Krebs

Teufelskreis der Angst

Wie in anderen afrikanischen Ländern entwickelt sich Krebs in Benin zu einem der größten Gesundheitsrisiken. Im Großraum Cotonou und anderen Städten haben Patienten zumindest die Chance, Fachärzte zu konsultieren. Dort gibt es staatliche Krankenhäuser und – für die, die es sich leisten können – private Kliniken. Auf dem Land ist die Gesundheitsinfrastruktur aber schwach. Zudem verhindern Armut, Unkenntnis und Tabus sachgerechte Behandlung.
Wer es sich leisten kann, geht für eine moderne Krebsbehandlung nach Marokko, Südafrika oder Frankreich: Strahlentherapie in Paris. picture-alliance/phanie Wer es sich leisten kann, geht für eine moderne Krebsbehandlung nach Marokko, Südafrika oder Frankreich: Strahlentherapie in Paris.

Die 42-jährige Josephine verkauft Lebensmittel in Benins bevölkerungsreichster Stadt Cotonou. Sie hat zwei Söhne im Alter von 19 und 16 Jahren. Das Leben in Entwicklungsländern ist entbehrungsreich, doch bis Ende 2016 kam Josephine gut zurecht. Sie konnte ihre Kinder ernähren, und ihr Ehemann Paul, ein 45-jähriger Schreiner, gab ihr zu Monatsbeginn regelmäßig 35 000 CFA-Francs (etwa 50 €) für die Haushaltskasse.

Eines Morgens plagten Josephine heftige Bauchschmerzen, gegen die Schmerzmittel nichts halfen. In den nächsten Wochen wurde es schlimmer. Bald setzten heftige Blutungen ein, auch außerhalb ihrer Periode.

Ihrem Mann erzählte Josephine zunächst nichts. Sie war unsicher, wie er reagieren würde. Sie suchte einen Gynäkologen auf. Der Abstrich gab keinen Hinweise auf Ursachen, sodass der Arzt ihr zu einer Blutuntersuchung riet. Josephine konnte die Sache nun nicht mehr geheim halten und vertraute sich ihrem Mann an. Er übernahm ohne Fragen die Kosten der Untersuchung. Ein Krebsspezialist stellt dann die Diagnose: Gebärmutterhalskrebs.


Ein Todesurteil

Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs und Leberkrebs sind in Benin weit verbreitet. Die Diagnose Gebärmutterhalskrebs gilt als Todesurteil, denn allzu viele Menschen haben Angehörige wegen dieser Krankheit verloren. Das eigentliche Problem ist aber, dass Menschen mit geringem Einkommen sich keine Behandlung leisten können. Folglich verschlechtert sich auch der Zustand junger Patientinnen, bis sie sterben.

Ähnlich gefährlich ist Brustkrebs. Nach einer aktuellen Studie der Klinik der Hubert Koutoukou Maga University in Cotonou erkranken daran hauptsächlich Frauen zwischen dem 40. und 45. Lebensjahr. Männer über 50 Jahre tragen ein hohes Prostata- und Leberkrebsrisiko.

Oft werden Krebspatienten von Nachbarn stigmatisiert. Sie verstecken sich, um ihr Siechtum zu verbergen. In der Regel erfahren sie jedoch Unterstützung von der Verwandtschaft.

Freddy Gnangnon ist einer der wenigen Krebsspezialisten in Cotonou. Er sagt, in vielen Teilen Benins – besonders in ländlichen Gebieten – sei die Krankheit ein Tabu (siehe Kasten). Viele Menschen glaubten, Krebs beruhe auf dem Fluch eines zornigen Geists. Voodoo und ähnliche religiöse Praktiken sind in Benin verbreitet, und viele Menschen assoziieren Krankheit und Tod mit dem mangelnden Respekt vor den Geistern des Voodoo-Pantheons.

Laut Gnangnon meinen viele zudem, Krebs sei unheilbar. Sie fürchten sich vor der Diagnose und gehen deshalb erst dann zum Arzt, wenn auch moderne Medizin nichts mehr ausrichten kann. Wird Krebs früh erkannt und behandelt, ist er meist beherrschbar. Doch was nützt eine Diagnose, wenn Patienten genau wissen, dass sie die Behandlung nicht bezahlen können? Vor diesem Dilemma stehen viele Menschen in Benin. Eine frühe, korrekte Diagnose nützt ihnen nichts.

