Entwicklung und
Zusammenarbeit

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ODA

Das Konzept der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit ist überholt

Die internationale Gemeinschaft muss kooperieren, um globale öffentliche Güter bereitzustellen, aber die reichsten Volkswirtschaften knausern. Das etablierte ODA-System ist für diesen Zweck ungeeignet.
Die OECD-Mitglieder haben den CO2-Ausstoß nicht ausreichend reduziert: Kohlekraftwerk bei Köln. picture-alliance/Jochen Tack Die OECD-Mitglieder haben den CO2-Ausstoß nicht ausreichend reduziert: Kohlekraftwerk bei Köln.

Die Fachwelt hält den Begriff „Entwicklungshilfe“ für abfällig. Seith Jahrzehnten strebt sie die Umbenennung in „Entwicklungszusammenarbeit“ (EZ) an. Dennoch verwendet die Presse weiterhin oft den Begriff „Entwicklungshilfe“, wenn es um ODA (official development assistance) geht.

Die Geschichte der ODA ist problematisch. 1970 sagten die einkommensstarken Länder zu, jährlich 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) in ODA zu investieren, taten das aber nicht. Laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), einem Verbund von reichen Ländern und einigen Schwellenländern, lösten 2021 nur Luxemburg, Norwegen, Schweden, Deutschland und Dänemark ihre Zusagen ein. Die weltweite ODA belief sich auf nur 0,33 Prozent des BNE der OECD-Mitglieder.

Manche finden das nicht schlimm, weil andere Finanzströme – etwa private ausländische Direktinvestitionen und Überweisungen von Migrantinnen und Migranten – die ODA übersteigen. Aber ein halbes Jahrhundert unerfüllter Versprechen zeugt von dysfunktionaler Politik.

Das ODA-System wird seinen Aufgaben aus diversen Gründen nicht gerecht. Dazu zählen:

  • die regelmäßige Neudefinition der angestrebten Zielen,
  • die wachsende Notwendigkeit, ODA-Mittel für globale öffentliche Güter zu verwenden, sowie
  • Unstimmigkeiten zwischen etablierten Wirtschaftsmächten und Schwellenländern.

ODA sollte ursprünglich die nationale Entwicklung der Empfängerländer unterstützen. Investitionen in Infrastruktur sollten Wachstum und Wohlstand fördern. Was nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau in Westeuropa half, funktionierte aber nicht in Afrika, Asien und Lateinamerika. So rückten andere Themen in den Fokus: Armutsbekämpfung in den 1990er-Jahren, später Rechtsstaatlichkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Minderheitenrechte.

Die OECD definierte aber nicht nur Ziele neu, sondern auch was als ODA zählt.  Die Unzufriedenheit über ODA brachte gute Ideen für überzeugendere Konzepte hervor (siehe Kasten).

Globale öffentliche Güter

Die größten Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft sind heute Themen wie Klimawandel oder Covid-19. Dafür sind globale öffentliche Güter nötig. In der Ökonomie gilt ein Gut als „öffentlich“, wenn es allen nutzt – auch denen, die nichts dazu beigetragen haben.

Werden öffentliche Güter allein den Kräften des Marktes überlassen, bleiben sie unterfinanziert, denn der Privatsektor investiert kaum. Investoren wollen nicht, dass Fremde von ihren Ausgaben profitieren, hoffen aber andererseits selbst, öffentliche Güter kostenfrei zu nutzen. Die öffentliche Infrastruktur (inklusive Straßen, Wasser- und Stromversorgung) hängt daher von öffentlichen Ausgaben und einer umsichtigen Gesetzgebung ab. Ohne staatliches Zutun kommen öffentliche Güter zu kurz.

Geld für globale öffentliche Güter

Entsprechend geht es in der Klimadebatte und bei anderen globalen Themen darum, wer wie viel für globale öffentliche Güter zahlt. Dies ist ein Aspekt von Global Governance. Internationalen Konsens zu finden ist dabei immer schwierig, und seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sogar noch komplizierter.

In den vergangenen Jahrzehnten förderten OECD-Mitglieder mit ihren ODA-Geldern zunehmend globale öffentliche Güter – etwa Anlagen für saubere Energie, die sowohl der nationalen Entwicklung als auch dem globalen Klimaschutz dienen. ODA mit doppeltem Verwendungszweck wäre in Ordnung, wenn die OECD-Mitglieder anderweitig ihren fairen Anteil zum Umweltschutz leisten würden. Das tun sie aber nicht.

