Südostasien

Ohne Kontrolle

Das offizielle Motto der philippinischen Polizei ist: „Wir dienen und schützen.“ Die Bevölkerung hat Grund zu fragen: Wem und wen?

Von Alan C. Robles

Am 23. November 2009 wurden in der südphi­lippinischen Provinz Maguindanao 58 Menschen entführt und abgeschlachtet. Die Frauen in der Gruppe wurden vergewaltigt, erschossen und verstümmelt. Die Leichen wurden mit Hilfe eines Bautraktors vergraben. Mindestens 34 der Opfer waren Journalisten. Es war das schlimmste Massaker an Medienmitarbeitern in der Geschichte des Landes. Die Polizei versagte nicht nur darin, die organisierte Gräueltat zu verhindern – sie war selbst daran beteiligt. Polizisten, begleitet von Hunderten bewaffneten Freiwilligen, stoppten den Zug, in dem die Opfer sich befanden, und leiteten ihn zum Tatort um. Von den 196 Angeklagten, die jetzt zur Verantwortung gezogen werden, gehören 61 der Polizei (Philippines National Police, PNP) an.

Dieses Massaker wurde nach dem verantwortlichen Warlord-Clan benannt: „Ampatuan“. Auf blutige Weise veranschaulichte es das zentrale Problem der PNP: Sie ist institutionell schwach und dient den Interessen lokaler Politiker. Eine UNDP-Studie über die 137 000 Mitglieder starke PNP wies 2005 darauf hin, dass „die Autorität, die lokale Regierungsstellen über interne Operationen und Entscheidungen der PNP haben, ein Klima schafft, das die Polizeikräfte extrem anfällig für unerwünschte Politisierung macht“. Letztlich setzen die Polizisten nicht das Gesetz durch, sondern den Willen mächtiger Lokalpolitiker.

Jenseits des Gesetzes

Dem philippinischen Innenminister Jesse Robredo zufolge „besteht das Problem schon sehr lange, wenn auch in unterschiedlichem Schweregrad“. Es ist ein großes Problem, aber bei weitem nicht das einzige. Angesichts schlechter Ausbildung, unzureichender Ausrüstung und Korruption hat die Polizei eine traurige Geschichte. Viel zu oft operiert sie jenseits des Rechts. Ende 2009 tauchte ein Video auf, das einen Polizisten in Manila dabei zeigt, wie er einen Gefängnisinsassen zu Tode foltert. Wenige Monate später wurde ein anderer Polizist beschuldigt, eine Gefangene vergewaltigt zu haben. Oben in der Polizeihierarchie erhob die Regierung 2010 Korruptionsvorwürfe gegen ehemalige und aktive PNP-Offiziere, die an einer Reise nach Moskau teilnahmen, bei der einer von ihnen mit 105 000 Euro undeklariertem Bargeld gefasst wurde.

Selbst wenn die Polizei ihre eigentliche Arbeit tun will, kann sie sich unglaublich unfähig anstellen. Im August brachte ein bewaffneter Geiselnehmer – ein entlassener Polizist – einen Bus mit Touristen aus Hongkong in seine Gewalt. Der Rettungsversuch der PNP lief katastrophal schief. Ein stümperhafter Angriff in Zeitlupe führte zu einer Schießerei, bei der acht der 25 Geiseln sowie der Kidnapper getötet wurden.

Das organisierte Verbrechen beeindrucken die philippinischen Gesetzeshüter kaum. Anfang des Jahres kündigte die PNP ein hartes Vorgehen gegen die so genannten „Carnapper“ an, bewaffnete Banden, die Autos klauen, indem sie sie anhalten und die Besitzer zwingen, auszusteigen. Anstatt den Kopf ­einzuziehen, waren die Carnapper
bereits eine Woche später wieder aktiv.

