Abfallverwertung
“22 Kilogramm pro Kopf und Jahr“
Warum gehören alte Elektro- und Elektronikartikel nicht einfach in den Müll?
Diese Art von Schrott enthält viele verschiedene Stoffe. In einem gewöhnlichen Mobiltelefon steckt ungefähr die Hälfte der chemischen Elemente des Periodensystems – darunter Gold, Silber, Paladium, aber auch Cadmium und andere. Wenn diese teils wertvollen Ressourcen in den Hausmüll geraten, sind sie verloren. Wir brauchen sie aber, um Produktionskreisläufe langfristig aufrechtzuerhalten. Recycling nach Stand der Technik leistet das. Wenn darauf verzichtet wird, werden wesentliche Rohstoffe auf Dauer knapp und wir werfen tatsächlich Gold und andere Edelmetalle weg.
Bestehen bei falscher Entsorgung auch Gesundheitsrisiken?
Ja, denn in Schwellen- und Entwicklungsländern läuft Müllverwertung in der Regel im informellen Sektor. Ein typisches Problem ist, dass Leute das Kupfer aus Kabeln haben wollen, und deshalb die Plastikummantelung einfach auf offenem Feuer verbrennen. Dabei entstehen Furane und Dioxine – gefährliche Gifte, die den Rauch kontaminieren. Die betroffenen Menschen wissen, dass es Probleme gibt. Sie bekommen rote Augen, Atembeschwerden, Nierenprobleme und so weiter. Auch ihre Fruchtbarkeit kann leiden. Sie leben aber von dieser Art Arbeit. Ähnliche Probleme entstehen, wenn Gold in Säurebädern aus Computerplatinen ausgewaschen wird. Nebst Verätzungen sind Hautkrankheiten alltägliche Folgen. Obendrein wird die Säure meist nicht probat entsorgt, sodass die Umwelt leidet.
Es gibt eine Art weltweiten Handel mit E-Schrott. Entsorgen die reichen Nationen ihren Müll zu Lasten der ärmeren Länder? Ich habe neulich auf der Website des UN Environmental Programme (UNEP) gelesen, dass der Verbleib von 70 Prozent des E-Schrotts ungeklärt ist.
Der erste Global E-Waste Monitor von UNU mit Daten aus dem Jahr 2014 besagt, dass von 41,8 Millionen Tonnen E-Schrott im Jahr nur etwa 6,5 Millionen von offiziellen Rücknahmesystemen erfasst werden. Das sind nur 15 Prozent des Gesamtvolumens. Das bedeutet aber nicht, dass 85 Prozent in Entwicklungs- und Transitionsländern verschifft werden. Es gibt mehrere Szenarien, wo der Abfall landet, der nicht zurückgenommen wird. Ein Großteil kommt über den Mülleimer auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen. Ein gewisser Anteil wird auch außerhalb der offiziellen Rücknahmesysteme erfasst, zum Beispiel von Metall-Recyclern. Eine kleinere Menge gelangt in die informellen Abfallentsorgungs- und Recyclingsysteme von Schwellen- und Transitionsländern. Laut einer aktuellen Schätzung von Interpol, UNU und anderen Partnern beläuft sich der Anteil in Europa auf zehn bis 15 Prozent. Es ist verboten, E-Schrott aus OECD-Ländern in Entwicklungs- und Schwellenländer zu exportieren, da es diesen in der Regel an der Infrastruktur für das Recycling in seinen verschiedenen Stufen mangelt. Allerdings dürfen Gebrauchtwaren zur Weiterverwendung exportiert werden. Der Unterschied zwischen neuen und gebrauchten Produkten ist für Behörden aber oft kaum nachzuvollziehen. In Europa denken Verbraucher beispielsweise, Afrikaner würden gern Pentium-3-Computer oder alte Röhrenfernseher haben. Solche Geräte gelten aber auch in Afrika als veraltet, sodass es für sie keinen Markt gibt, auch wenn sie noch funktionstüchtig sind. Wenn sie als Second-Hand-Ware nach Afrika gelangen, landen sie also im Müll und werden ausgeweidet. So entsteht dann der falsche Eindruck, Export sei eine Entsorgungsstrategie. Das kommt zwar bei Nischenakteuren vor, die absichtlich mal den einen oder anderen Container voller Schrott als Gebrauchtware deklariert verschiffen. Als breites Geschäftsmodell funktioniert das aber, wenn überhaupt, nur bedingt. Der logistische Aufwand ist viel zu groß und entsprechend teuer.
Wissen Sie, welcher Anteil des deutschen Elektro- und Elektronikschrotts in Entwicklungs- und Schwellenländer ausgeführt wird?
