Gesetzlosigkeit
Unfrieden nach Rezept
[ Von John Emeka Akude ]
Seit Ende des Kalten Krieges haben andauernde zähe Bürgerkriege Liberia, Sierra Leone, Guinea-Bissau und die Elfenbeinküste geplagt. Auch im Senegal sowie in Guinea und Nigeria nimmt die Gewalt zu, auch wenn dort bisher der Staat nie komplett kollabiert ist. Um die Dynamik dieser Konflikte zu verstehen, muss man die Gründe für das schwache Staatswesen in Westafrika betrachten.
Die Art, wie souveräne Staaten im modernen Afrika entstanden, widersprach den Bedingungen und Prozessen für gute Regierungsführung (siehe Kasten). Generell neigten afrikanische Regierungen nach der Unabhängigkeit dazu, ihre Länder zum eigenen Vorteil auszubeuten. Nach Ende der Kolonialzeit gab es nur Lippenbekenntnisse, wenn es darum ging, dass Regierungen ihrer Nation zu dienen hätten, indem sie elementare Dienstleistungen erbrächten und das Gedeihen des privaten Sektors ermöglichten. Bis heute entspricht das nicht dem Rollenverständnis afrikanischer Eliten. Aber wo der öffentliche Sektor nicht richtig funktioniert, findet keine Regierung im Privatsektor die nötige Steuerbasis, um der Nation zu dienen und sie zum Wohlstand zu führen.
Anders ausgedrückt: Ein schwaches Staatswesen ist Teil eines Teufelskreises. Haben Regierungen nicht die Mittel, gute Arbeit zu leisten, ist schlechte Regierungsführung unvermeidbar, und staatliche Institutionen verfallen immer mehr, während die Elite Reichtum anhäuft und auf gewalttätige und intransparente Weise verteilt. Wenn diese Dynamik anhält, besteht kaum eine Chance, dass die Regierungen je die Pflichten eines erfolgreicheren Staatswesens erfüllen.
In allen westafrikanischen Konflikten spielen Milizen eine zentrale Rolle. Ihre Mitglieder sind meist jung, kaum gebildet und arbeitslos. Bürgerkriege dauern tendenziell deshalb an, weil sie verärgerten Eliten und benachteiligten städtischen Jugendlichen Möglichkeiten eröffnen, die es zu Friedenszeiten nicht gibt. Das häufige Wiederaufflammen der Konflikte legt nahe, dass Analysten und Politiker sich lieber auf einen kohärenten Ansatz zum Staatsumbau konzentrieren sollten, statt auf konventionelle, aber wenig systematische Weise zu versuchen, Post-Konflikt-Wiederaufbau zu betreiben.
Generell wurden Entwicklungsfragen in Afrika nach der Unabhängigkeit vernachlässigt. Die Herrschenden übernahmen einfach die koloniale Ordnung und schöpften die Ressourcen ihres Staates ab. Häufig sicherten sich lokale Machthaber den Zugang zu Ressourcen. Gemeinsam mit den Regierenden ließen sie die Staaten verarmen – oft auch mit Hilfe ausländischer Mächte. Während westafrikanische Eliten zunehmend internationale Kontakte nutzten, um sich zu bereichern, wuchs in den Städten ein Lumpenproletariat heran. Gruppen von meist jungen, ungebildeten Männern bestritten ihren Lebensunterhalt mit kriminellen und halblegalen Machenschaften.
Folgen der Strukturanpassung
Strukturanpassungsprogramme verschlimmerten das Ganze nur. Neoliberale Politik führte dazu, dass soziale Ausgaben gekürzt und Grenzkontrollen gelockert wurden, und ermöglichte die freie Bewegung von Kapital und Gütern. Fortschritte in der Telekommunikationstechnologie begünstigten den Handel jenseits staatlicher Kontrolle. Manche Politiker und andere einflussreiche Personen, die im Zuge der Strukturanpassung ihre staatlichen Rollen verloren hatten, stellten fest, dass Regierungseinfluss unter den neuen Bedingungen nicht mehr unabdingbar war, um reich zu werden. Eliten fragmentierten und Staaten ebenso. Einige Elitenmitglieder rekrutierten Jugendliche und griffen Rohstoffquellen ihrer Länder im persönlichen Interesse an.
Im Globalisierungszeitalter muss zur Ausbeutung von Rohstoffen nicht mehr der ganze Staat beherrscht werden. Zugang zu den Ressourcen reicht aus. Edelsteine, Gold, Eisenerz und Holz sind lukrative Handelsgüter auf dem Weltmarkt. Wer sie verkauft – ob legal oder illegal –, verdient daran gut.
