Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Kritik an der Entwicklungspolitik

Weniger ist mehr

Die Deutschen helfen und geben gerne, Aufrufe zur Hilfe für Not leidende Völker und Regionen in Afrika treffen immer auf offene Ohren. Dabei wird aber erstaunlich selten gefragt, ob und wie diese Hilfe wirkt und wofür sie genau eingesetzt wird. Ent­wick­lungshilfe finanziert sich aus Steuern und wird ständig erhöht. Wer sie hinterfragt, lenkt Zorn auf sich – weil er damit die angeblich knappen Mittel gefährde; zudem macht er sich des Rassismus und der Herzlosigkeit verdächtig. Leider hat die viele Hilfe der letzten fünfzig Jahre tatsächlich wenig an der Misere in Afrika geändert. Mehr Entwicklungshilfe scheint gut für unser Image zu sein – ist ansonsten aber Unfug. Die afrikanische Bevölkerung kann sich nur selbst helfen.


[ Von Volker Seitz ]

Immer mehr Afrikaner kritisieren die Entwick­lungshilfe und lehnen sie ab, um endlich unabhängig zu werden. Sie selbst erkennen, dass 50 Jahre Entwicklungshilfe die Eigeninitiative auf dem Kontinent nicht gefördert haben.

Allerdings wird kritischen Afrikanern nur ungern zugestanden, die Wirklichkeit ihres Kontinents besser zu kennen, als es die westlichen Experten zu tun glauben. Also unterstellt man ihnen, mit „banalen Ideen“ provozieren und sich ins Rampenlicht stellen zu wollen, und etikettiert sie als „umstritten“. Was interessiert die Meinung der Afrikaner, wenn Weiße beschließen, ihnen zu „helfen“? Im Gegenteil: Sie thematisieren nur unbequeme Wahrheiten – nicht zuletzt, weil afrikanische Regime und die internationale Medienwelt das Elend der Bevölkerung systematisch als Ressource nutzen.

Agrarpolitische Konzepte fehlen und die Bauern werden vernachlässigt. Mit der Landwirtschaft in den Ländern südlich der Sahara geht es seit Anfang der 80er Jahre stetig bergab. Kaum eine afrikanische Regierung kümmert sich um Pisten, Straßen, Lagerhäuser, Vermarktungsinstrumente oder Weiterverarbeitungsfabriken. Die Eliten interessieren sich nicht für Entwicklung und Infrastruktur ländlicher Gebiete und somit für Ernährungssicherung. Das Einkommen der Bauern sinkt und die jungen Leute wandern in die Städte ab, wo sie als Arbeitslose für Unruhe sorgen.

Um so erfreulicher ist es, dass immer mehr Afrikaner das Wort ergreifen. Der südafrikanische Politikwissenschaftler und jüngere Bruder des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki, Moeletsi Mbeki, berichtet in seinem 2009 erschienenen Buch „Architects of Poverty“, wie sich die nach der Unabhängigkeit in den afrikanischen Staaten herangebildete Elite kräftig am Reichtum ihrer Länder bediente. Nach der Unabhängigkeit durften die Bauern ihre Produkte nicht selbständig international verkaufen, sondern nur zu deutlich niedrigeren Preisen an die staatlichen Vermarktungsorganisationen. So blieben die Landbewohner – rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung – abhängig vom Staat, während die Eliten die Gewinne abschöpften.

Hungersnöte in Diktaturen

Der indische Nobelpreisträger Amartya Sen konnte nachweisen, dass es in unabhängigen demokratischen Ländern mit freier Presse nie Hungersnöte gab. Dazu kommt es nur in Diktaturen, wo die Eliten im Überfluss leben und ausländische Produkte in den Supermärkten der Hauptstadt kaufen. Die Ärmeren, die gerade einmal den täglichen Bedarf decken können, nimmt die Politik nicht wahr.

Nahrungsmittelhilfen erhöhen die Abhängigkeit von außen. Das landwirtschaftliche Potenzial der Entwicklungsländer muss stärker genutzt werden – das ist die Voraussetzung für Hungerbekämpfung. Investitionen in die Infrastruktur der Landwirtschaft sind dafür am besten geeignet.

Bei gutem Investitionsklima und funktionierendem Rechtswesen entwickeln sich die Länder schneller. Eigentumsgarantien, durchsetzbare Vertragsrechte und institutionelle Rahmenbedingungen mit effizienten Verwaltungen erlauben, dass Kapital wirksam eingesetzt werden kann. Zudem müssen die zur Umsetzung dieser Vorschriften zuständigen Beamten geschult werden, damit überhaupt eine kohärente Rechtsanwendung möglich ist. So lange das nicht der Fall ist, werden viele afrikanische Länder von internationalen Unternehmen als High Risk Locations bewertet. Man fragt sich, warum man in einem Land investieren soll, wo Chaos ausbricht, sobald der Präsident eine Wahl verliert, wie etwa in Kenia oder Simbabwe.

