisten Akteure mit kleinen Betrieben selbständig.

Frauen ergeht es im informellen Sektor meist schlechter als Männern. Männer sind in Handwerk, Transportgewerbe und Großhandel überrepräsentiert, während Frauen oft als Haushaltshilfen oder im Einzelhandel tätig sind. Männer kommen leichter an Kapital und beherrschen die attraktiveren Segmente des informellen Sektors. Allerdings ist die Produktivität durchweg gering, so dass die Mehrheit der Arbeitenden arm bleibt.

2016 waren laut Internationaler Arbeitsorganisation (International Labour Organization – ILO) 68 % der Erwerbstätigen südlich der Sahara prekär beschäftigt („in vulnerable employment“). Dabei wurden allerdings nur Selbständige und ihre Angehörigen, aber nicht informell beschäftigte Haushaltshilfen oder Mitarbeiter von Kleinbetrieben erfasst.

Informelle Beschäftigung ist aber leider nicht auf den informellen Sektor beschränkt. Seit Langem wächst auch in der regulären Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor die Zahl der nicht anständig bezahlten Jobs ohne soziale Sicherung.

Seit vier Jahrzehnten sorgen Markt-Fundamentalismus, Bevölkerungswachstum und der Niedergang der Gewerkschaften für den spektakulären Zuwachs informeller Beschäftigung. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank setzten in den 1980er und 1990er Jahren Strukturanpassungen durch und betonten dabei makroökonomische Stabilisierung, Liberalisierung und Privatisierung. In der Folge

  • sank die Zahl der Beschäftigten der öffentlichen Hand mit der Konsequenz schlechterer staatlicher Dienstleistungen,
  • schlossen viele Gewerbeunternehmen und
  • verschlimmerte sich die Armut in den Dörfern, sodass die Landflucht zunahm.

Eigentlich sollten Strukturanpassungen afrikanische Volkswirtschaften auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig machen. So sollte Wachstum mit neuen Arbeitsplätzen erzeugt und dadurch breiter Wohlstand geschaffen werden. Das misslang gründlich.

Das Wirtschaftswachstum blieb zunächst schwach, und das reguläre Gewerbe baute Arbeitsplätze ab – oder hielt bestenfalls die Zahl konstant. Der informelle Sektor wirkte wie ein „Schwamm“, der Entlassene, landflüchtige Familien und Jugendliche „aufsog“. Betroffen waren dabei sowohl Jugendliche ohne Schulabschluss als auch solche, die trotz Diplom keine gute Stelle fanden.


Jobloses Wachstum

Nach der Jahrtausendwende setzte dann Wachstum ein, aber am Arbeitsmarkt bewirkte das wenig. Steigende Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt waren der Antrieb. Volkswirtschaften expandierten jährlich um fünf Prozent, was aber nicht zu der Diversifikation führte, welche die Landwirtschaft modernisiert, verwandte Branchen in Schwung gebracht und die Grundlage für verarbeitendes Gewerbe geschaffen hätte. Der Erfolg blieb auf die Bergbau- und Energiewirtschaft beschränkt.

Wie die UN-Wirtschaftskommission für Afrika und die Afrikanische Union 2010 einräumten, brachten die hohen Wachstumsraten kaum gute neue Jobs. Senegals Regierung gab 2011 zu, dass 99 Prozent aller neuen Jobs im Land von 2001 bis 2009 auf den informellen Sektor entfielen.

Regelbeschäftigungsverhältnisse – mit Vollzeit, fester Arbeitszeit, anständiger Bezahlung, sozialer Sicherung und gesundem, ungefährlichen Umfeld – bilden in Afrika weiterhin eine kleine Insel in einem Ozean der Informalität. Da Beschäftigung überwiegend prekär bleibt, ist die Rede von „aufstrebenden Mittelschichten“ zweifellos übertrieben.

Selbst wenn afrikanische Volkswirtschaften plötzlich gute Arbeitsplätze in hoher Zahl schaffen würden, blieben sie vermutlich vom schnellen Zuwachs an erwerbsfähigen Menschen überfordert. Die Situation ist ähnlich wie in Indien (siehe Aditi Roy Ghatakin E+Z/D+C e-Paper 2017/10, S. 34), aber deutlich schwieriger. Denn die Bevölkerung wächst in Afrika schneller, und die modernen Wirtschaftsbranchen sind in Indien stärker.

Die schlichte Wahrheit ist, dass Afrika das westliche Entwicklungsmodell nicht kopieren kann. Der bloße Versuch ist strategisch falsch. Er verdammt wahrscheinlich die große Mehrheit der Afrikaner auf Dauer zu informeller Arbeit, permanenter Unsicherheit und Armut. Ein Kernproblem ist dabei, dass moderne Landwirtschaft nach westlichem Vorbild bedeutet, dass immer weniger Höfe mit immer weniger Beschäftigten immer mehr produzieren. Wenn das in Afrika weiterhin angestrebt wird, wird massenhafte Landflucht die Städte überrollen. Ein anderer Ansatz ist dringend nötig.

Als die industrielle Revolution in Europa einsetzte, prägten Bevölkerungswachstum und ländliche Armut die Länder dort ähnlich, wie sie das heute in Afrika tun. Massenhafte Auswanderung linderte in Europa aber den Druck (siehe Box). Wenn mehr Emigration zugelassen würde, wäre das für Afrika eine Hilfe.


Alternative Agenda

Was sollen afrikanische Regierungen also tun?

Erstens muss Agrarentwicklung auf kleinen Familienbetrieben aufbauen und diese unterstützen. Die Bauern brauchen Training, geeignete Infrastruktur und soziale Sicherung. Leider ist die Landwirtschaft aber der am schlimmsten vernachlässigte Sektor. Afrikas Regierungen und ihre internationalen Entwicklungspartner müssen das schnell korrigieren.

Zweitens müssen afrikanische Regierungen die wirtschaftliche Diversifizierung vorantreiben. Rohstoffe müssen in Afrika verarbeitet werden, damit Waren hier entstehen. Kein Land kann auf gute Arbeitsplätze hoffen, wenn es nicht einen großen Anteil der Güter und Dienstleistungen, die es braucht, auch selbst erzeugt. Jobs könnten in großer Zahl geschaffen werden, wenn Rohstoffe in den Ursprungsländern verarbeitet würden.

Afrikas hat ein riesiges Beschäftigungsproblem. Die Bevölkerung wird noch eine Weile schnell wachsen, und obendrein dürfte technologischer Fortschritt menschliche Arbeit überflüssig machen. Die bäuerliche Landwirtschaft zu schützen und produzierendes Gewerbe zu fördern ist sinnvoll, wird aber nicht reichen, um alle Probleme zu lösen.

Afrika braucht ein günstigeres internationales Umfeld. Nötig ist etwas ganz anderes als die Freihandels-Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte. Nicht Wettbewerb, sondern Solidarität muss betont werden. Regierungen brauchen zudem den nötigen Gestaltungsraum, um für ihre Nationen geeignete Entwicklungspolitik zu betreiben. Eine andersartige Globalisierung ist nicht nur wünschenswert, sie ist notwendig, wenn wir Armut im Sinne der UN Agenda 2030 mit den Nachhaltigkeits-Entwicklungszielen beenden wollen.


Ndongo Samba Sylla ist Programm- und Forschungsmanager im Westafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar.
n.sylla@rosalux.sn

Als Reaktion auf diesen Aufsatz erhielten wir einen Leserbrief. Reinhard Woyteks Ausführungen zu Ndongo Samba Sylla finden Sie hier.