Entwicklung und
Zusammenarbeit

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West Afrika

Der lange Weg der Emanzipation

Der EU dauern die Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaften mit afrikanischen Ländern zu lange. Ein neues Ultimatum soll nun das Tempo steigern, könnte aber die regionale Integration in Westafrika beeinträchtigen. Bisher haben die Gespräche zwar kein Ergebnis geliefert, wohl aber die Integration vorange­trieben und das Selbstbewusstsein der afrikanischen Akteure gestärkt.

Von Mohamed Gueye

Seit fast zehn Jahren verhandelt die Europä­ische Kommission mit verschiedenen Staatengruppen in Afrika über Abkommen zur Wirtschaftspartnerschaft (EPAs). Bis 2002 standen die EU-Märkte allen AKP-Ländern – den ehemaligen Kolonien von EU-Mitgliedern in Afrika, der Karibik und dem Pazifik – einseitig offen. Das hat die WTO aber als diskriminierend gegenüber Drittländern kritisiert und untersagt. Die EPAs sollen die alten Regelungen ersetzen, müssen jedoch, um den WTO-Regeln gerecht zu werden, wechselseitige Freihandelsabkommen sein. Die EPAs werden jeweils für ganze Ländergruppen ausgehandelt und greifen erst, wenn alle unterschrieben haben.

Anfangs hieß es, die Verhandlungen müssten bis 2007 abgeschlossen sein. Heute, vier Jahre nach dem Ende dieser Frist, ist immer noch keine Einigung in Sicht. Ohne viel Rummel in Brüssel zu veranstalten, macht die Kommission aber neuen Druck: Eine neue Klausel im EU-Recht soll afrikanische Zögerer dazu zwingen, sich endlich zu entscheiden – und dann soll die Freihandelszone ein für alle Mal für alle umgesetzt werden. Die EU-Kommission sieht nun den 31. Dezember 2013 als letzte Frist vor.

Alle Länder, mit denen die Verhandlungen noch zu keinem Ergebnis geführt haben, sollen bis dahin die Vereinbarungen – zu den bisher ausgehandelten Konditionen – von ihren Parlamenten ratifizieren lassen. Stimmen sie nicht zu, wird die EU ihre Märkte für Produkte aus diesen Ländern schließen. Zu den betroffenen Ländern zählen auch Ghana und die Côte d’Ivoire, beides Mitgliedsländer der „Wirtschafts­gemeinschaft westafrikanischer Staaten“ (Economic Community of West African States, Ecowas), die sich mit der EU auf ein Interimsabkommen geeinigt hat. Die Côte d’Ivoire hat den Vertrag unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert, und Ghana hat zwar zugestimmt, aber noch nicht unterschrieben.

Nicholas Westcott, Afrika-Generaldirektor des Auswärtigen Dienstes der EU (EEAS), erklärte im Oktober in Dakar: „Wir haben den afrikanischen Ländern sehr vorteilhafte Angebote gemacht. Europa ist für sie der wichtigste Wirtschaftspartner, und wir bieten offene Märkte an.“ Doch man müsse sich auch an die Vorgaben der WTO halten, so der Diplomat. Die Afrikaner hätten die Wahl, entweder die Bedingungen zu akzeptieren oder abzulehnen. In letzterem Fall werde Europa „die WTO-Regeln anwenden“. Westcott sagte: „Wir müssen die aktuelle Situation überwinden, die weder Wachstum noch Entwicklung bringt.“

Regionale Integration gestärkt ...

Nichts weist bisher darauf hin, dass diese Botschaft in Afrika angekommen ist. Im Gegenteil: Die EPAs sind weiterhin umstritten. Schon 2008 wurden beim High Level Forum on Aid Effectiveness in Accra zivilgesellschaftliche Organisationen wie das African Trade Network (ATN) – die das Thema bereits zu den Akten gelegt hatten – wieder aktiv. Sie hielten ihre Regierungen an, die EPAs nicht zu unterschreiben.

Das heißt nicht, dass die Verhandlungen völlig nutzlos gewesen wären. Da regionale Integration als Voraussetzung für die Umsetzung der Freihandelszone mit der EU galt, haben die EPA-Verhandlungen bisher diesen Prozess befördert. Der Integrationsprozess war lange durch die Aufspaltung Westafrikas nach Sprachen behindert worden. Es existieren drei regionale Wirtschaftsverbände:
– die Ecowas,
– die überwiegend frankophone Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion (Uemoa) mit der Währung CFA-Franc und
– die Westafrikanische Währungszone (Wamz), ein Verband anglophoner Länder, der seinerseits eine Währungsunion vorbereitet.

Die EPA-Verhandlungen haben der regionalen Integration neuen Schwung gegeben. Mauretanien gehört beispielsweise nun wieder zur Ecowas. Es hatte sich vor Jahren abgelöst, um zusammen mit den nordafrikanischen Ländern die Arabische Maghreb-Union (UMA) zu bilden. Die Ecowas, die lange nicht viel mehr als eine leere Hülle war, ist ebenfalls wieder zum Leben erwacht. Zwar existiert die Union bereits seit 1973 und hat auch die Währungsunion Uemoa hervorgebracht. Doch abgesehen von ihren Friedensmissionen in den Bürgerkriegsländern Liberia und Sierra Leone war ihre einzige Leistung lange Zeit die Einführung der Reise- und Handelsfreiheit für Bürger der Mitgliedsländer. Die EPA-Verhandlungen erhöhten jedoch den Druck, beispielsweise die Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs zu beschleunigen.

