Entwicklung und
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Armutsbekämpfung

Zur Armutsbekämpfung braucht es faire Preise

Um Armut an der Wurzel zu bekämpfen, sollten Regierungen dafür sorgen, dass Angestellte und Bauern angemessen bezahlt werden. Da Marktpreise oft verzerrt sind, sollten die Mechanismen der Preisbildung geändert werden.
Fairtrade Bananen im Angebot in deutschem Supermarkt. picture alliance / photothek / Felix Zahn Fairtrade Bananen im Angebot in deutschem Supermarkt.

Viele Menschen in Entwicklungsländern verdienen zu wenig, um sich und ihre Familien gut zu ernähren. Einige Gründe sind niedrige Löhne für Arbeiter, und geringe Preise, die Kleinbauern verlangen können. 

Um Armut grundlegend zu bekämpfen, müsste die Art und Weise der Preisfestsetzung verändert werden. Die Preise für landwirtschaftliche und industrielle Erzeugnisse sollten so sein, dass sie jenen, die sie erwirtschaften, angemessene Einkommen sichern. Ein fairer Preis muss das Minimum abdecken, das ein Hersteller für Produktionskosten und Löhne braucht – plus einer Marge für Investitionen. 

Verzerrte Marktpreise

Bei der Debatte über Preisgestaltung geht es meist um Marktpreise, die durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. In der klassischen Wirtschaftstheorie ist der Marktpreis der Preis, bei dem Angebot und Nachfrage nach einem Produkt ausgewogen sind. Im Alltag bestimmen jedoch etliche weitere Faktoren, die nichts mit Angebot und Nachfrage zu tun haben, den Marktpreis. Dass Marktpreise von „Gleichgewichtspreisen“ abweichen, hat mehrere Gründe:

  • manche Märkte sind unausgewogen, weil sie nur einen oder wenige Abnehmer haben
  • Subventionen, Import-/Exportbeschränkungen und andere staatliche Eingriffe können Preise verzerren
  • der Bedarf verarmter Verbraucher ohne Kaufkraft taucht beim Gleichgewichtspreis nicht auf

Angesichts dieser Verzerrungen sollten sich politisch Verantwortliche von orthodoxen Ideen zur so genannten Marktpreisgestaltung distanzieren und auf ethische und faire Ansätze fokussieren. Das legt schon die Menschenrechtserklärung von 1948 nahe. In Artikel 23 heißt es, dass „jeder, der arbeitet, das Recht auf eine gerechte und angemessene Vergütung“ hat. In Artikel 25 ist zudem das Recht des Arbeitnehmers „auf einen Lebensstandard, der ihm und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden sichert, inklusive Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige Sozialleistungen“ verankert.

Auch die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) weisen in diese Richtung. SDG 1 lautet „Keine Armut”, SDG 2 „Kein Hunger” und SDG 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum”. Bestimmte Branchen haben Verhaltenskodizes etabliert, viele Privatunternehmen haben sich zur sozialen Unternehmensverantwortung verpflichtet. Vieles davon wäre unnötig, wenn Marktpreisbildung wirklich so funktionieren würde, wie die klassische Wirtschaftstheorie suggeriert.

Existenzsicherndes Einkommen

Das Bewusstsein dafür, dass es eine andere Preispolitik braucht, wächst. Initiativen konzentrieren sich darauf, einen existenzsichernden Lohn für Arbeiter und ein existenzsicherndes Einkommen für Bauern zu erreichen.

  • Ein „existenzsichernder Lohn“ deckt die Kosten für Essen (günstige nahrhafte Ernährung), Wohnen (gesunde Grundversorgung) und andere wesentliche Dinge (Schulgeld, Gesundheitsversorgung) sowie einen kleinen Betrag für Notfälle.
  • Ein „existenzsicherndes Einkommen“ ist das Netto-Haushaltseinkommen, das Bauersfamilien einen angemessenen Lebensstandard und Investitionsspielraum ermöglicht – auch für Investitionen, die Kleinbauern etwa in Geräte und Saatgut machen müssen, um mit der Klimakrise zurecht zu kommen.

Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organization – FAO) waren 2018 mehr als 820 Millionen Menschen unterernährt. Die FAO befürchtet, dass die globale Erwärmung bis 2030 weitere 122 Millionen Menschen in die extreme Armut treiben könnte. Auch die Weltbank berichtet, dass „Konflikte und Klimawandel die extreme Armut in Teilen der Welt seit Jahren verstärken“.

Besserer Ansatz

Gut ist, dass sich Entwicklungsorganisationen wie die deutsche GIZ oder Fairtrade, ein globaler Dachverband, zu dem weltweit mehr als 1,8 Millionen Landwirte gehören, seit Jahren auf die Förderung einer fairen Preispolitik konzentrieren. Weiterer Befürworter einer Preisreform ist Voice, ein globales Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, das sich für Nachhaltigkeit im Kakaosektor einsetzt.

Eine solche Reform würde den Fokus auf die Bedürfnisse der Erzeuger richten, statt sich auf die imaginäre, „unsichtbare Hand“ des Marktes zu verlassen. Reformer haben ein Modell für faire Preisgestaltung in der Landwirtschaft entwickelt, das Bauern, die unterschiedliche Feldfrüchte anbauen, ein existenzsicherndes Einkommen bieten würde. Es legt für jedes Produkt einen fairen Preis fest.

Dafür rechnet es die Produktionskosten der Landwirte, das für einen angemessenen Lebensunterhalt nötige Einkommen und weiteren Investitionsbedarf zusammen. Diese Summe wird durch die erwarteten Erträge geteilt. Natürlich kann ein Landwirt höhere Erträge erzielen, wenn er besseres Saatgut verwendet, mehr Land nutzt, die Bewässerung verbessert oder Düngemittel effektiver nutzt.

Die Preiskalkulation berücksichtigt dies, indem sie einen Betrag auf den Preis aufschlägt, damit der Landwirt solche Verbesserungen vornehmen kann. Natürlich wäre es auch sinnvoll, dafür zu sorgen, dass die Preisgestaltung eine nachhaltige Landnutzung fördert, statt eine nicht nachhaltige Monokulturproduktion zu maximieren (siehe Susanne Neubert auf www.dandc.eu).  

Eine solche Preiskalkulation erhöht nicht zwangsläufig die Preise für Konsumenten. Sobald Hindernisse in der Lieferkette beseitigt sind, ist es oft möglich, Haushaltsausgaben stabil zu halten. Übliche Hindernisse sind:

  • subventionierte Lebensmittelimporte, die lokale Landwirte benachteiligen, 
  • Verdrängung lokaler Produkte durch Nahrungsmittelhilfe und
  • Engpässe in der Vermarktungskette.

Regierungen sollten solche Hindernisse abschaffen, damit die Verbraucher keine exzessiven Preise zahlen müssen. Das würde zugleich die Chancen der Kleinbauern erhöhen.

Man kann nicht genug betonen, dass faire Preise für Industrieerzeugnisse und Agrarprodukte der ganzen Gesellschaft zugutekommen. Höhere Einkommen für schlecht bezahlte Arbeiter erhöhen die Gesamtkaufkraft, die wiederum das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Bessere Löhne für arme Familien ermöglichen Bildungschancen, weil Eltern ihre Kinder dann eher in Schulen und Hochschulen schicken. Natürlich ist das eigentliche Ziel eine gerechtere Gesellschaft – davon hätten alle etwas.


Ruud Bronkhorst ist Ökonom für ländliche Entwicklung und Autor des kürzlich erschienenen Buches „Economics of human rights: Using the living income/fair price approach to combat poverty” (Cham, Switzerland, 2020: Springer Nature). Er lebt in den Niederlanden. rbronkh@infobridge.org
rbronkh@planet.nl