Staatsbankrott

Sri Lankas Reformbedarf ist enorm

Die Wirtschaftskrise, die im Juli der Präsidentschaft von Gotabaya Rajapaksa in Sri Lanka ein Ende setzte, hält an. Die Armut ist weiter gestiegen. Ein neues IWF-Darlehen könnte helfen – doch dafür ist Umschuldung eine Vorbedingung.
Städtische Armut hat sich verdreifacht. Städtische Armut hat sich verdreifacht.

Die Staatsverschuldung Sri Lankas war 2022 überwältigend. Der Gesamtbetrag wurde auf mehr als 50 Milliarden Dollar geschätzt, wobei 2022 Zahlungen in Höhe von 6,9 Milliarden fällig waren, wie die Zentralbank mitteilte. Diese Krise hat sich über Jahrzehnte angebahnt. Die Regierung leiht seit Langem Geld für Infrastrukturprojekte, von denen viele Prestigevorhaben der Familie Rajapaksa waren.

Nach seinem Amtsantritt Ende 2019 beschleunigte Gotabaya die Krise mit mehreren katastrophalen Entscheidungen. Er senkte die Steuern für Privatunternehmen und wohlhabende Personen und schaffte Steuern von Beschäftigen im Privatsektor ab – folglich die Staatseinnahmen. Als der Wechselkurs der sri-lankischen Rupie (LKR) sank, zwang er die Zentralbank, sie an den Dollar zu koppeln – und zwar unter ihrem Marktwert. Als daraufhin die Devisenreserven knapp wurden, verhängte er ein Einfuhrverbot für Düngemittel und verschärfte so Probleme in der Landwirtschaft. Viele Höfe brauchen Agrarchemikalien und konnten nicht kurzfristig auf Ökolandbau umstellen. Die Produktion von devisenbringenden Exportgütern wie Tee und ­Kautschuk ging zurück. Das Land versorgt sich normalerweise selbst mit Reis, aber nun wurden Lebensmittel knapp. Es mangelte auch an Medikamenten und Treibstoff, weil Importwaren schnell teurer wurden.

Sri Lanka war nicht mehr in der Lage, seine Schulden zu bedienen. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich schnell. Im Juli stürzen Proteste, an denen Jugendliche stark beteiligt waren, Gotabaya. Ranil Wickremesinghe wurde vom Parlament zum neuen Präsidenten ernannt.

Die Spitze des Eisbergs

Seitdem hat sich einiges für die Bürger Sri Lankas wieder verbessert. Vor allem Soforthilfen Indiens schafften Erleichterung. Die langen Schlangen an den Zapfsäulen sind verschwunden. Stattdessen wird jetzt begrenzt, wie viel Treibstoff jemand kaufen darf. Die Stromausfälle, die bis zu acht Stunden pro Tag dauerten, wurden auf etwa zwei Stunden reduziert.

Es mangelt jedoch weiterhin an Medikamenten und Lebensmitteln. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) und andere Hilfsorganisationen haben vor einer Verschärfung schwerer Mangelernährung gewarnt. Nach Angaben des WFP sind etwa 6 Millionen Sri Lanker (30 Prozent der Bevölkerung) von Ernährungsunsicherheit betroffen.

Wie die Weltbank im Oktober in einem Bericht feststellte, hat sich die Armutsquote in Sri Lanka 2022 verdoppelt. Sie stieg von 13,1 Prozent auf 25,6 Prozent. Der Bericht weist darauf hin, dass sich „die Armutsquote in städtischen Gebieten von 2021 bis 2022 von fünf auf 15 Prozent verdreifacht hat“. 80 Prozent der Armen leben in ländlichen Gebieten. Die Hälfte der Menschen in Plantagengebieten lebt unterhalb der Armutsgrenze.

Die Weltbank sagte auch voraus, dass die Industrietätigkeit 2022 um elf Prozent schrumpfen würde. Den Rückgang bei Dienstleistungen bezifferte sie mit minus 8 Prozent. Zusammen entspreche das dem Verlust von über 500 000 Arbeitsplätzen, warnte die multilaterale Institution. Bei abhängig Beschäftigen werde das Einkommen voraussichtlich um 15 Prozent sinken.

Die Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland machen normalerweise 7,2 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Auch sie sind 2022 zurückgegangen. Außerdem wird der Zugang zum staatlichen Bildungs- und Gesundheitswesen immer schwieriger. Der Mangel an Treibstoff spielt eine Rolle, aber auch Proteste und damit verbundene Sicherheitsmaßnahmen sind Hindernisse.