Nach einer Bombenexplosion, die Ende Januar fünf Menschen in einem Bus in Manila tötete, sprach die australische Botschaft eine Reisewarnung wegen der „hohen Gefahr terroristischer Attacken und schwerer Verbrechen“ aus. Daraus spricht wenig Anerkennung für die Leistungen der Polizei.

Statistiken zeigen, dass die Möglichkeiten der PNP tatsächlich beschränkt sind. Laut der UNDP-Studie hatten 2004 über 20 000 PNP-Beamte keine Schusswaffe. Wer eine hatte, bekam nur 28 Schuss Munition plus zehn weitere für Zielübungen. Die PNP hätte 25 000 Handfunkgeräte benötigt, es standen aber nur 2280 zur Verfügung. Im Januar wurde berichtet, dass in neun von 15 Provinzen fast 80 Prozent der Ermittlungsbeamten nicht formell ausgebildet waren.

2009 führte das Forschungsinstitut Pulse Asia eine Umfrage durch. Sie ergab, dass die PNP für die zweitkorrupteste Behörde gehalten wird – direkt nach dem Bau- und Straßenamt. Eine Erhebung des Forschungsinstituts Social Weather Station bewertete 2006 das Vertrauen in die Polizei als „sehr schwach“. 2007 war das Ergebnis dann „schwach“ und 2008 „gering“, was die PNP als positiven Trend deutete. Die Polizei gewinne „langsam das Vertrauen der Bevölkerung zurück“.

Die Frage ist: Hat es dieses Vertrauen je gegeben? Auf den Philippinen basiert die Durchsetzung des Gesetzes traditionell weniger auf der Verbrechensbekämpfung als auf Politik, Repression und Unterdrückung abweichender Meinungen. Auf rechtmäßige Abläufe oder die Achtung der Menschenrechte wird dabei wenig Rücksicht genommen. Jahrhunderte der Kolonialherrschaft gefolgt von einer jahrzehntelangen autoritären Diktatur haben ihre Spuren hinterlassen. Die Demokratisierung Ende der 1980er Jahre veränderte nur eins: Die Polizei diente nicht mehr den nationalen Führern, sondern wurde zum Befehlsempfänger lokaler Politiker (siehe Kasten).

In einem 1988 veröffentlichten Aufsatz prägte der Politologe Benedict Anderson für die Philippinen den Begriff der „cacique democracy“ („Cliquenwirtschaftsdemokratie“), einem politischen System, bei dem Oligarchen aus wenigen reichen und mächtigen Familien um die Macht wetteifern. Die großen Clans legitimieren ihre Vorherrschaft mit Wahlgewinnen auf der lokalen und Provinzebene. Diese beeinflussen sie durch Methoden, die ein anderer berühmter Satz zusammenfasst: „Gewehre, Gewalttrupps und Gold.“

Lokale Polizei und private Armeen – Schlägertrupps – spielen eine entscheidende Rolle bei diesen Wahlen, die blutig und mörderisch aussehen können. Hintergrund des Ampatuan-Massakers war, dass ein Clan einen anderen daran hindern wollte, seinen Kandidaten registrieren zu lassen. Die Brutalität dieser Gräueltat war zwar erschütternd, aber die Grausamkeit war nicht neu. In einer Stadt bei Manila setzten 2007 ein Polizeiinspektor und seine Komplizen eine als Wahlstation dienende Schule in Brand und töteten drei Menschen, die sich darin befanden.