Korruption höhlte die Staaten aus, und in dem Maße, in dem staatlichen Institutionen abgebaut wurden, gingen Jobs im öffentlichen Sektor verloren. Die Zahl der marginalisierten Jugendlichen stieg ins Astronomische. Selbst viele ausgebildete junge Männer hatten keine Aussicht auf eine feste Stelle. Die Jugendarbeitslosigkeit in Westafrika liegt heute bei rund 50 Prozent (UNOWA 2006: IV). Die Alternativen für die Betroffenen sind:
– bewaffnete Raubüberfälle,
– Beitritt zu einer Miliz,
– Kokainschmuggel in den Westen oder
– die gefährliche Reise in Booten übers Mittelmeer nach Europa.
Die aufgebrachte Elite hat keine Probleme, Arbeitslose zu rekrutieren. Und die Milizführer verdienen gut am globalen Handel mit Konfliktressourcen, während ihr Fußvolk ganze Gesellschaften terrorisiert. Paradoxerweise wachsen mit der Gewalt das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Warlords, da sie denjenigen, die ihnen gegenüber loyal sind, ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.
Waffen und andere Waren
Die Milizchefs sind meist nicht Militärs, sondern Politiker oder Geschäftsleute. Es spielt kaum noch eine Rolle, zwischen Soldaten und Kämpfern, Frieden und Krieg oder Kriegsfront und zivilen Gebieten zu unterscheiden. Der Konflikt speist sich nicht aus aufeinander prallenden Ideologien oder der Konfrontation von Supermächten und ihren Verbündeten – es geht um den Zugang zu Rohstoffen und Waren für den internationalen Handel. Anfangs handelte es sich um lokale Waren, aber neuerdings verkompliziert das Transitgeschäft mit illegalen Drogen die Probleme. Die Einnahmen aus solchen Geschäften werden nicht zuletzt für den Kauf von Waffen und Munition auf dem internationalen Schwarzmarkt gebraucht.
Allein 1995 exportierten die liberianischen Warlords Gold im Wert von rund 300 Millionen Dollar, Diamanten im Wert von 500 Millionen, Hölzer im Wert von 53 Millionen und Gummi im Wert von 27 Millionen Dollar nach Europa und Südostasien (Atkinson 1997:9). Nach Angaben eines UN-Expertenforums stammten 20 Prozent des weltweiten Diamantenangebots 1999 von afrikanischen Rebellen.
Ausländische Firmen, die in Liberia – und damit im Konflikt – aktiv sind, wurden von ihren Regierungen unterstützt. 1991 war das vom Bürgerkrieg zerrissene Liberia Frankreichs drittgrößter Holzlieferant. Damals kontrollierte Kriegsfürst Charles Taylor fast die gesamte Abholzungsindustrie des Landes. 1992 importierte der französische Stahlgigant Usinor Eisenerz im Wert von 18 Millionen Dollar aus Liberia. Damals legte Frankreich (gemeinsam mit China) ein Veto gegen Versuche des UN-Sicherheitsrats ein, Waren aus Liberias Kriegswirtschaft mit einem Embargo zu belegen.
Schließlich gelang den UN ein Embargo für Konflikt-Diamanten aus Liberia. Die Folge war, dass mehr Holz exportiert wurde. Die Oriental Timber Company (OTC), deren Besitzer und Geschäftsführer Gus van Kouwenhofen ein enger Verbündeter Taylors ist, importierte 2002 und 2003 Holz aus Liberia in die USA. Die Firma gehört zu einem Netzwerk von Investoren aus Indonesien, Malaysia und Hongkong, die die boomende chinesische Holzindustrie dominieren. China hat seither Frankreich als größten Importeur liberianischen Nutzholzes abgelöst – und sich gleichzeitig zum führenden Möbelexporteur in die USA entwickelt.
OTC-Investoren haben auch Kontakte zur Global Timber Corporation, einer riesigen chinesischen Verarbeitungsfirma, die fast alle westlichen Märkte beliefert. Auch griechische, dänische und holländische Unternehmen verschiffen liberianisches Holz in den Westen. Noch aggressiver wurde das Abholzen, nachdem Taylor 1997 Präsident von Liberia wurde und seinen Bruder zum Manager aller Nutzholzkonzessionen machte.
