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IWF

Der riesige IWF-Kredit für Argentinien war fehlkonzipiert

Bei seinem 57-Milliarden-Dollar-Rettungsschirm für Argentinien hat der IWF viele Fehler gemacht. Nun zieht er Lehren daraus.
Corona-Testzentrum in Buenos Aires: Die Pandemie hat die Wirtschaftskrise vertieft. picture alliance / REUTERS / Agustin Marcarian Corona-Testzentrum in Buenos Aires: Die Pandemie hat die Wirtschaftskrise vertieft.

Im Juni 2018 lieh der International Währungsfonds (IWF) Argentinien 50 Milliarden Dollar. Später wurde die Summe auf 57 Milliarden Dollar erhöht. Es war das größte Darlehen in der IWF-Geschichte – und das 21. für Argentinien.

Der Rettungsschirm sollte den Kapitalabfluss stoppen, den schwachen Peso stärken und Investoren anlocken. Als Gegenleistung versprach der konservative Präsident Mauricio Macri, die Staatsausgaben zu senken und die Inflation in den Griff zu bekommen.

Die Rechnung ging nicht auf. Die Kapitalflucht hielt an, der Peso sank weiter und die Verbraucherpreise stiegen schnell. 2019 gewann der linksgerichtete Alberto Fernández die Präsidentschaftswahl und trat im Dezember das Amt an. Seine Regierung kündigte den Vertrag mit dem IWF und begann, Schulden mit Privatanlegern neu zu verhandeln. Der IWF hatte bereits 45 Milliarden Dollar ausbezahlt.

Mittlerweile räumt der IWF das Scheitern seines Rettungsschirms ein. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht konstatiert er, er habe die Ziele nicht erreicht, zu denen die Wiederherstellung des Vertrauens im In- und Ausland sowie Wirtschaftswachstum gehörten (siehe hierzu meinen Essay von Ende 2020 auf www.dandc.eu).

„Zu fragil“

Den Autoren zufolge hat das Scheitern mehrere Ursachen. Im Kern räumen sie ein, dass der Rettungsschirm falsch konzipiert war. Sie schreiben, die Strategie sei in Relation zu den hohen Risiken „zu fragil“ gewesen. Gemeint ist damit, dass der Fonds zunächst weder die Reichweite noch die Komplexität der argentinischen Probleme richtig einschätzte und später dann nicht angemessen auf das sich schnell verändernde Szenario reagieren konnte.

Die Vorgeschichte ist wichtig. Argentinien erlebte 2001 eine Staatspleite und entkam der finanziellen Quarantäne erst  2016 durch ein Abkommen mit den letzten Kreditgebern. 2017 gelang der Regierung dann erstmals überhaupt die Auflage 100-jähriger Staatsanleihen auf internationalen Finanzmärkten. Schon im April 2018 setzte dann aber eine klassische Anlegerpanik ein. Viele Argentinier wechselten Peso-Guthaben in Dollar um. Folglich sank der Wechselkurs und die Inflation stieg. Gemessen an der Wirtschaftsleistung schnellte die in Dollar gemessene Staatsverschuldung hoch, während die Staatsfinanzen auf Pesos beruhten und begrenzt waren. In diesem Kontext war ein riesiger Dollar-Kredit hoch riskant, selbst wenn er von Wirtschaftsreformen begleitet wurde.

Ein weiteres Problem war, dass internationale Anleger den Rettungsschirm an sich beunruhigend fanden. Ihnen war klar, dass er scheitern könnte – und dass ihre eigenen Kredite dann zurückgestellt werden würden, weil multilaterale Institutionen nun mal zuerst bedient werden. Das-IWF Geld floss, obwohl das Vertrauen noch nicht wiederhergestellt war, und die riesige Summe trug selbst zum Scheitern bei.

Mangelhafte Risikoabschätzung  

Das IWF-Papier benennt weitere Fehler. So hätte etwa das Risiko des Scheiterns realistischer bewertet werden müssen. Wegen unrealistischer Hoffnungen wurde nicht früh genug erkannt, dass das Konzept fehlschlug. Wenn Staatsfinanzen auf Messers Schneide stehen, ist es besonders wichtig, Warnsignale früh zu erkennen. Die IWF-Autoren schreiben nun, wenn Kreditziele außer Reichweite geraten, müsse die Notbremse gezogen werden.

Aus ihrer Sicht hätte IWF Argentinien auch zu harten Maßnahmen wie etwa Kapitalkontrollen drängen sollen. Es wäre klug gewesen, den Abfluss harter Währungen aus Argentinien zu stoppen. Die Regierung in Buenos Aires wollte das aber nicht, unter anderem, um Zuversicht zu signalisieren. Der IWF gab nach, was im Rückblick falsch war.