Nach wie vor gilt, was Peter Eigen, der 1993 Transparency International (TI) als unabhängige Kontroll­instanz gegen die weltweite Korruption gründete, sagt: „Viele Entwicklungsländer sind arm, weil sie korrupt sind.“ Wer behauptet, Korruption in Afrika sei ein bedauerliches kulturelles Phänomen und unlösbar, beleidigt die Afrikaner. Viele Länder sind wegen verantwortungsloser Eliten arm. Eine Regierung, die den Kampf gegen Korruption ernst nimmt und gesamtwirtschaftliches Wachstum anstrebt, muss die emotionale und moralisierende Ebene persönlicher Anschuldigungen verlassen und den durch Korruption verursachten Schaden schätzen, beziffern und durchschaubar machen.

Unzureichende Wirkungsprüfung

Ob unsere Hilfe taugt oder nicht, zeigt sich daran, inwieweit sie das Engagement der Afrikaner stärkt und sie dazu bringt, sich selbst um die Entwicklung ihres Kontinents zu kümmern. Im Mai 2009 kamen Wissenschaftler des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) und der Universität Saarbrücken zu dem Ergebnis, dass die so genannte Wirkungsprüfung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) und der Durchführungsorganisationen nur unzureichend organisiert ist. Zudem kritisieren sie, dass staatliche Institutionen bei dieser Überprüfung die ausländischen Partner nicht ausreichend einbinden. „Während die Kirchen und die Deutsche Welthungerhilfe das intensiv und erfolgreich tun, verzichtet die staatliche Seite weitgehend darauf.“ Das gefährde die Glaubwürdigkeit einer Kontrolle der eigenen Arbeit.

Lobbyisten der Entwicklungshilfe behaupten, Zahlungen und deren Wirkung würden unabhängig geprüft und die Rechnungshöfe in den Ländern unterstützten den Prozess. Mir ist kein Parlament und kein Rechnungshof bekannt, der das tut. Die Empfängerregierungen müssen keineswegs transparent nachweisen, dass Strategien gegen Armut auch wirklich umgesetzt werden.

Wer prüft, analysiert und wertet, stößt auf gereiztes Misstrauen und Feindschaft – die kamerunische Entwicklungshilfekritikerin Axelle Kabou etwa, deren 1993 erschienenes Buch „Weder arm noch ohnmächtig“ 2009 neu aufgelegt wurde, versteckt sich bis heute in Frankreich. Denn immerhin sorgt eine arme Bevölkerung dafür, dass Entwicklungshilfe ins Land fließt. Die Entwicklungshilfe ist zu einer Riesen­industrie herangewachsen, der es peinlich ist, für gewährte Hilfe einen Leistungsnachweis zu fordern.

Wenn in Afrika die Not zurückgehen soll, kann das nur in eigener Verantwortung der Menschen dort geschehen (siehe Kasten vorherige Seite). Armutsbekämpfung kann sich nicht in sozialen Hilfsprogrammen erschöpfen; sie muss immer auch Erwerbsmöglichkeiten der Basis fördern. Am Ende sollte das zählen, was Bestand hat.

Den Schlüssel zur Entwicklung ihres Kontinents haben die Afrikaner und sie allein. Das betonten als erste westliche Politiker US-Präsident Barack Obama in seiner Rede in Accra im Juli 2009 und seine Außenministerin Hillary Clinton in Kenia im August 2009 gegenüber der afrikanischen Bevölkerung. Afrikas Potential könne sich nur entfalten, wenn die Eliten begriffen, dass Korruption, schlechtes Regieren und fehlende demokratische Strukturen die Entwick­lung des Kontinents gefährden. Vielleicht hilft der „Obama-Effekt“, die Absurdität und den Irrwitz des „weiter so“ auch in unserer Entwicklungspolitik abzustellen.

Vorbild Ruanda

Am besten wäre es, dem Kontinent die Freiheit zu lassen, seine eigenen Probleme ohne übereifrige Geber­organisationen zu lösen. Die unverantwortlich agierenden Führungen müssen an ihre Verantwortung erinnert werden. Bisher haben sie es sich zu leicht gemacht, wenn sie meinten, die Hauptschuld für fehlgeschlagene Entwicklung an ausländische Geber „outsourcen“ zu können. Wenn Afrika aus eigener Kraft genesen will, bedarf es einer grundsätzlichen Einsicht in das Notwendige. Echte Reformen beginnen mit Selbstkritik und Reflexion, auch wenn das die afrikanischen Eliten nicht gerne hören. Es bedarf des Willens zu tief greifenden Reformen.

Der Präsident von Ruanda hat gezeigt, wie das geht. Er hat viel in Bildung und Gesundheit investiert. Seine Regierung hat alles ausprobiert, um den richtigen Weg zu finden. Ruanda hat einem Bericht der Weltbank vom September 2009 zufolge seine Wirtschaftsgesetzgebung und die dazugehörenden Institutionen weiterentwickelt. Nach Verbesserungen bei der Kreditvergabe und einem neuen Insolvenzrecht zählt die Weltbank Ruanda zu den Top-Reformern. Wegen seiner eigenständigen Entwicklung wird Ruanda als Erfolgsgeschichte des Kontinents gesehen.

Es sollte öffentlich debattiert werden, wie sich ein Land entwickeln soll. In vielen afrikanischen Ländern haben die Bürger nicht das Gefühl, dass die Regierungen ihre Interessen vertreten. Wir sollten endlich eine kritische und ehrliche Debatte über unsere Entwick­lungspolitik führen und überlegen, wie Entwicklungsländer sich von einer Hilfe lösen können, die ihre Armut nicht beseitigen kann.

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