Nigeria steckt zwar nicht in einem totalen Bürgerkrieg, aber im Nigerdelta herrscht Gewaltwirtschaft. Milizenführer bereichern sich durch die Entführung ausländischer Mitarbeiter von Ölfirmen und durch Öldiebstahl – auch hier wieder eine internationale Dimension. Oft warten holländische Schiffe vor der Küste, um das illegal abgezapfte Öl in den Weltmarkt zu schiffen. Letzten August verhafteten die nigerianischen Behörden vierzehn Philippinen, die im Nigerdelta Öl gestohlen haben sollen. Laut Medienberichten wurden sie auf der MV Lina festgenommen. Das Schiff fuhr unter panamaischer Flagge, obwohl es eigentlich der griechischen Schiffsgesellschaft Corinthian gehört.
Die „Rohstoffe für Waffen“– Dynamik zeigt sich auch in anderen Konflikten Westafrikas. Laut UN werden rund 55 Prozent der gesamten Baumwollproduktion der Elfenbeinküste – vorwiegend aus dem von der Miliz Forces Nouvelles kontrollierten Norden – über Mali und Burkina Faso in den Weltmarkt geschmuggelt. Ein anderer Bericht dokumentiert den lebhaften Handel zwischen den Forces Nouvelles und guineischen Zoll- und Militäroffizieren an der Grenze. Vom Gewinn werden Waffen gekauft.
Sicherheitsexperten nennen Guinea „den Waffenhändler der Region“ (ICG 2005:16). Das spiegelt seine spezielle Rolle in der westafrikanischen Kriegsökonomie wider: die, dem illegalen Waffenhandel das Amtssiegel zu verleihen. Waffenhandel ist nur legal, wenn der Verkäufer ein Endverbraucherzertifikat erhält. Nur souveräne Staaten können diese ausstellen – und insbesondere dank guineischer Papiere sind nur zehn Prozent der in Liberia und Sierra Leone benutzten Waffen als illegal klassifiziert. Das heißt, für sie existieren gar keine Dokumente. Der Rest gilt als rechtswidrig; ihre Papiere sind gefälscht (ICG 2005:16–17). Außer aus Guinea stammen solche Waffen UN-Experten zufolge auch aus Ländern wie Moldawien, Ukraine und Kirgisien (UNO Panel of Experts 2002, 2003).
Bei illegalen Waffen geht es nicht nur um Handwaffen. Eine gut dokumentierte ICG-Studie zeigt, wie Geschäftemacher aus Afrika und Osteuropa slowakische Gesetzeslücken nutzten und drei Helikopter „zur Reparatur“ nach Guinea lieferten – obwohl in Guinea solche Arbeiten gar nicht erledigt werden können. Offensichtlich waren sie für die Kriegsgebiete in Westafrika bestimmt. Tatsächlich soll einer der Helikopter, die die französische Luftwaffe im September 2004 in der Elfenbeinküste zerstörte, guineischer Herkunft sein.
Fazit
Die Integration Westafrikas in die Weltwirtschaft hat die Unruhen verschärft. Die internationale Gemeinschaft versucht, Waren aus Konfliktgebieten als illegal zu erklären oder zu stigmatisieren – durch Embargos, den Kimberley-Prozess und die Initiative zur Verbesserung der Transparenz in der Rohstoffindustrie. Doch schwache Staatlichkeit, gefälschte Papiere und Korruption – die auch in internationalen Organisationen verbreitet ist – stellen sicher, dass Waffen und Waren ihr Ziel erreichen.
Die Geber und die internationale Gemeinschaft haben verschiedentlich versucht, mit den Konflikten umzugehen – unter anderem durch Waffenstillstandsverhandlungen, die Organisation von Wahlen, Unterstützung für die Wiedereinsetzung von Staatsverwaltungen und Reformen im Sicherheitssektor. Aber ohne Erfolg, wie sich in immer wieder aufflammenden gewaltsamen Spannungen zeigt. Auffällig ist, dass notwendige Erfordernisse für Good Governance nicht geschaffen wurden. Genauer: Das Wesen des westafrikanischen Staates ist gleich geblieben.
Damit sich etwas ändert, bräuchten die Länder vielfältigere Ökonomien, in denen eine weiterverarbeitende Industrie zu Wohlstand führt. Dann gäbe es Unternehmen, deren Besteuerung sich lohnen würde, und politische und ökonomische Macht würden endlich getrennt. Produktivität hinge dank guter Regierungsführung vom Bildungsstand und anderen Aspekten des Arbeitskräftepotentials ab. Es gäbe Jobs für die ruhelosen Jugendlichen – und sie würden nicht mehr den Milizen folgen, da sich ihnen andere Wege zu einem besseren Leben eröffnen würden.