Twitter als Spielball für Oligarchen
Twitter ist im globalen Süden weniger verbreitet als andere soziale Medien wie etwa WhatsApp, Telegram, TikTok oder Facebook. Dennoch ist es ein einflussreiches globales Informationsmedium, das öffentlichen Debatten prägt und Menschen beeinflusst.
Viele, die das Internet nutzen, werden das vermutlich selbst gar nicht spüren. Was Twitter wichtig macht, ist nämlich vor allem die Beliebtheit bei ganz besonderen Zielgruppen. Dazu gehören Medienschaffende, Intellektuelle und Menschen mit politischen Ämtern. Der Wert der Plattform beruht also weniger auf der Anzahl der Nutzenden, als auf ihren elitären Netzwerken.
Wer hat, dem wird gegeben
Wer bekannt ist, bekommt auf Twitter das stärkste Echo. Die größten Fangemeinden haben Prominente aus Politik, Medien, Popkultur et cetera. Bots – Softwareprogramme, die automatisch bestimmte Inhalte auf Twitter retweeten und teilen – können Propaganda manipulativ verstärken. Aber eine Durchschnittsperson könnte vermutlich selbst mit einer Bot-Armee keine große Twitter-Fangemeinde aufbauen.
Musk folgen auf Twitter über 90 Millionen Menschen. Profiliert hat er sich mit Scherzen, Provokationen und fragwürdige Firmeninfos, die ihm auch schon Ärger mit der Börsenaufsicht eintrugen. „Freiheit“ bedeutet für ihn wohl vor allem, dass staatliche Stellen ihn machen lassen sollen, was er will. Das wäre eine typische Position des Oligarchen-Populismus (siehe Hans Dembowski auf www.dandc.eu).
Musks Regeln
Ob Twitter künftig eher demokratische Beteiligung oder undemokratischen Populismus fördern wird, hängt davon ab, wie Musk die Spielregeln ändert. Wichtige Fragen sind, wer Twitter verwenden kann und welche Aussagen erlaubt sind. Der Multimilliardär bezeichnet sich als „Redefreiheits-Absolutist“. In der Praxis heißt das vermutlich, dass alle, die eine laute Stimme haben, mitteilen dürfen, was sie wollen – einschließlich Fehl- und Desinformationen, Gewaltpropaganda und Unwahrheiten. Bevor dieser Beitrag Mitte Mai fertiggestellt wurde, sagte er zum Beispiel, Ex-US-Präsident Donald Trump solle nicht dauerhaft gesperrt bleiben.
Absehbar ist jedenfalls, dass Twitter im globalen Süden auch künftig vor allem elitäre Stimmen verbreiten wird. Was auf Twitter geäußert wird, findet in der Regel seinen Weg in andere soziale Netzwerke sowie in etablierte Medien. Der reaktionäre Hindu-Chauvinismus in Indien stützt sich dabei häufig auf WhatsApp. Im Informationskrieg, der parallel zum realen Ukrainekrieg stattfindet, nutzt Russland Telegram-Kanäle.
Wird ein Wechsel an der Spitze von Twitter die Lage verschlimmern? Vermutlich wird Twitter eher nicht zu einem Hort der Des- und Fehlinformation werden. Musk sagt zwar, ökonomisches Interesse habe er nicht an Twitter, aber wer nicht aufs Geld achtet, wird auch nicht Milliardär. Um Einnahmen zu generieren, erwägt Musk „eine kleine Twitter-Gebühr“. Das könnte den elitären Charakter der Plattform weiter verstärken.
Falls Musk versuchen sollte, Twitter zu einer kommerziellen Cashcow wie Instagram oder Facebook zu machen, dürfte der Schwall an endloser Werbung ernstzunehmende Stimmen aus Zivilgesellschaft, Politik und Journalismus vertreiben. Die jetzige Rolle von Twitter würde vermutlich verkümmern. In den USA zeichnet sich unterdessen ab, dass Menschen mit demokratischen Positionen sich in größerer Zahl von der Plattform abwenden könnten. Das könnte sich sowohl für Twitter als auch die Demokratie als gefährlich erweisen.
Komplizierter Algorithmus
Musk sagt, er wolle den Algorithmus transparent machen, der steuert, was die Twitter-Timeline Nutzenden anzeigt. Das würde Manipulation erschweren. Allerdings ist der Algorithmus sehr kompliziert, so dass nur sehr wenige ihn überhaupt verstehen würden.
Beunruhigend ist unterdessen, von welchen Geldgebern sich Musk bei der 44-Milliarden-Dollar-Investion Unterstützung verspricht. Dazu gehören ihm zufolge ein von der reaktionären Herrscherfamilie Katars kontrollierter Investmentfonds, ein superreicher saudischer Prinz und der Software-Milliardär Larry Ellison vom Oracle-Konzern.
Twitter ist für internationale Debatten wichtig. Trotzdem ist das Unternehmen zum Spielball superreicher Akteure geworden. Wir sollten das als Warnsignal werten.
Charles Martin-Shields ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn.
charles.martin-shields@die-gdi.de