Dem IWF-Papier zufolge war es auch leichtsinnig, auf andere sinnvolle Option zu verzichten. So hatte der IWF beispielsweise einen Mechanismus vorgeschlagen, um im Krisenfall mildere Rückzahlungsbedingungen aushandeln zu können. Das hätte zum Erfolg führen können, wurde aber von Argentinien ebenfalls abgelehnt.

Zwei Währungen  

Verheerenderweise stellte sich der IWF auf eines der größten argentinischen Probleme gar nicht ein – und zwar, dass die Volkswirtschaft zwei Währungen verwendet. Als die Krise 2018 einsetzte, beliefen sich die Schulden überwiegend in Dollar, aber die Wirtschaftsleistung wird in Peso erbracht. War die nationale Währung vor der Krise noch leicht überbewertet, war sie bald darauf deutlich unterbewertet. In Dollar gemessene Verschuldung wuchs, und der Kurs des Peso sank weiter. Entsprechend stieg die Schuldenquote 2018 von 57,1 Prozent auf 86,3 Prozent.

Das war ein reiner Währungseffekt, der vollständig auf die Abwertung zurückgeführt werden kann. Fiskalpolitik (Steuern und Staatsausgaben) hat darauf kurzfristig keine Wirkung. Ohne festen Wechselkurs ist das Problem zweier Währungen nur schwer lösbar. Die argentinische Regierung wollte aber keinen festen Wechselkurs, weil das in der Finanzkrise von 2001 zur Katastrophe beigetragen hatte (siehe Jorge Saborido on www.dandc.eu). Es hätte in der aktuellen Krise vielleicht funktioniert, den Peso am Anfang stark abzuwerten und dann auf niedrigem Niveau einen festen Wechselkurs einzuführen. Das wurde aber gar nicht versucht, denn der IWF akzeptierte die argentinische Ablehnung, was den möglichen Erfolg untergrub. Das Investorenvertrauen blieb jedenfalls aus.  

Letztlich besiegelten aber nicht die Märkte sondern die Politik das Scheitern des IWF-Kredits.  Als Macri 2019 die Vorwahlen verlor, entgleisten die Dinge. Die Kurse von Peso und argentinischen Aktien stürzten ab. Als Risikoprämie wurden für argentinische Staatsanleihen 14 Prozent mehr Zinsen als für US-Bonds gezahlt. In Argentinien änderten dann die Sieger der nationalen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen die Politik. Am 24. Juli 2020 kündigte die Fernández-Regierung das Abkommen mit dem IWF.

Dieser Ablauf deckte eine weitere Schwäche der IWF-Politik auf. Der Fonds hatte keinen Plan B für den Fall politischen Wandels. Vor allem die Aussicht auf politische Veränderungen sorgten aber 2019 für Verunsicherung.

Was nun kommt

Wie viele Volkswirtschaften hat auch die argentinische heftig unter der Covid-19-Pandemie gelitten. Das Land braucht ein neues Abkommen mit dem IWF, und in Grundzügen steht es auch schon. Es wird also bald einen neuen umstrittenen Kredit geben, mit dem der alte bedient wird. Die Argentinienprobleme werden das Ansehen des IWF also weiter belasten.  

Das IWF-Dokument zieht klare Lehren. Rettungsschirme müssen den jeweiligen nationalen Bedingungen entsprechen, und dazu gehört die Beachtung des politischen Kontexts. Regierungen brauchen zudem für Schuldenprobleme gut konzipierte Zielmarken, und dabei sind Währungsprobleme zu berücksichtigen. Für den Fall von Finanzkrisen sollten sowohl der IWF als auch seine Kreditnehmer eine Vielfalt von Instrumenten akzeptieren.

Der IWF soll in Krisenzeiten für neue Stabilität sorgen. Die andauernde Krise Argentiniens erfordert viele Mittel in Zeiten, in denen viele Länder mit niedrigen Einkommen Unterstützung brauchen (siehe Kathrin Berensmann auf www.dandc.eu) . Die IWF-Praxis muss weiter verbessert werden, damit sein Geld dahin fließt, wo es am dringendsten gebraucht wird.  


Link
IWF-Evaluierung des Argentinien-Rettungsschirms:
www.imf.org/en/Publications/CR/Issues/2021/12/22/Argentina-Ex-Post-Evaluation-of-Exceptional-Access-Under-the-2018-Stand-By-Arrangement-511289


José Siaba Serrate ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Buenos Aires und der dortigen Privatuniversität des Centre for Macroeconomic Study (UCEMA). Er ist zudem Mitglied des Argentinischen Rats für Internationale Beziehungen (CARI).
josesiaba@hotmail.com

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