Entwicklung und
Zusammenarbeit

Elasticsearch Mini

Elasticsearch Mini

Mädchen

Für Mädchen ist Pakistan eines der schlimmsten Länder

Pakistan erkennt die Menschenrechts- sowie die Kinderrechtskonvention der UN an. Im Alltag sind traditionelle Normen aber oft wichtiger als förmliche Gesetzgebung. Folglich sind grundlegende Rechte nicht wirksam geschützt – worunter Mädchen besonders zu leiden haben.
Unterricht in Hyderabad: Mädchen schließen in Pakistan mit geringerer Wahrscheinlichkeit die Grundschule ab als Jungen. picture-alliance/ZUMAPRESS.com/PPI Unterricht in Hyderabad: Mädchen schließen in Pakistan mit geringerer Wahrscheinlichkeit die Grundschule ab als Jungen.

Die internationale zivilgesellschaftliche Organisation Save the Children hat in diesem Jahr einen Weltbericht über die Lebenswirklichkeit von Kindern veröffentlicht. Pakistan liegt nach dem darin enthaltenen Index für das vorzeitige Ende von Kindheiten auf Rang 147 von 180 Ländern. Als „Kindheitsbeender“ werden Tod, chronische Mangelernährung, Arbeit, Fernbleiben der Schule, frühe Ehe und Mutterschaft genannt. Der Bericht geht nicht detailliert auf Geschlechtsunterschiede ein, belegt aber riesige gesellschaftliche Probleme.

Geschlechterdifferenzen belegt jedoch die aktuelle Ausgabe des UNICEF-Reports State of the World’s Children. Demnach gehen in Pakistan 18 Prozent der Jungen, aber 29 Prozent der Mädchen nicht in die Grundschule. 64 Prozent der Jungen, aber nur 55 Prozent der Mädchen schließen die Primarstufe ab. Teils tragen die Familien die Verantwortung dafür. 25 Prozent der Mädchen, die den Schulbesuch vorzeitig beenden, tun das auf Wunsch der Eltern hin.

Im Teenager-Alter ist die Kluft laut UNICEF noch größer. Nur sieben Prozent der männlichen, aber 43 Prozent der weiblichen Mitglieder dieser Alterskohorte seien weder in Schule noch Ausbildung noch Erwerbsarbeit.

Vor vier Jahren veröffentlichte dieselbe UN-Organisation eine Situationsanalyse für Pakistan (UNICEF 2017). Sie besagte unter anderem, dass Töchter armer Dorffamilien im Schnitt nicht einmal ein ganzes Lebensjahr in der Schule verbrächten. Söhne wohlhabender Stadtfamilien kämen dagegen mindestens auf zehn. Bei Jungen würden Durchfall und Atemwegserkrankungen zudem öfter behandelt – und auch ihre Impfquoten seien besser.

Um Geschlechtergerechtigkeit ist es in Pakistan ohnehin schlecht bestellt. Im aktuellen Global Gender Gap Report des World Economic Forum liegt Pakistan auf Rang 153 von 156. Für vier Dimensionen wertet die wirtschaftsnahe Lobbyinstitution bei dem Ranking nationale Statistiken aus:

  • ökonomische Chancen und Teilhabe,
  • Bildungsabschluss,
  • Lebenserwartung und Gesundheit, sowie
  • politische Teilhabe.

Pakistan schneidet in allen vier Feldern schlecht ab – und für Kinder geht es schon in jungen Jahren ungerecht zu. Ihren turnusgemäßen Bericht reichte die Regierung beim für Kinderrechte zuständigen UN-Komitee 2016 ein. Das Komitee kam daraufhin zu dem Schluss, Pakistan müsse mehr für Geschlechtergerechtigkeit tun und die Rechte aller Kinder sicherstellen.

Es beanstandete

  • die gravierende Diskriminierung von Mädchen,
  • dauerhafte Divergenzen bei Sterblichkeit und Schulbesuch,
  • die anhaltende Praxis von Hochzeiten in jungen Jahren,
  • Schuldenbegleichung mittels Übergabe von Mädchen,
  • häusliche Gewalt und
  • die steigende Zahl ermordeter Mädchen.

