Mikrofinanzen
Frauen ökonomisch stärken
20 Jahre des Konflikts und der Gewalt haben die somalische Gesellschaft verändert. Heute leiten viele Frauen informelle Unternehmen. Allerdings sind ihre Rechte nicht geschützt. Auf dem Land wie auch in Städten sind Gewalt, Ausbeutung und Rechtlosigkeit weiterhin allgegenwärtig.
Vergewaltigung, häusliche Gewalt, frühe Heirat und Zwangsheirat sind gang und gäbe, vielen Frauen wird der Zugang zu Bildung verweigert. Chronische Armut, Gewalt und Gesetzlosigkeit verschlimmern die Situation. Tief verwurzelte patriarchalische Strukturen verschärfen die Ausgrenzung und Diskriminierung von Frauen und Mädchen in allen Lebensbereichen.
Somalia hat keine handlungsfähige Regierung, die Basisdienstleistungen bereitstellt, für Beschäftigung sorgt und Menschenrechte schützt. Die Frauen stehen unter dem enormen Druck, die wirtschaftlichen Herausforderungen und veränderten Rollenerwartungen im Familiengefüge zu vereinbaren. Auf ihren Schultern lastet die Verantwortung für sämtliche produktive wie reproduktive Aufgaben. Sie müssen die Kinder erziehen, kochen und waschen und obendrein das Geld verdienen.
In den Städten sind inzwischen oft Mütter die Haupternährer. Sie sind als Kleinunternehmerinnen tätig und erwirtschaften Einkommen in Heimarbeit. Sie handeln mit Milch oder Fleisch, betreiben Teestuben, nähen Kleider oder produzieren andere Artikel. Auf dem Land sind Frauen und Mädchen dafür zuständig, Vieh zu hüten, zu pflanzen, zu ernten und Agrarerzeugnisse zu verkaufen. Zugleich obliegen ihnen sämtliche Haushaltspflichten.
Wenn Frauen ökonomisch stärker werden, ebnet das jedoch den Weg zu mehr gesellschaftlicher Anerkennung und Wertschätzung. Immer mehr Frauen werden ökonomisch unabhängig und treffen entsprechend auch häufiger eigene Entscheidungen darüber, wie sie leben wollen. Junge Mädchen wollen zur Schule gehen, um später einen Job zu bekommen. Mütter neigen – anders als Väter – dazu, in die Bildung der Töchter zu investieren. Je erfolgreicher Frauen wirtschaftlich werden, desto mehr sind sie auch in der Lage, sich geschlechtsspezifischer Gewalt zu widersetzen, Basisdienstleistungen zu nutzen und das öffentliche Leben mitzugestalten.
Langfristige Auswirkungen
Der Druck, der auf den Frauen lastet, ist immens. Ihr heutiger prekärer Gelderwerb bietet jedoch auch die Chance, das Rollenverständnis langfristig zu ändern. Je mehr Geld sie heute verdienen, desto besser kann das gelingen. Außerdem dient es der Stabilität des Landes, wenn arme Haushalte – einschließlich der von Frauen geleiteten – mehr Geld verdienen, denn Wirtschaftswachstum und Frieden hängen eng zusammen.
Daher unterstützt die Nichtregierungsorganisation Tierärzte ohne Grenzen Deutschland (Vétérinaires Sans Frontières Germany – VSFG) das wirtschaftliche Empowerment von Frauen in der semiautonomen Region Puntland. Dort sind staatliche Institutionen noch recht schwach. Die Region Puntland hat sich vor zwei Jahrzehnten unabhängig gemacht – ihre staatlichen Institutionen sind aber noch recht schwach. Etwa ein Drittel der somalischen Bevölkerung lebt dort, viele als Binnenvertriebene (internally displaced persons – IDPs).
Ehe VSFG aktiv wurde, wurde die Situation der Frauen in Galkayo in mehreren Dimensionen untersucht. Auf dieser Basis startete VSFG eine Initiative, um Einkommen zu schaffen und sexualisierte Gewalt anzugehen. Die EU und das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit unterstützen das Vorhaben. Kooperationspartner sind unter anderen das italienische Hilfswerk Gruppo per le Relazioni Transculturali (BRT), das örtliche Galkayo-Bildungszentrum für Frieden und Entwicklung (GECPD) und Behörden, wie die Kommune Galkayo und das Ministerium für Frauen- und Familienangelegenheiten.
Die wirtschaftliche Stärkung von Frauen ist kurzfristig wie langfristig vorteilhaft. Somalische Frauen neigen dazu, ihr Geld in den Haushalt zu investieren und nicht – wie die Männer – für das Genussmittel Khat auszugeben. Männer müssen zudem Clan-Unterstützungssysteme mitfinanzieren. Von Frauen wird das nicht erwartet, so dass mehr Geld für die Familie übrig bleibt.
Die VSFG unterstützt die Erwerbstätigkeit von Frauen durch die Förderung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Finanzen. Zielgruppen sind Fleisch- und Milchhändlerinnen, Ladenbesitzerinnen und Straßenverkäuferinnen. Viele sind Vertriebene, und viele wurden Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Um das Bewusstsein für Dinge wie Gewalt und Geschlechtergleichheit zu schärfen, wendet sich die Initiative explizit an Gewaltopfer, Respektspersonen und Leiter der Flüchtlingslager.