Unerfüllte Klimaversprechen

Das Scheitern des Kyoto-Protokolls ist dafür ein gutes Beispiel. Es war als langfristiges Instrument für berechenbare Emissionsreduktionen gedacht, aber die reichen Länder setzten das nicht um. Dabei hätte Klimaschutz daheim einem globalen öffentlichen Gut gedient.

2009 versprachen die reichen Länder dann, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz in armen Ländern bereitzustellen – zusätzlich zu ODA. Bisher fließen aber nur etwa 80 Milliarden Dollar pro Jahr, und die Definitionen sind so lax, dass Klimafinanzierung und ODA nicht auseinanderzuhalten sind. Auf dem Klimagipfel in Ägypten 2022 wurde nun ein neuer Fonds für Klimaverluste und -schäden beschlossen. Wie diese Finanzierung von früheren Zusagen unterschieden werden soll, ist ebenfalls unklar.

Als sich 2020 Covid-19 weltweit ausbreitete, versagten Zusammenarbeit und Koordination komplett. Nationalstaaten konkurrierten um Corona-Tests, Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte und ab 2021 auch um Impfstoffe. Westliche Länder entwickelten die wirksamsten Vakzine, versorgten damit aber hauptsächlich – wenn nicht gar ausschließlich – ihre eigenen Bürger. China und Russland hingegen entwickelten Impfstoffe, die sie großzügig mit anderen Ländern teilten.

Seit vielen Jahren fordern westliche Regierungen mehr private Mittel für die  Entwicklungsfinanzierung, nicht zuletzt für die ehrgeizige Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Passend dazu haben sie die ODA-Regeln geändert, um solche Finanzflüsse einzubeziehen. Es entstanden auch durchaus diskutable öffentlich-private Partnerschaften. Privates Geld lässt sich aber nur begrenzt für öffentliche Güter mobilisieren. Gewinnorientierte Unternehmen haben andere Prioritäten.

OECD versus Schwellenländer

Die Schwellenländer sind in den vergangenen dreißig Jahren wirtschaftlich rasant gewachsen. Brasilien, Indien und China weiteten ihren Handel aus, sodass Unternehmen dieser Länder Auslandsinvestitionen tätigten, und auch die Regierungen mehr für ODA-ähnliche Ziele beitrugen.

Die OECD versuchte daraufhin, globale Regeln für Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen, Die wichtigsten Schwellenländer lehnten aber gemeinsame Standards ab und beharrten auf eigener Politikgestaltung.  Globale Entwicklungsbemühungen wurden folglich weiter fragmentiert und politisiert – und vermutlich auch ineffizienter.

China etwa scheute vor einer engen Zusammenarbeit mit der OECD zurück und lernte entsprechend auch nicht aus deren Erfahrung. Zum Teil rührt die aktuelle Schuldenkrise vieler Länder daher, dass China Kredite vergab, ohne auf Korruption oder die Qualität der Regierungsführung zu achten. Aber China trägt nicht allein Schuld. Die Kreditvergabe des Privatsektors an Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen hat stark zugenommen. Verantwortung tragen zudem auch den OECD-Ländern gehörende oder von diesen dominierte Institutionen.

Um die Schuldenprobleme zu lösen, sind Verhandlungen mit allen Gläubigern nötig. Die G20 (Gruppe der 20 führenden Volkswirtschaften) hat das Common Framework for Debt Treatment verabschiedet – ein guter Start, auch wenn es noch nicht voll funktionsfähig ist (siehe José Siaba Serrate auf www.dandc.eu). Das zeigt: Die interna­tionale Gemeinschaft braucht stärkere Global Governance.

Das wiederum erfordert bessere Kooperation. Und dafür müssen westliche Regierungen mehr für die Förderung globaler öffentlicher Güter tun. Kritik an autoritären Regimen allein reicht nicht – selbst wenn sie berechtigt ist.

André de Mello e Souza ist Wirtschaftswissenschaftler am Ipea (Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada), einer staatlichen Denkfabrik in Brasilien.
andre.demelloesouza@alumni.stanford.edu
Twitter: @A_MelloeSouza

Korrektur, 15. Februar 2023: In der ursprünglichen Fassung stand, die reichen Länder hätten das Kyoto Protokoll nicht umgesetzt. Das stimmt so nicht. Richtig ist, dass die USA es nie in Kraft setzten und andere Länder später ausstiegen, aber dennoch in der Summe der teilnehmenden Staaten die vereinbarten Reduktionsziele der ersten Runde wegen Wirtschaftskrisen und dem Kollaps von Branchen erreicht wurden. Das Protokoll trug aber kaum dazu bei, Wirtschaftstätigkeit nachhaltig umzugestalten und scheiterte als langfristiges Instrument. Den Fehler hatte die Redaktion, nicht der Autor verursacht.

 

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