Lebensmittel

„Etwas Mäßigung wäre klug“

Von engerer Zusammenarbeit zwischen Kleinbauern und Supermarktketten
können alle Beteiligten profitieren, auch die Konsumenten, argumentiert
Claire Schaffnit-Chatterjee von Deutsche Bank Research. Gleichzeitig rät sie
Entwicklungsländern davon ab, das Konsumverhalten der westlichen Nationen zu kopieren.

Interview mit Claire Schaffnit-Chatterjee

Wieso ist es für Kleinbauern in den Entwicklungsländern sinnvoll, in die Lieferketten von Supermärkten eingebunden zu werden?
Besserer Marktzugang macht die Einkommen der Bauern verlässlicher. Höchstwahrscheinlich steigen ihre Einnahmen auch, was sich wiederum positiv auf ihren wirtschaftlichen Erfolg auswirken dürfte. Wenn am Schluss noch Geld übrig bleibt, das in Saatgut, Maschinen oder Ähnliches investiert werden kann, resultiert das in einer besseren Ernte. Höhere Erträge bedeuten mehr Geld. Das ist eine Spirale, die sich nach oben dreht. Investitionen führen zu höheren Einkommen, die wiederum mehr Investitionen erlauben.

Was müssen Kleinbauern tun, um Supermarktketten für ihre Produkte zu interessieren?
Sie müssen auf die Nachfrage des Marktes reagieren können, also mit einer gewissen Verlässlichkeit die richtigen Produkte herstellen und Qualitätsstandards gewährleisten. Dafür brauchen die Bauern Ausbildung, und sie müssen richtig investieren. Sie müssen ein Gespür für Management entwickeln, um ihren landwirtschaftlichen Betrieb gut zu führen.

Können sie weiterhin traditionelle Landsorten anbauen und züchten – oder müssen sie auf hochproduktive Sorten umsteigen?
Das ist eine komplexe Frage, die sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten lässt. Dafür sind die Landsorten viel zu unterschiedlich. Einige traditionelle Sorten sind sicher für Einzelhandelsketten geeignet, andere wahrscheinlich nicht. Supermärkte benötigen eben standardisierte Ware, und genetisch heterogene Landsorten entsprechen oft diesen Erwartungen nicht. Andererseits können traditionelle Sorten auch von Vorteil sein, denn oft sind sie besser an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten angepasst. Eine vielfältige Anbauweise beugt in gewissem Maß auch Schädlingsbefall vor, und sie steigert natürlich die Produktvielfalt für die Konsumenten.

Ist es dabei von Bedeutung, ob Bauern Getreide oder Obst und Gemüse anbauen?
Getreide lässt sich leichter lagern, und die Standards für Obst und Gemüse sind wahrscheinlich schwieriger einzuhalten. Also ja, es gibt einen Unterschied. Kleinbauern produzieren bisher auch kaum für die Ausfuhr, weil die Standards für landwirtschaftliche Exportgüter sehr hoch sind. Für biologische und Fair-Trade-Produkte sind sie sogar besonders hoch. Das ist natürlich eine Herausforderung, allerdings werden höherwertige Produkte auch besser vergütet.

Wenn die Produkte der Kleinbauern häufig den Standards nicht entsprechen, warum sollten die Supermärkte von ihnen kaufen wollen?
Ich denke, dass man nicht verallgemeinern darf: Kleinbauern können durchaus Standards einhalten. Die Supermärkte müssen aber genug Waren haben, um den Bedarf ihrer Kunden zu decken. Die Nachfrage nach Lebensmitteln steigt, und sie wird mit wachsender Weltbevölkerung und wachsendem Wohlstand weiter zunehmen. Die Kleinbauern haben ein großes Potential, mehr zu produzieren. Wir sprechen hier von einer klassischen Win-Win-Win-Situation, die für alle Beteiligten vorteilhaft ist. Die Kleinbauern, die Supermärkte und die Konsumenten profitieren von einer Integration der kleinen Produzenten in die Lieferketten. Letztlich ist das wirklich eine Frage der globalen Ernährungssicherheit. Ohne die Kleinbauern wird es schlicht nicht genug zu essen geben. Der Einzelhandel kann aber auch unter einem anderen Aspekt von Partnerschaft mit Kleinbauern profitieren. Es geht um die Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel. Sowohl von staatlicher wie von Konsumentenseite wird immer häufiger Transparenz in den Lieferketten gefordert. Auch mehr Transparenz hinsichtlich ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit wird gefordert. Dabei hilft es, wenn die Handelsketten die Erzeuger kennen.

