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Grundbucheintragung

Landtitel helfen gegen Konflikte

Landkonflikte sind in Kambodscha seit Langem ein ernstes Thema. Seit es vor einigen Jahren Unruhen gab, verpachtet die Regierung keine großen Grundstücke mehr an private Investoren. Die Deals aus der Zeit zuvor sorgen jedoch weiter für Spannungen.
Die Bewohner dieser informellen Siedlung in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh  wurden 2006 vertrieben. kd Die Bewohner dieser informellen Siedlung in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh wurden 2006 vertrieben.

Die Roten Khmer schafften den privaten Grundbesitz in Kambodscha ab. Unter ihrer blutigen Herrschaft kamen zwischen 1975 und 1979 etwa 1,7 Millionen Menschen ums Leben.

Als das Regime zusammenbrach, lebten die meisten Kambodschaner auf dem Land. Viele waren geflohen, und niemand wollte sich in der Hauptstadt Phnom Penh – der „Geisterstadt“ – niederlassen. Während der akuten Krise scherten sich die Leute offensichtlich wenig um formelle Landtitel.

Das änderte sich, als Frieden einkehrte und eine marktorientierte Entwicklung einsetzte. Seither sind Landkonflikte weit verbreitet. Zum Teil geht es dabei um abgelegene Waldgebiete, in denen indigene Gemeinschaften leben, deren traditioneller Lebensstil eng mit den natürlichen Ressourcen der Wälder verknüpft ist.

Aber auch in anderen Regionen gibt es Konflikte um Grund und Boden. Dabei spielt eine Rolle, dass 85 Prozent der 16 Millionen Kambodschaner von der Landwirtschaft leben. Für sie ist das Allerwichtigste, Land zu haben, das sie bewirtschaften können. Viele Kleinbauern befürchten, eines Tages den Boden zu verlieren, den sie bebauen.

Kambodscha zählt zu den am wenigsten entwickelten Ländern Südostasiens. Laut Asiatischer Entwicklungsbank (ADB) leben dort heute 14 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Ihre Kaufkraft liegt bei unter 1,25 Dollar pro Kopf und Tag.

Aktivisten zufolge begannen die Landkonflikte 1999 – ein Jahr nachdem die letzten Kämpfer der Roten Khmer an der thailändischen Grenze niedergeschlagen wurden. Auf jeden Fall nahmen die Spannungen zu, als die Regierung 2001 ein neues Landgesetz verabschiedete – nicht zuletzt, um ausländische Investoren anzulocken.

Dabei wurde ein Grundbuchsystem eingeführt. Grundsätzlich überträgt dieses System den Menschen Rechte auf das Land, das sie seit mindestens fünf Jahren kontinuierlich genutzt haben. Der Registrierungsprozess läuft noch. Bis 2016 wurden Landtitel für etwa 60 Prozent aller betroffenen Grundstücke offiziell anerkannt. Die Regierung geht davon aus, dass bis zum Jahr 2023 alle Einträge vorgenommen werden.

Eine weitere neue Bestimmung ist die wirtschaftliche Landkonzession (ELC). ELC bedeutet, dass die Regierung staatliche Grundstücke von bis zu 10 000 Hektar für maximal 99 Jahre an private Investoren verpachtet. Viele ELCs wurden allerdings während der Registrierungsphase gewährt, was landesweit zu Zwangsräumungen und gewalttätigen Protesten führte. Daraufhin fuhr die Regierung die Vergabe von ELCs herunter.

Insgesamt erhielten mehr als 100 Privatunternehmen ELCs, die etwa 2 Millionen Hektar umfassen. Bei den Landkonflikten geht es um Landwirtschaft, verarbeitende Industrie, Bergbaurechte und den Bau von Wasserkraftwerken. Auch Stadtentwicklung ist ein strittiges Thema (siehe Kasten). Dass der Rechtsstaat labil ist, verschlimmert die Lage zusätzlich. Menschenrechte sind zwar offiziell anerkannt, werden aber nicht zuverlässig geschützt.

Betroffene Gemeinschaften haben in Phnom Penh diverse Aktionen gestartet in der Hoffnung, dass die Regierung – und vielleicht auch Ministerpräsident Hun Sen selbst – ihre Probleme lösen würde. Er ist seit mehr als 30 Jahren an der Macht und dafür bekannt, „Dinge in die Hand zu nehmen“, wenn auch nicht immer mit fairen Mitteln: Human Rights Watch beschuldigt ihn des Machtmissbrauchs und der Gewaltherrschaft. Dorfbewohner haben zudem Politiker aus der Nationalversammlung, dem Senat und den zuständigen Ministerien gebeten zu intervenieren.