Das Komitee hielt zudem fest, es mangele an Verständnis für die sexuellen und reproduktiven Rechte junger Menschen und es mangele an entsprechenden Gesundheitsdienstleistungen für Mädchen (siehe auch meinen Beitrag über Defizite der Sexualaufklärung in Pakistan im Schwerpunkt von E+Z/D+C e-Paper 2020/04).

Schädliche Traditionen

Frauen genießen in Pakistan nicht dieselbe Wertschätzung wie Männer. Es gibt eine gesellschaftliche Präferenz für Söhne, die sich traditionell um ihre Eltern im Alter kümmern. Töchter gelten dagegen als ökonomische Last, für deren Hochzeit eine teure Mitgift nötig ist und die sich danach um eine fremde Familie kümmern. Entsprechend zeigte ein Befragung von Müttern mit drei Kindern: Kein weiteres Kind wollten 60 Prozent der Frauen mit drei Söhnen, aber nur 21 Prozent der Frauen mit drei Töchtern.

Abtreibung ist in Pakistan verboten, Schätzungen zufolge werden aber jährlich rund 2,2 Millionen Schwangerschaften abgebrochen, was oft daran liegt, dass Eltern keine Tochter wollen. Die zivilgesellschaftliche Edhi-Stiftung zählte 2019 in Karatschi fast 400 Leichen von Neugeborenen, die im öffentlichen Raum gefunden wurden. Es waren überwiegend ermordete Mädchen.

Viele arme Familien können sich nur begrenzt um ihre Kinder kümmern, worunter Töchter besonders leiden. Kinderehen sind oft die Folge wirtschaftlicher Not. 21 Prozent der Mädchen heiraten vor dem 18. Geburtstag. Zehn Prozent haben in diesem Alter schon selbst ein Kind. Dass Mädchen als Teenager heiraten, gilt im ländlichen Raum als normal.

Männerdominanz prägt das Rollenverständnis. Laut amtlichen Statistiken finden 52,7 Prozent der heranwachsenden Mädchen, Männer dürften ihre Ehefrauen schlagen. Die Daten belegen auch, dass ein Drittel der jung verheirateten Frauen häusliche und sexualisierte Gewalt erfährt. Der Weltbericht 2019 von Human Rights Watch enthält ähnliche Aussagen. Zur geschlechtsspezifischen Gewalt zählt er in Pakistan Vergewaltigungen, sogenannte Ehrenmorde, Säureattacken, Schläge in der Familie sowie erzwungene Ehen.

Pakistan ist von Armut geprägt. Die Behörden bleiben schwach. Den Alltag prägen Traditionen, nicht die förmliche Gesetzgebung. Um den Schutz der Menschenrechte ist es nicht gut bestellt, und Mädchen sind besonders gefährdet. Staatliche Stellen und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen mehr dafür tun, dass sie Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung bekommen. Mädchen müssen vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung geschützt werden. Ihre Aussichten müssen so verbessert werden, dass sie zu entscheidungsfähigen Staatsbürgerinnen heranwachsen. Geschlechterdiskriminierung ist unakzeptabel.

Es hat in den vergangenen Jahren Fortschritte gegeben, denn die Kluft zwischen den Geschlechtern war früher noch größer. Pakistan muss aber schneller vorankommen. Millionenfach werden jungen Mädchen noch immer grundlegende Rechte verwehrt. Breiter Wohlstand wird nicht Fuß fassen, wenn Frauen ihr eigenes Schicksal nicht in die Hand nehmen können. Die Männerdominanz muss überwunden werden. Unsere Nation kann es sich nicht leisten, das Potenzial der Hälfte der Bevölkerung ungenutzt verfallen zu lassen. Wenn es dabei bleibt, wird Pakistan nicht nur eines der schlechtesten Länder für Mädchen weltweit bleiben – sondern auch eines mit den schlechtesten wirtschaftlichen Perspektiven für alle.


Link
UNICEF, 2017: Situation Analysis of Children in Pakistan.
https://www.unicef.org/pakistan/media/596/file/Situation%20Analysis%20of%20Children%20in%20Pakistan.pdf


Mahwish Gul ist eine pakistanische Entwicklungsexpertin und lebt in Nairobi.
mahwish.gul@gmail.com