Gebärmutterhalskrebs wird durch Papillomaviren verursacht, die beim Geschlechtsverkehr übertragen werden. Auf genetische Ursachen gibt es keine wissenschaftlichen Hinweise, sagt der Facharzt. Gegen die Viren ist eine Impfung möglich – aber eine Dosis kostet 20 000 CFA. Das ist bereits die Hälfte des offiziellen monatlichen Mindestlohns. Geschlechtsverkehr ist ein sehr intimes Thema. Die wenigsten jungen Frauen bitten ihre Eltern oder Partner um Geld für die Impfung, die sie vor Viren und Krebs schützen könnte.

Eine Krebsbehandlung ist in Benin schwer zu bekommen und extrem teuer. Chemotherapie ist für die meisten unbezahlbar, sagt der Onkologe Gnangnon. Eine einzelne Behandlung mit dem Mittel Trastuzumab kostet dreißigmal so viel wie der Mindestlohn. Manche Patientinnen genesen nach 18 Sitzungen – viele aber brauchen mehr.

Selbst die preiswerteste Chemotherapie ist für viele unerschwinglich. Zudem hat das staatliche Gesundheitswesen die verschriebenen Medikamente oft nicht vorrätig, sodass Patienten sie sich teurer in privaten Apotheken beschaffen müssen. Es gibt kein öffentliches Versorgungssystem, das arme Menschen – also die breite Masse der Bevölkerung – gratis behandeln würde. Die meisten Beniner arbeiten ohne soziale Sicherung im informellen Sektor (siehe meinen Artikel in E+Z/D+C e-Paper 2017/11, S. 16).

Siebzig Prozent der Brustkrebspatientinnen in Benin suchen erst in Stadium III oder IV einen Arzt auf, wie die Studie der Hubert Koutoukou Maga University gezeigt hat. Folglich ist die Sterberate sehr hoch. In reichen Ländern scheuen manche Menschen eine Diagnose, weil sie Angst vor der Therapie haben. Brustamputationen können das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen von Frauen beeinträchtigen. Wenn Patienten während einer Chemotherapie ihre Haare verlieren, kann das ähnliche Folgen haben. Doch in einem Entwicklungsland wie Benin haben Menschen vor allem deshalb Angst vor der Diagnose, weil sie wissen, dass sie die Therapien, die für ihr Überleben nötig sind, nicht bezahlen können.

Die medizinische Infrastruktur ist in Benin extrem schlecht. Nuklearmedizin und Strahlentherapie gibt es Gnangnon zufolge gar nicht. Letztere könnte vielen helfen, doch entsprechende Geräte fehlen. Gnangnon kann Patienten, die ihn in seiner Privatpraxis im Zentrum Cotonous aufsuchen, keine Strahlentherapie anbieten. Manchmal haben Gesundheitsdienstleister nicht einmal genug Morphium, um die schlimmsten Schmerzen zu lindern.

Es gibt weitere Faktoren, die zur Krebsepidemie in Benin beitragen. Kontaminierter Rauch und Luftverschmutzung verursachen Atemwegserkrankungen. Gnangnon beunruhigt zudem der steigende Tabak- und Alkoholkonsum junger Leute, der Gesundheitsprobleme verursacht und verschlimmert.

Patienten, die es sich leisten können, reisen für die Krebsbehandlung nach Marokko, Südafrika oder Frankreich. Das ist sehr teuer. Die Behandlung allein kostet mehrere tausend Euro. Die Lebensmittelverkäuferin Josephine kann sich das nicht leisten. Wegen ihrer Krankheit ist die finanzielle Situation ihrer Familie heute prekär. Josephines Fähigkeit, mit Arbeit Geld zu verdienen, schwindet – aber die Kosten, die die Krankheit verursacht, steigen.

Wenn die Aussichten für Krebspatienten so trostlos bleiben, werden sich Menschen weiter scheuen, sich frühe Diagnosen zu beschaffen, und dann kann jegliche medizinische Hilfe nur zu spät kommen. Um dem Teufelskreis zu entkommen, braucht Benin ein besseres Gesundheitswesen.


Karim Okanla ist Dozent für Medienwissenschaften, Kommunikation und Internationale Beziehungen an der Houdegbe North American University in Cotonou, Benin.
karimokanla@yahoo.com