Die Dorfgemeinschaften werden aber selten angehört. Aktivisten zufolge ist die mächtige Elite in die meisten Landkonflikte involviert, darunter hochrangige Regierungsbeamte. Schätzungsweise sind rund 400 000 bis 1 Million Menschen direkt von Landstreitigkeiten betroffen. Die kambodschanische Menschenrechtsorganisation Adhoc schätzt, dass 60 000 Menschen gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben worden sind.

Bei den Vertreibungen geht es bisweilen brutal zu. 2012 wurde bei der Räumung eines Dorfes im Nordosten eine 14-Jährige von staatlichen Sicherheitskräften erschossen. Vann Sophat vom nichtstaatlichen kambodschanischen Zentrum für Menschenrechte (CCHR) bezeichnet die Räumungen als „Schlachtfelder“. Proteste werden oft gewaltsam niedergeschlagen. Dorfbewohnern, die es wagen, sich den Sicherheitskräften zu widersetzen, drohen Festnahme, Inhaftierung und Strafverfolgung. Man glaube den Gerichten nicht, dass sie unabhängig seien, wohl aber, dass sie im Namen der Regierung handelten, sagt Vann Sophat.

Frauen sind in Landkonflikten besonders aktiv. „Sie sind von Land und Haus abhängig“, erklärt der Aktivist. In Kambodscha schickt es sich nicht, dass Frauen sich weit von Haus und Hof entfernen. Viele Frauen würden ihr Leben riskieren, um für ihr Land zu kämpfen. Gewalttätige Proteste werden aber meist von Männern angeführt, so Vann Sophat.

Menschenrechtsgruppen kritisieren die Art, wie die Regierung mit den Streitigkeiten um Grund und Boden umgeht. Latt Ky von Adhoc schildert, dass die Regierung die Situation vor Ort meist gar nicht evaluiert habe, bevor sie ELCs gewährte. Erst später habe sie dann festgestellt, wer davon überhaupt betroffen war. Auch die Auswirkungen der ELCs auf die Umwelt seien nicht untersucht worden.

Die Landstreitigkeiten haben dem Ansehen der Regierung geschadet. Bei den Wahlen im Jahr 2013 verlor die Regierungspartei neun Prozentpunkte und sank auf etwas unter 49 Prozent. Sie hat aber immer noch die Mehrheit der Sitze im Parlament.

Vor der Wahl erkannte Hun Sen an, dass es Probleme mit der Landvergabe gibt. Er beschloss 2012, keine weiteren ELCs zu gewähren und reduzierte die Pachtdauer auf 50 Jahre. Die Menschen vor Ort bedürften des Schutzes, sagte er, und versprach, 1 Million Hektar Land an arme und enteignete Familien zu vergeben. Menschenrechtsgruppen zufolge hat sich seitdem jedoch wenig getan.

Es gab ernsthafte Bemühungen, laufende Landkonflikte zu lösen. Es wurden sogar eigens dafür Komitees eingerichtet. Allerdings sind die Interessen der Konfliktparteien meist schwer miteinander vereinbar – zumal die Rechte der ELC-Gesellschaften vertraglich definiert sind.

Menschenrechtsaktivist Vann Sophat schätzt, dass bislang „knapp über 20 Prozent der Landkonflikte gelöst wurden“. Seine Organisation, CCHR, hat 41 Gemeinschaften bei Streitigkeiten unterstützt. Bisher sei nur in zehn Fällen eine Lösung gefunden worden. Viele Betroffene haben noch keine formalen Landtitel, also seien künftige Konflikte nicht auszuschließen, warnt er.

Latt Ky von Adhoc sagt, insgesamt habe sich die Situation verbessert. Seit die Regierung keine ELCs mehr gewährt, seien keine neuen Konflikte entbrannt. Aber die bisher ungelösten Konflikte seien verhärtet. Künftigen Investoren gehe es darum, ihre Geschäftsinteressen zu verfolgen, und  nicht um Kompromisse mit lokalen Gemeinschaften.

Die Menschenrechtsaktivisten sind sich darüber einig, dass Landtitel künftig helfen können, Konflikte zu verhindern. Sie finden es wichtig, bei den Menschen das Bewusstsein für Eigentumsrechte zu schärfen.

Regierungsvertreter sagen, das Gesetz sei gut und werde langfristig funktionieren. Es sei zwar noch nicht alles in trockenen Tüchern, aber man befasse sich mit den Problemen. Gewissermaßen gibt die Regierung der Opposition die Schuld an den Schwierigkeiten und sagt: „Die politischen Parteien haben die aktuelle Landfrage schamlos zu ihren Gunsten manipuliert.“ Aus Sicht der Menschenrechtsaktivisten jedoch hängt die Klärung der Landproblematik „vom politischen Willen der Regierung“ ab.


Sun Narin ist Journalist und lebt in Phnom Penh.
snnarin@gmail.com

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