Land Grabbing
Wachsende Nachfrage nach Land
Auch Lebensmittel wurden auf dem Weltmarkt schlagartig teurer. Dass die Zahl der Hungernden in der Folge von 800 Millionen auf über eine Milliarde ansteigt, lag dabei weniger daran, dass es zu wenig Nahrungsmittel gegeben hätte, sondern daran, dass arme Menschen sie sich nicht leisten konnten.
Mehrere Faktoren tragen zum langfristigen Trendwechsel der Agrarpreise bei. Dazu gehört unter anderem die Nachfrage nach Futtermitteln wegen des steigenden Fleischkonsums, nicht nur, aber vor allem auch in Schwellenländern. Allein in Argentinien hat sich der Anbau von Soja heute auf rund 200 000 Quadratkilometer ausgedehnt. Wichtig ist auch die Verwendung von Agrarrohstoffen für die Treibstoffproduktion. Das Wachstum der Weltbevölkerung ist ebenfalls ein relevanter Einflussfaktor.
In den Jahrzehnten vor der Preiskrise 2007/2008 wurden die Agrarregionen der Entwicklungsländer jahrzehntelang vernachlässigt. Das hatte unter anderem mit der Exportpolitik der reichen Welt zu tun, die ihre mit hohen Subventionen erzeugten Agrarprodukte mit weiteren Subventionen international absetzte. Deshalb konnten viele bäuerliche Produzenten weltweit kaum ein ausreichendes Einkommen aus der Landwirtschaft erzielen. Seit Mitte der 80er Jahre empfahl die Weltbank diesen Ländern deshalb, die Lebensmittel lieber auf dem preisgünstigen Weltmarkt einzukaufen und sich auf andere gewinnbringendere Agrarprodukte zu spezialisieren. Seitdem ist die Zahl der Nahrungsmittel importierenden Länder von früher unter 30 auf über 100 angestiegen.
Die lange Vernachlässigung des ländlichen Raums hat viele Dimensionen. Viele Staaten haben unzureichend in Agrarentwicklung und ländliche Entwicklung investiert, mit der Folge schlechter Infrastruktur mit unzureichenden Lager- und Transportmöglichkeiten. Unterstützungsleistungen für die Landwirtschaft fehlen in vielen Ländern, von Agrarberatung über Zugang zu Krediten, Wetterinformationen oder neuen Forschungsergebnissen. Institutionen des Staates sind in ländlichen Regionen nicht selten miserable. Meist fehlen funktionierende Katasterämter, so dass Landbesitz nicht ausreichend dokumentiert wird. In vielen ländlichen Regionen gibt es den Staat heute allenfalls als Skelett.
Wegen der Trendwende auf dem Weltmarkt steigt seit 2007/2008 das Interesse wichtiger internationaler Akteure an Bodenbesitz. Länder wie Saudi-Arabien oder China begannen sich zu fragen, ob sie sich wirklich darauf verlassen können, auf dem Weltmarkt immer zu bekommen, was für die Versorgung ihrer Bevölkerung nötig ist. Große Lebensmittelhersteller wie Kraft, Nestlé oder Unilever, die angesichts niedriger Preise lange glaubten, auf die Eigenproduktion von Agrarrohstoffen verzichten zu können, dachten um. Spätestens mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 wuchs auch das Interesse von Banken, Investmentfonds und so weiter an neuen Anlagemöglichkeiten – und Bodenspekulation ist eine Option als sichere Anlageform.
Investitionen in Land wurden also wieder attraktiv. Als Käufer treten in Entwicklungsländern seither ausländische Regierungen, staatliche Investitionsfonds, Agrar- und Lebensmittelkonzerne, Finanzunternehmen, Banken aber auch Angehörige heimischer Eliten auf. Damit drängen mächtige Interessengruppen in die bislang vernachlässigten Agrarregionen vor, in denen die institutionellen Strukturen schwach sind und die Rechte benachteiligter Bevölkerungsgruppen selten ausreichend geschützt werden.
Über den Umfang des Landerwerbs der neuen Investoren gibt es keine genau verifizierten Zahlen. Schätzungen der Landmatrix, einer zivilgesellschaftlichen Initiative, deuten darauf hin, das seit 2009 wahrscheinlich über 80 Millionen Hektar den Besitzer gewechselt haben. Oxfam schätzt, dass es sich bereits um über 200 Millionen Hektar Land handeln könnte. (mw)
Link:
Landmatrix:
http://www.landmatrix.org/en/