Kommentar
Amerikanische Lektionen
Es wäre zu simpel, zu sagen, dass schlichte Ablehnung des Establishments und die Wut der Zurückgebliebenen die Wahl entschieden hätten. Grundlegende Veränderungen müssen bedacht werden. Die Mittelschichten in den USA schrumpfen, weil die Vorteile der Globalisierung und des Freihandels nicht gleichmäßig verteilt werden. Unter Wissenschaftlern besteht kaum Zweifel daran, dass Volkswirtschaften als Ganze von Globalisierung und Freihandel profitieren – aber nicht jedes Individuum tut das.
Sehen wir nun wachsende Spannungen, weil das, was volkswirtschaftlich gut ist, das Wohlergehen eines relevanten Bevölkerungsteils beeinträchtigt? Offensichtlich sind viele Amerikaner verärgert, obwohl ihr Land ökonomisch derzeit unter den hochentwickelten Nationen recht gut dasteht. Im dritten Quartal betrug die Wachstumsrate immerhin 2,9 Prozent.
Beschäftigung ist selbstverständlich auch wichtig. Arbeitsplätze bedeuten Einkommen, Würde und Selbstbewusstsein. Die Arbeitslosenquote in den USA war zuletzt aber auch nicht sonderlich hoch (4,9 Prozent im Oktober – statt zehn Prozent vor sieben Jahren). Wir müssen also davon ausgehen, dass die Beschäftigungsstatistik individuelle Unzufriedenheit nicht korrekt widerspiegelt.
Vielleicht ist es wichtiger, die Grundgesamtheit der Beschäftigten und Arbeitssuchenden zu betrachten. Ihr Anteil an der Bevölkerung betrug vor 2008 noch 66 Prozent und nun nur 63 Prozent. Das könnte darauf hinweisen, dass manche Menschen gern arbeiten würden, aber die Jobsuche aufgegeben haben.
Globalisierung und Freihandel treiben Wachstum an, aber sie fördern nicht den Wohlstand von allen. Es gibt Gewinner und Verlierer. Wenn kein stimmiger Ausgleich durch Umverteilung der Vorteile geschaffen wird, fallen die Verlierer unumkehrbar zurück. Denken wir an eine kleine oder mittlere Firma, die wegen billiger Einfuhren ihre Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat: Eigentümer und Beschäftigte verlieren ihr Einkommen.
Das US Trade Adjustment Assistance Program soll eigentlich Ausgleich schaffen und den Globalisierungsverlierern helfen, sich so anzupassen, dass sie wieder Arbeit finden. Das Programm besteht seit 60 Jahren – aber die Ergebnisse sind durchwachsen.
Internationaler Handel ist auch nicht der einzige Faktor mit Einfluss auf Beschäftigungschancen. Technischer Fortschritt – vor allem Digitalisierung – ist ebenfalls wichtig. Es scheint, dass die wachsende Kluft zwischen nationalem Wirtschaftserfolg und individuellem Wohlergehen erheblich zur Erklärung des Wahlergebnisses in den USA beiträgt. Zudem ist ähnliche Wut auch in anderen Ländern erkennbar. Sie treibt populistische Bewegungen an und hat dazu beigetragen, dass die Briten gegen den Verbleib in der EU gestimmt haben.
Wir sollten auf Globalisierung und Freihandel aber nicht verzichten. Sie stärken doch Volkswirtschaften. Wenn wir weltweiten Wohlstand wollen, müssen wir dem protektionistischen Druck, neue Zäune zu errichten, widerstehen. Andererseits müssen sicherlich die Wunden großer sozialer Gruppen geheilt werden. Politiker, Wissenschaftler und internationale Organisationen müssen mehr tun, als die Vorteile der Globalisierung zu beschwören. Es kommt nun mal auch auf die Teilhabe an diesen Vorteilen an.
Regierungen sollten also mehr auf faire Umverteilung achten und mehr dafür tun, benachteiligte Gruppen gezielt zu fördern. Wenn es zu viele Globalisierungsverlierer gibt, kann Globalisierung scheitern – und dann gäbe es weltweit noch weniger Chancen.
Wie es scheint, liegt der Ball nun im Feld der Befürworter von Globalisierung und Handel. Ob Trump bei seiner Wahlkampfrhetorik bleibt oder im Amt eine andere Haltung annimmt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls zeigt das Wahlergebnis, dass die Globalisierungsbefürworter wichtigere Hausaufgaben als je zuvor zu machen haben.
Jong Woo Kang arbeitet als Ökonom bei der Asian Development Bank.
jkang@adb.org