Die VSFG gibt ausgewählten Frauen Zuschüsse für ihre Unternehmen und vermittelt zuvor relevante Kenntnisse und Fähigkeiten. Es ist wichtig, die Mittel sinnvoll zu nutzen. Misserfolg muss vermieden werden – nicht zuletzt, weil er bestehende Lebensgrundlagen aufs Spiel setzen könnte.
Vielversprechende Ergebnisse
Die wirtschaftliche Stärkung von Frauen hat sich in Bezug auf höhere Einkommen, Respekt im öffentlichen Leben und der Entwicklung der Gemeinschaften generell als sinnvoll erwiesen. Wirtschaftlich potente Frauen bilden Gruppen und schließen sich solchen an. Sie fordern Rechte ein, widersetzen sich Gewalt und beteiligen sich am politischen Leben.
Farhiyo Yusuf etwa lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern im Flüchtlingslager Halabokhad in Galkayo. Sie stammt aus der ländlichen Region Dhudub an der äthiopischen Grenze. Wegen Dürren musste die Familie ihre Heimat verlassen. Farhiyo kam 2010 nach Galkayo und hatte keinerlei Lebensgrundlage. Sie ließ sich im größten Flüchtlingslager in einer Unterkunft nieder, das der Norwegian Refugee Councils (NRC) errichten ließ. Vom dänischen Flüchtlingsrat (DRC) erhielt sie einen Geschäftskredit und kaufte sich für umgerechnet 250 Dollar eine Nähmaschine. Bald war sie die Haupternährerin der Familie. Ihr Mann verdingt sich ab und zu als Gelegenheitsarbeiter, aber er bekommt kaum Aufträge. „Im Lager sind es vor allem Frauen, die ihre Familien ernähren“, sagt Farhiyo.
Die VSFG bildete Farhiyo betriebswirtschaftlich aus und gaben ihr einen Zuschuss von 500 Dollar. Sie startete einen kleinen Laden für Lebensmittel und Haushaltswaren. Sie hat eine Solaranlage, mit der sie für eine kleine Gebühr Handys auflädt. Einen Altkredit von 150 Dollar zahlte sie mit dem neuen Geld zurück. Sie macht täglich etwa drei bis vier Dollar Gewinn, was ihr zu einem besseren Leben verhilft: „Ich blicke in eine bessere Zukunft, weil ich meine Kinder ernähren und ihre Schulgebühren bezahlen kann.“
Siciido Samatar ist 40 Jahre alt und Milchhändlerin in Galkayo. Ihr Mann ist arbeitslos. Auch die sieben Kinder sind auf ihr Einkommen angewiesen. Sie verdient das Geld für Lebensmittel, Strom, Wasser, Schulgeld, Miete und alles Weitere. Anfangs kaufte sie Milch auf Kredit von Großhändlern und verkaufte sie dann an ihre Kunden. So war sie vom frühen Morgen bis spät in die Nacht beschäftigt. Dank des VSFG-Zuschusses muss sie heute nicht mehr Milch auf Kredit kaufen. So verkauft sie bis zu 75 Liter täglich und verdient dabei bis zu acht Dollar.
„Nachdem ich den Zuschuss bekommen hatte, zahlte ich sofort alle Schulden zurück und kaufte mir einen Kühlschrank“, erzählt Siciido. Sie kann Vorräte länger lagern und mehr Kunden bedienen. Sie erwägt, Geld zu sparen, um weitere kleine Unternehmen aufzuziehen und mehr Geld zu verdienen.
Siciido gehört einer Genossenschaft von Frauen an, die im Milchgeschäft tätig sind. VSFG stellt den Raum und bietet Fortbildungen an. Die Gruppe spart gemeinsam und tätigt einige Transaktionen gemeinsam. Siciido ist für das Geld verantwortlich. Sie sagt, die Gruppe nutze ihrem eigenen Geschäft: „Wir teilen Informationen und Ressourcen, lösen Probleme und stellen uns gemeinsam Herausforderungen. Wo es sinnvoll ist, betreiben wir Geschäfte als Gruppe“, sagt sie.
Die VSFG muss sorgfältig abwägen, wem sie Geld gibt, um die Situation einer Familie wirklich zu verbessern. Es ist schwierig, unter lauter Menschen, die unter Armut und allgemeiner Chancenlosigkeit leiden, die richtigen Leute auszuwählen. Zudem bewirkt ein Zuschuss nichts, wenn er zu klein ist. Ist er hingegen zu groß, erzeugt er Neid.
Weitere Herausforderungen
Selbstverständlich ist die wirtschaftliche Stärkung somalischer Frauen kein Allheilmittel, um die Not zu mindern. Bisher gibt es keinen Rechtsstaat, der die Frauen schützen würde. Auch die Behörden bewegen nicht viel. Frauen bleiben in vielerlei Hinsicht verwundbar. Manche Männer etwa fordern viel Geld von ihren Frauen und werden gewalttätig, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen. Somalia braucht ohne Zweifel mehr Rechtssicherheit.
Ein weiteres Problem ist, dass Frauen weiterhin für alle Haushaltsaufgaben verantwortlich sind – unabhängig davon, wie viel Geld sie verdienen. Die Versorgung der Kinder ist eine große Belastung. Damit Frauen ungehindert Geld verdienen können, muss sich etwas ändern. Das wird aber nur dann geschehen, wenn die Frauen auch tatsächlich Geld verdienen.
Abdurrahim Gure ist Projektmanager von Tierärzte ohne Grenzen (Vétérinaires Sans Frontières Germany – VSFG) in Puntland.
abdirahim.gure@vsfg.org