Dies war eine große Herausforderung, die viel Zeit in Anspruch genommen hat, schließlich aber erfolgreich war. Die unterschiedlichen Zinssätze mussten angeglichen werden. Sie waren in Nigeria, dem einzigen Land der Region mit nennenswerter eigener Industrie, auf ganz anderem Niveau als in jenen Ländern, die sich zum Teil völlig auf die Unterstützung aus dem Ausland verlassen.

... und in Frage gestellt

Doch das neue Ultimatum der EU, dem zufolge sich nun jedes Land einzeln entscheiden muss, lässt die Aussicht auf vollständige Integration schrumpfen – zum alleinigen Wohle Europas. Die Côte d’Ivoire, die sich innenpolitisch von schweren Unruhen erholen muss, trifft bis heute keine Startvorbereitungen für die EPAs. Der neue Zeitdruck aus Europa hat zu großer Irritation geführt.

Wenn afrikanische Politiker sich privat äußern, beklagen sie, ihr Land werde gezwungen, sich zu entscheiden: zwischen dem Handelspartner Europa, der ihnen ihre wichtigsten Exportgüter Kaffee und Kakao abkauft, und den Nachbarländern. Alle hoffen, dass es bis zum Ablauf des europäischen Ultimatums noch eine Lösung gibt, die die Interessen aller Länder wahrt.

Im senegalesischen Außenwirtschaftsministe­rium ist man überzeugt, dass dies möglich ist. Man habe schon viel erreicht. Die eigene Verhandlungsposition sei in den vergangenen Jahren ständig stärker geworden, meint ein Beamter: „Wir müssen nicht mehr alles schlucken, was uns die Europäer vorsetzen. Deshalb haben sie es auch vielleicht auf einmal so eilig.“ Er ist mit dieser Einschätzung nicht allein (siehe Box).

Staatschefs wie dem Senegalesen Abdoulaye Wade ist zu verdanken, dass die EU-Kommission schließlich akzeptieren musste, dass die EPAs ein Entwicklungsziel brauchen. Wade begann nur wenige Monate nach Ablauf der ersten von der EU gesetzten Frist im Jahr 2007 auf die Unausgewogenheit der Abkommensentwürfe hinzuweisen. Er forderte ihre Revision und finanzierte Protestkampagnen, die bis zum Sitz der EU-Kommission in Brüssel zu spüren waren. Sein Einsatz hat entscheidend dazu beigetragen, die Diskussion über die Abkommen allen verständlich zu machen. Die EU sah ein, dass es nicht nur ihre Pflicht ist, sondern auch in ihrem eigenen Interesse liegt, sich für Entwicklung einzusetzen, und rief das EPA Development Programme (EPADP) ins Leben, das Kritiker allerdings als „zu wenig und zu spät“ abtun.

Aufschrei der Zivilgesellschaft

Tetteh Hormeku vom Third World Network Africa (TWN), einer nichtstaatlichen Organisation in Ghana, gratuliert dem senegalesischen Präsidenten dafür, dass er „den Eifer Europas bremst“. Der Kampf gegen die EPAs sei lange Zeit fast ausschließlich von zivilgesellschaftlichen Organisationen geführt worden. Viele afrikanische Funktionäre hätten sie nicht ernst genommen, sagt Hormeku: „Wie die EU-Kommission sagten sie, dass wir nur Aktivismus im eigenen Interesse betreiben.“ Ihm zufolge haben die zivilgesellschaftlichen Gruppen erst breites Gehör gefunden, nachdem Wade als erstes westafrikanisches Staatsoberhaupt auf ihre Argumente einging und seine Beamten anwies, die Verhandlungen scheitern zu lassen.

Die Europäer mögen das Gefühl haben, dass die Dinge nicht schnell genug vorankommen. Doch seit dem Beginn der Verhandlungen hat Afrika gigantische Fortschritte gemacht und weiß seine Interessen besser zu vertreten. Cheikh Tidiane Dièye, Mitglied der senegalesischen Plateforme de la Société Civile pour les Ape (Plattform der Zivilgesellschaft für die EPAs), weist auf einen wichtigen Punkt hin: Wenn die EPAs so wie von den Europäern gewünscht 2007 unterschrieben worden wären, hätte Afrika keine neuen Partnerschaften beispielsweise mit China, Brasilien oder anderen Schwellenländern aushandeln können.

„Europa hat immer mehr Klauseln aufgestellt, die andere Partnerschaften unmöglich machen sollten“, sagt Dièye. „Es hätte ein Kopf-an-Kopf-Rennen im neokolonialistischen Stil gegeben, und Europa hätte uns weiter nur die Rolle des Rohstoffliefe­ranten zugesprochen.“ Dièye zufolge verhindern die EPAs in ihrer aktuellen Form sogar die Entwicklung eines subregionalen gemeinsamen Marktes in Westafrika.

Viele Afrikaner stimmen mittlerweile mit den Europäern überein, dass die Verhandlungen zu einem Ende kommen müssen. Dièye zufolge wäre es am besten, eine komplette Aktualisierung zu fordern. Eine neue Version der EPAs müsste Afrikas veränderter Rolle gerecht werden. Dies würde Bemühungen von beiden Parteien erfordern, vor allem jedoch von Europa. Die EU muss als der mächtigere Verhandlungspartner beweisen, dass ihre Großzügigkeit über reine Versprechungen hinausgeht und sich in Taten niederschlägt.

Afrikanische Diplomaten sind zu der Überzeugung gelangt, dass die Vertragstexte in ihrer aktu­ellen Version weder wirtschaftliche Entfaltung noch politische Integration vorantreiben, sondern nichts als Instrumente einer neuen Unterwerfung sind. Es ist nun an Europa, sie vom Gegenteil zu über­zeugen.