Zwischen den Wahlen schützt die von der Mafia kontrollierte Polizei nicht nur Drogenhandel, Entführungen, Car-Napping und illegales Glücksspiel, sondern betreibt sie auch selbst. Das sei möglich, schreibt die politische Analystin Miriam Coronel Ferrer, weil die Philippinen einen „schwachen Staat“ haben: „Ein Staat ist schwach, wenn seine Fähigkeit, ,soziale Kontrolle‘ auszuüben, nicht nur schwach ist, sondern auch fragmentiert. Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit. Die nationale Regierung kann nicht überzeugend für Ordnung sorgen und ihre Regierungsführung durchsetzen, insbesondere in abgelegenen Teilen des Landes.“

Laut Ferrer bereicherte sich der Ampatuan-Clan, baute eine private Armee auf, bestach die Polizei und terrorisierte Maguindanao. Das alles war möglich, weil die Präsidentin Gloria Arroyo ihm half, die wiederum die Unterstützung des Clans im Kongress brauchte sowie die Stimmen, die er bei den Wahlen mobilisieren konnte. „Die lokalen Machthaber können zu lokalen Dynastien aufsteigen, indem sie für die nationale Führung ,die Stellung halten‘“, so Ferrer. „Im Gegenzug bekommen sie von den Ressourcen des Staates ein Stück ab und genießen mächtigen Schutz.“ Unter der Regierung Arroyo sind „lokale Regierungen stark dazu ermutigt worden, Waffen anzuschaffen und Milizen zu organisieren, um Regierungskritiker zu bekämpfen“, schreibt Ferrer weiter.

Neue Regierung

Die neue Regierung unter Präsident Noynoy Aquino, die im vergangenen Jahr gewählt wurde, verspricht Veränderung. Innenminister Robredo kündigte an: „Wir werden nicht zulassen, dass die Polizei für parteistrategische oder politische Zwecke funktionalisiert wird.“ Reform sei möglich, argumentierte er: „Man braucht zwei Dinge: eine Verwaltung, die wirklich an Reformen interessiert ist, und eine nationale Regierung, die solche Dinge nicht toleriert.“ Robredo wies weiter darauf hin, dass die National Police Commission (Napolcom) lokale Polizeikräfte ernennt, den Polizeiapparat zu überwachen, ihnen dieses Mandat jedoch auch wieder entziehen kann: „Wenn sie ihre Macht über die Polizeikräfte missbrauchen, werden wir ihnen die Überwachung und Kontrolle der Polizei wieder aus der Hand nehmen.“ Laut Robredo ist das bereits in einigen wenigen Fällen geschehen: „Einer war ein Bürgermeister, der illegale Waldrodungen schützte.“

Gleichzeitig besteht der Innenminister darauf, die Polizei lokalen Regierungen zu unterstellen: „Die nationale Regierung hat einfach nicht die Ressourcen. Ein guter lokaler Beamter, dessen Ziele mit denen der PNP übereinstimmen, ist ein guter Partner für die Umsetzung von Recht und Ordnung.“ Er versichert, dass „im Großen und Ganzen die meisten von ihnen der Polizei helfen und logistische Unterstützung leisten“. Für dieses Jahr hat die Aquino-Regierung zwei Milliarden Pesos (rund 33,2 Millionen Euro) für neue Polizeiausrüstung in den Haushalt eingeplant. Sie arbeitet weiter an der Umsetzung des Integrierten PNP-Transformationsprogramms (Integrated PNP Transformation Programme), das auf den Ergebnissen der UNDP-Studie basiert. Das Innenministerium hat zudem eine Säuberung der PNP in Angriff genommen. Bis Januar wurden laut Robredo 175 Polizisten entlassen – mehr als die Hälfte wegen Beteiligung an illegalem Drogenhandel.

Ob diese Anstrengungen das Verhalten und die Leistung der Polizei verändern werden oder ihr Ansehen bei der Bevölkerung verbessern, bleibt abzuwarten. Die Herausforderungen sind riesig – und im Kern politisch. Dazu die Analystin Ferrer: „Wir müssen die staatlichen Institutionen stärken und von der nationalen Führung unabhängiger machen. Zudem müssen wir die Ausrichtung der lokalen Regierungen verändern. Wir müssen sie von der Protektion durch den Präsidenten abkoppeln. Der politischen Gewalt muss durch Rechtsstaatlichkeit Einhalt geboten werden.“