Aber wieso lehnen es dann viele zivil­gesellschaftliche Aktivisten ab, dass Supermärkte die Kleinbauern in ihre Lieferketten einbeziehen?
Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass Bauern Opfer mächtiger Wirtschaftsinteressen werden. Es gibt sehr viele Verbraucher und sehr viele Kleinbauern, aber nur wenige große Handelsketten dazwischen. Da ist Machtmissbrauch möglich. Staatliche und nichtstaatliche Organisationen können dem aber entgegenwirken. Das ist eine Frage der Wettbewerbspolitik einerseits und der Markttransparenz andererseits. Die Bauern benötigen zum Beispiel verlässliche Preisinformationen. Zudem ist es sicherlich hilfreich, wenn sie sich organisieren, um ihre gemeinsamen Interessen in Genossenschaften besser zu vertreten. Auch Hilfsorganisationen können darauf hinwirken, dass die Kleinbauern nicht übervorteilt werden. Letztlich achten die Supermärkte zumeist mehr auf Hygiene, als das traditionelle Bauernmärkte in Entwicklungsländern tun, so dass die Formalisierung der Agrargeschäfte auch den Verbrauchern zugute kommt.

Agrarindustrie und zivilgesellschaftliche Organisationen streiten seit Jahrzehnten über die Landwirtschaft. Würden Sie sich auf die eine oder andere Seite stellen?
Ich denke, beide Ansätze haben ihre Vorteile. Im Rückblick ist klar, dass die Grüne Revolution in Asien ein Erfolg war und geholfen hat, Millionen Menschen zu ernähren. Andererseits gab es sicher Exzesse, die Umweltschäden zur Folge hatten. Es gibt Leute, die argumentieren, dass mit biologischem Anbau alle Menschen ernährt werden könnten, was aber schwer zu prüfen ist. Ich glaube, dass die Menschheit sowohl den Ansatz der Industrie als auch den der kritischen Organisationen braucht.

Was müssen die Einzelhandelsketten tun, um die Kleinbauern in ihre Lieferketten einzubeziehen?
Vor allen Dingen müssen sie die Kleinbauern dabei unterstützen, ihre Ansprüche an Qualität und Quantität zu erfüllen. In den meisten Fällen erfordert das Ausbildung und technische Unterstützung. Manchmal heißt es auch, Saatgut, Dünger und Pestizide bereitzustellen. Und wenn die Supermärkte Bioprodukte wollen, müssen sie Bauern mit ökologischen Anbaumethoden unterstützen. Der Zugang der ­Bauern zu Krediten ist ein weiteres Gebiet, auf dem die Supermärkte etwas verändern könnten. Dasselbe gilt für Lagerung und Transportinfrastruktur. Ein solches Engagement ist natürlich auch im Interesse der Bauern. Das Risiko, dass sie aus den Lieferketten hinausgedrängt werden, schwindet, je mehr die Supermarktketten in ihre Farmen und Fähigkeiten investieren.

Der Economist schrieb kürzlich, dass rund 50 Prozent der Ernten in Entwicklungsländern durch schlechten Transport und mangelhafte Lagerung verlorengingen. Stimmt das?
Es stimmt, dass Verschwendung ein großes Problem ist. Global gesehen werden mehr als 40 Prozent der Nahrungsmittel – von den Feldern bis zu den Verbraucherhaushalten – verschwendet. In den westlichen Gesellschaften werden 30 Prozent der Lebensmittel, die die Verbraucher kaufen, weggeworfen. Diese Verschwendung auf vielen Ebenen zu reduzieren wäre ein wichtiger Schritt in Richtung globaler Ernährungssicherheit. In den reichen Nationen ist ein sinnvolleres Verbraucherverhalten gefragt, in den armen Nationen sind die größten Herausforderungen tatsächlich bessere Lagerung und Transportinfrastruktur. Nicht nur private Unternehmen sind gefragt. Auch staatliche Institutionen, lokale Behörden und zivilgesellschaftliche Organisationen können etwas verändern.

Sollten die Entwicklungsländer Lehren aus dem westlichen Verbraucherverhalten ziehen?
Aus verschiedenen Gründen sollten sie auf keinen Fall den exzessiven Fleischkonsum der westlichen Welt kopieren. Wir brauchen nicht so viel Fleisch, wie wir denken. Diese westliche Sitte ist zerstörerisch geworden. Es ist ungesund, zu viel Fleisch zu essen – und die Fleischproduktion erfordert enorme Ressourcen, darunter Land, Futter und Wasser. Dieser Sektor der Nahrungsmittelproduktion verursacht zudem besonders hohe Treibhausgasemissionen. Mit wachsendem Wohlstand in den Gesellschaften Asiens und anderer Kontinente sowie zunehmender Verstädterung wird wahrscheinlich auch der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch steigen. Aber etwas Mäßigung wäre sicherlich weise.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.