Es geht um zehn plus/minus fünf Prozent – also maximal 15 Prozent. Das haben UNU Interpol und andere im Auftrag der EU ermittelt. Wichtig ist allerdings, dass es ein ökologisch legitimes Interesse an der Weiterverwendung alter Elektro- und Elektronikartikel in Entwicklungs- und Schwellenländern gibt. Die Herstellung dieser Geräte wird immer komplexer, sie erfordert enorme Quantitäten an Rohstoffen. Aus ökologischer Sicht ist es somit zu begrüßen, wenn Geräte möglichst lang im Einsatz sind – und zwar auch in Entwicklungsländern, wenn Verbraucher in der reichen Welt schon längst wieder modernere Technik wollen. Das Gros der Bevölkerung in Afrika oder Asien kann solche Geräte auch gut gebrauchen. Das gilt aber nicht für völlig veraltete Modelle.
Und was passiert, wenn die Geräte dann kaputt sind?
Das ist ein Problem, denn meist werden sie dann nicht nach dem Stand der Technik recycelt. In Entwicklungs- und Schwellenländern läuft Müllverwertung wie gesagt oft im informellen Sektor ab. Die Leidtragenden sind die Armen, die aber auch von dieser Arbeit leben müssen. Das wird politisch meist akzeptiert, und es ist sehr schwer, diese Branche zu formalisieren. Es gibt viele Akteure und lange Verwertungsketten. Eigentlich muss der E-Schrott wieder in die Industrieländer gebracht werden. Das geschieht aber in der Regel nicht. Die für probates Handling nötigen industriellen Prozesse überfordern Entwicklungsländer.
Was muss geschehen, um die Situation zu verbessern?
Wir brauchen mehr Aufklärung. In Deutschland ist der falsche Eindruck verbreitet, E-Schrott sei das Problem der Entwicklungsländer. Die Leute haben Bilder von schwarzen Kindern auf Müllhalden im Kopf. Sie wissen weder, dass in Deutschland pro Kopf und Jahr 22 Kilogramm Elektro- und Elektronikschrott anfallen, noch, dass Produktionskreisläufe gefährdet sind, weil wertvolle Ressourcen im Hausmüll landen. Es ist ohnehin absurd, dass die Müllabfuhr in Deutschland Papier separat für das Recycling einsammelt, es aber kein gutes System gibt, um E-Schrott zu sammeln. Es ist am einfachsten, das Zeug in die Tonne zu werfen, dabei muss es eigentlich in ein Recycling-Zentrum gebracht werden. Zum Teil können Verbraucher alte Geräte auch wieder im Fachhandel abgeben, aber das gilt nicht für alle Geräte.
Ist die Lage in Deutschland für Industrieländer typisch?
Nein, von manchen Ländern kann Deutschland sicher auch lernen. Das zeigen etwa wesentlich höhere Sammelquoten in der Schweiz. Bei uns ist die Lage unbefriedigend. Das gilt schon für die Daten. Wir kennen nur Rahmengrößen, wie die 22 Kilogramm pro Kopf, die ich eben genannt habe. Aber über die komplexen Stoffströme, die es gibt, wissen wir im Vergleich zu unseren Nachbarn wie Frankreich, Belgien oder den Niederlanden nur wenig.
Woran liegt das?
An dem Entsorgungssystem, für das sich der deutsche Gesetzgeber entschieden hat. Es baut auf Wettbewerb auf, aber es gibt zu viele kleine Verwertungssysteme, die untereinander konkurrieren. In einigen unserer Nachbarländer ist das anders. Dort wird ein Compliance-System betont, bei dem die Hersteller dafür bezahlen, dass sie die Verantwortung für fachgerechtes Recycling abgeben. International ist das deutsche Konzept auch höchst umstritten – und das, obwohl viele Deutsche denken, wir seien Weltmeister im Müllsortieren.
Reicht die internationale Institutionenordnung eigentlich aus, um die Probleme in den Griff zu bekommen?
Die nötigen Regularien existieren, aber die Implementierung ist schwach. Weil das wirtschaftliche Interesse am Zugang zu den Wertstoffen weltweit groß ist, besteht durchaus Druck, die Praxis zu verbessern. Jedoch verfolgen Nationalstaaten nebeneinander viele verschiedene Strategien, die nicht recht zusammenpassen. Auch internationale Organisationen entwickeln immer wieder eigene Ansätze. Unser Programm der UN-Universität arbeitet deshalb daran, alle UN-Organisationen ins Boot zu holen.
Rüdiger Kühr leitet das Programm „Nachhaltige Kreisläufe“ (SCYCLE) das am Bonner Campus der UN Universität angesiedelt ist. Zudem ist er Geschäftsführer der Initiative StEP (Solving the E-Waste Problem).
kuehr@unu.edu