Entwicklungspolitik
Weniger wäre mehr
Von Henning Andresen
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und so ist auch Entwicklungshilfe nicht immer das, was sie vorgibt zu sein. Die Vorstellung, dass viele erfolgreiche Projekte zusammen gute Hilfe für ein Land bedeuten, ist schlichtweg falsch: Für das große Ganze sind sie manchmal sogar schlecht. So hatte ausländische Hilfe bisher oft negative Auswirkungen auf die Politik, Verwaltung, Gesellschaft und Volkswirtschaft von Empfängerländern. Die wichtigsten Beispiele:
– Entwicklungspolitik hat in vielen Ländern die Qualität der Regierungsführung eher verschlechtert und interne Reformen verhindert. Beispielsweise entlassen wenig entwicklungsorientierte Regierungen keine überzähligen Beschäftigten, wenn sie diese mit Hilfsgeldern weiter bezahlen können.
– Vielerorts förderten Geber auch Klientelismus und Selbstbereicherung, da sich eine Zweckentfremdung der Mittel trotz aller Kontrollen nicht zuverlässig verhindern ließ.
– Wenn sie Projekte unterstützten, die auch ohne externe Finanzierung durchgeführt worden wären, sparten Regierungen von Entwicklungsländern Geld, das sie für zweifelhafte Zwecke wie Waffenkäufe ausgeben konnten.
– Mit ihren unterschiedlichen Verfahren überlasteten die vielen Geberorganisationen zudem die Verwaltungen der Empfängerländer. Diese hätten sonst mehr Kapazitäten für die Entwicklung ihrer Volkswirtschaften sowie für eigene Projekte gehabt.
– Wo Kolonialregierungen Regeln und politische Institutionen eingeführt haben, die nicht den traditionellen Werten der Gesellschaft entsprechen, fehlte es diesen an Legitimität. Die meisten Afrikaner südlich der Sahara beispielsweise sind der Ansicht, dass Entscheidungen einvernehmlich zu treffen sind. Dem widerspricht das westliche Sieger-Verlierer-Politiksystem, dem zufolge der Gewinner einer Wahl alle Macht bekommt.
– Um von den ausländischen Hilfsgeldern zu profitieren, versuchten viele Menschen in Entwicklungsländern, im öffentlichen Dienst oder in der Politik Einfluss zu gewinnen, anstatt selbst etwas zu produzieren. Diese falschen Anreize ließen die „politische Industrie“ expandieren – zu Lasten der erzeugenden Wirtschaft.
– Ausländische Finanzierung hat Wechselkurs und Preisniveau beeinflusst. In Empfängerländern wurden deshalb Exporte teurer und Importe billiger, was den lokalen Unternehmen und der Volkswirtschaft schadete. Hinzu kam: Die jährliche Unterstützung schwankte erheblich, was volkswirtschaftliches Management erschwerte.
– Auslandshilfe untergrub zudem häufig die Selbsthilfe der Empfänger. Sie berücksichtigte deren eigene Möglichkeiten zu wenig und ihr eigener Einfluss war zu massiv.
Von all diesen negativen Folgen von Entwicklungshilfe ist schon seit Jahrzehnten die Rede. Doch während es sich früher lediglich um Vermutungen handelte, haben zahlreiche Untersuchungen es inzwischen auch bewiesen: Die schlechten Gesamteffekte der Hilfe konterkarierten in der Vergangenheit häufig die guten Einzelprojekte oder überkompensierten sie sogar.
Grund dafür waren unter anderem die Eigeninteressen von Geberländern und Hilfsorganisationen. Die Geber wählten die Empfängerländer häufig nach außenpolitischen oder Exportinteressen aus. Die Frage, ob die Regierungen der Empfängerländer hinreichend reformorientiert waren, wurde lange Zeit nicht gestellt. Für die Hilfsorganisationen wiederum war hoher eigener Umsatz wichtig. Dies erklärt, warum sie sich auch dann nur ungern aus einem Land zurückzogen, wenn sich dessen Regierung zusehends weniger für Entwicklung engagierte.
Fortschritt, aber keine Lösung
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat es viele neue Ansätze gegeben. Dazu zählen die Millenniumsentwicklungsziele, die Strategiepapiere zur Verringerung der Armut (Poverty Reduction Strategy Papers), die bessere Zusammenarbeit der Geber und ein Fokus auf Demokratisierung und „Good Governance“. Dies hat Fortschritte gebracht: Die Politik konzentriert sich mehr auf Armutsreduzierung, die Menschen in Entwicklungsländern werden stärker einbezogen und ihre Eigenverantwortung wird geachtet. Zudem machen die Geber ihre Hilfe etwas mehr davon abhängig, wie reformorientiert die Empfängerregierungen sind.
Viele grundsätzliche Probleme sind aber weiterhin ungelöst: Klientelismus und Selbstbereicherung sind kaum zurückgegangen, Regierungsführung ist nach wie vor vielerorts sehr schlecht, Konflikte zwischen traditionellen Werten und importierten politischen Systemen bestehen weiter, und Geber verfolgen weiter ihre Eigeninteressen. Weiterhin besteht die ausländische Hilfe vor allem aus vielen Einzelprojekten, und es sind zusätzliche Geberorganisationen hinzugekommen. Der Mittelaufwand steigt, die Empfänger werden jedoch nicht viel besser ausgewählt.
Speziell um gute Amtsführung zu fördern, wurde Budgethilfe eingeführt, bei der Geber direkt den Haushalt eines Entwicklungslandes oder eines seiner Ministerien subventionieren. Doch auch sie brachte höchstens kleine Verbesserungen in der Regierungsführung. Möglicherweise wurden auch hier die Erfolge durch Nebenwirkungen geschmälert: Die Budgetfinanzierung verbessert zwar die Verfahren des öffentlichen Finanzmanagements, doch sie eröffnet auch neue Korruptionsmöglichkeiten. Zwar wurden die Verfahren der Geber durch Budgethilfe etwas vereinheitlicht, aber der sehr intensive Politik‑
dialog überlastet weiter die Verwaltungen in Entwicklungsländern.
Die Geber sollten deshalb mehrere Maßnahmen ergreifen:
– Sie sollten die Entwicklungshilfe über einen gewissen Zeitraum deutlich verringern. Dies würde Bürger und Regierungen in Entwicklungsländern unter Druck setzen, ihre Angelegenheiten stärker selbst in die Hand zu nehmen. Zudem gäbe es ihnen mehr Freiraum, und die hier geschilderten Probleme würden entschärft.
– Mehr als bisher sollten Geber ihre Mittel nur an wirklich reformorientierte Regierungen geben. Dafür müssen sie die Politik im jeweiligen Land intensiver analysieren und in politologischen Sachverstand investieren.
– In den Industrieländern dürfen andere Politikfelder nicht weiter die Entwicklungspolitik unterlaufen, wie derzeit die problematische Fischereipolitik der EU.
In Afrika müssen politische Institutionen den traditionellen Werten angepasst werden. So sollten in der Regel Entscheidungen im Konsens fallen und Abstimmungen nur dann stattfinden, wenn kein Einvernehmen erreicht werden kann. Die Macht würde nach Stimmanteilen und mit Minderheitenschutz verteilt.