Aus Sicht von Dhananath Fernando von der Denkfabrik Advocata ist das alles nur die Spitze des Eisbergs. Während sich das Alltagsleben in gewissem Maß normalisiert hat, schlummerten darunter riesige Herausforderungen. Andere Beobachter sehen das ähnlich.

Der schwierige Weg steht noch bevor

Sri Lanka steht im aktuellen Korruptionsindex von Transparency International auf Platz 102 von 180 Ländern. Paikiasothy Saravanamuttu vom zivilgesellschaftlichen Centre for Policy Alternatives (CPA) erkennt eine „große Notwendigkeit für einen Paradigmenwechsel in der Regierungsführung“. In einem kürzlich erschienenen Aufsatz beklagte er eine Kultur des Populismus und der Straffreiheit mit mangelnder Transparenz und wenig Rechenschaftspflicht. Zu den von ihm angesprochenen Punkten gehören:

  • Während sich manche Menschen ein Leben lang auf staatlicher Unterstützung ausruhen können, bekommen Massen praktisch keinerlei Hilfe.
  • Politiker versprechen vor Wahlen regelmäßig noch mehr Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst und höhere Gehälter für Beamte.
  • Sri Lanka kann sich die verlustbringenden Staatsbetriebe nicht leisten.
  • Die Steuereinnahmen müssten steigen, sinken aber.
  • Das Militär verschlingt zu viele Ressourcen.

Saravanamuttu betonte, dass Sri Lanka „noch 13 Jahre nach dem Krieg über 250 000 Armeeangehörige“ hatte. Der Militärhaushalt übertreffe die Gesamtausgaben für Bildung und Gesundheit. Der jahrzehntelange Krieg gegen tamilische Aufständische im Norden und Osten Sri Lankas endete 2009. Präsident war damals Gotabayas Bruder Mahinda Rajapaksa, und Gotabaya war sein Verteidigungsminister.

Nach dem Sieg profitierte Mahinda vom triumphalen singhalesischen Nationalismus, wurde wiedergewählt und blieb bis 2015 im Amt. Für mehrere Großprojekte (einen internationalen Flughafen, ein Kongresszentrum und ein Kricketstadion) nahm er Kredite aus China zu marktüblichen Konditionen auf. Alle diese Vorhaben sind verlustreich. Auch staatliche Unternehmen wie Sri Lankan Airlines schreiben rote Zahlen. Die notwendigen Reformen erfordern politischen Willen. Die meisten Spitzenpositionen sind aber mit Parteifreunden besetzt.

Mögliche Unterstützung durch den IWF

Sri Lankas Regierungsvertreter haben mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Vereinbarung geschlossen. Die Extended Fund Facility des IWF wird demnach die fragile Wirtschaft vier Jahre lang mit 2,9 Milliarden Dollar unterstützen. Die multilaterale Institution stellt jedoch die Bedingung, dass Sri Lanka seine staatlichen Gläubiger zu einer Umschuldung bewegen und obendrein neue Finanzmittel von anderen multilateralen Partnern erhalten muss. Sri Lanka muss auch zeigen, dass es „sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, eine Vereinbarung mit privaten Gläubigern zu erzielen“.

Zu den Zielen des neuen IWF-Programms gehören:

  • die Wiederherstellung der makroökonomischen Stabilität und der Schuldentragfähigkeit,
  • die Sicherung der Finanzstabilität,
  • der Schutz gefährdeter Bevölkerungsgruppen,
  • die Bekämpfung der Korruption und
  • die Erschließung des Wachstumspotenzials Sri Lankas.

Die massiven Veränderungen, die der Reformprozess voraussichtlich mit sich bringen wird, werden besonders die armen Menschen in Sri Lanka treffen.

Die Reformagenda ist einschüchternd. Es wird auch schwierig werden, die Gläubiger zur Umstrukturierung der Schulden zu bewegen. Beobachter meinen auch, Wickremesinghe habe sich bisher mehr um andere Dinge gekümmert – und zwar vor allem die Unterdrückung von Protesten sowie den Schutz des Rajapaksa-Clans (siehe Kasten). Fernando von der Denkfabrik Advocata ist pessimistisch: „Wir haben keine Schritte unternommen, um Reformen durchzuführen.“ Das war der aktuelle Sachstand, als dieser Artikel Anfang Dezember fertiggestellt wurde.


Arjuna Ranawana ist ein sri-lankischer Journalist.
arjuna.ranawana@outlook.com

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