Kommentar
Umbruch in Nordafrika
Von Dirk Niebel
Die Jasminrevolution in Tunesien hat zu einem Umbruch der politischen Verhältnisse in der arabischen Welt geführt. Auch Ägypten ist vom „Wind of change“ erfasst. In Marokko hat König Mohammed VI. eine umfassende Verfassungsreform angekündigt, die demokratische Rechte in der jetzt schon vielfältigen Parteienlandschaft stärken soll. Auch in anderen Ländern der Region wird der Ruf nach demokratischen Veränderungen immer lauter. Die Tragweite der sich in Nordafrika und der arabi-schen Welt abzeichnenden Veränderungen wird vielen erst langsam bewusst und löst auch Besorgnis aus. Wichtig ist, dass alle in die Entwicklung einer Weltregion, in der die Freiheit Fuß fasst, Vertrauen setzen.
In dieser Situation ist Entwicklungspolitik wichtiger denn je. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit genießt hohes Ansehen und verfügt durch langjährige Erfahrung über bewährte Instrumente, um die Themenfelder „Gute Regierungsführung“, „Zivilgesellschaft und politische Partizipation“ sowie „Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung“ konzeptionell wie materiell maßgeblich zu fördern und zu begleiten.
Um möglichst schnell und wirksam helfen zu können, hat das BMZ drei Fonds bereitgestellt, die den entscheidenden Dreiklang der politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Wende abbilden, nämlich Demokratie, Bildung und Wirtschaft. Der Fonds für Demokratieberatung und struktur- und ordnungspolitische Unterstützung richtet sich im Wesentlichen an die politischen Stiftungen und andere zivile Kräfte. Wir wollen – ohne uns dem Vorwurf der staatlichen Einmischung auszusetzen – die Zivilgesellschaft fördern, und zwar jetzt, während sich die politischen Kräfte in den Reformländern neu ordnen.
Der Beschäftigungsfonds dient der Qualifizierung junger Menschen, vor allem im Bereich der beruflichen Bildung. Er soll helfen, vor allem für junge Menschen Perspektiven zu schaffen, denn: Freiheit von Diktatur allein genügt nicht. Nur wenn es gelingt, Perspektiven für gedeihliches Auskommen und Wohlstand zu schaffen, der aus eigener Kraft verdient werden kann, wird sich die Lage in den südlichen Nachbarländern stabilisieren. Zur Freiheit von Diktatur muss die Freiheit zur wirtschaftlichen Entfaltung treten. Der Wirtschaftsfonds bietet Refinanzierung von Krediten für kleine und kleinste Unternehmen. Er soll Möglichkeiten für unternehmerische Aktivität schaffen, zum Beispiel für Existenzgründer, und den Zugang zu Krediten verbessern.
Neben die Fonds treten erhebliche Mittel der bisherigen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit den Ländern der Region. Schwerpunkte der bisherigen Entwicklungszusammenarbeit waren Bereiche, die der benachteiligten Bevölkerung unmittelbar zugutekommen, etwa Wasserversorgung, Energie, Bildung und wirtschaftliche Entwicklung. Diese Zusammenarbeit werden wir fortsetzen und nach Möglichkeit ausbauen. Die aktuelle politische Entwicklung bietet darüber hinaus die Chance, Maßnahmen zur Unterstützung des demokratischen Wandels verstärkt und in Abstimmung mit unseren Partnern durchzuführen.
Deutschland steht bei dieser Aufgabe nicht allein. Immer wichtiger wird, die Anstrengungen vieler national wie international zu koordinieren. Die Europäische Union handelt dabei im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Diese steht vor neuen Herausforderungen. Ich sehe hier vor allem Chancen für weitere Handelserleichterungen und besseren Marktzugang der südlichen Nachbarländer der Europäischen Union. Die EU kann ihre Agrar- und Dienstleistungsmärkte für Nordafrika weiter öffnen – insbesondere ein beschleunigter, substantieller Abbau bestehender EU-Zölle wäre ein deutliches Signal der Unterstützung.
Wichtig bleibt dabei eine klare Differenzierung der Unterstützungsangebote, abhängig vom Stand des Transformationsprozesses. Darüber muss offen mit unseren Partnern gesprochen werden. Deutschland wird ihnen ein verlässlicher Partner sein.