Philippinischer Humor
„Joke lang!“ – „Nur ein Witz!“: politischer Humor auf den Philippinen

Im Jahr 2012 wurde ein Twitter-Account mit dem Namen @iamethylgabison aktiviert und erlangte schnell große Popularität. Der Name bezieht sich auf den Klarnamen der philippinischen Komikerin und Sängerin Ethel Booba. Eine Zeitlang deutete alles darauf hin, dass Booba selbst hinter dem Account steckte, doch später distanzierte sie sich unter mysteriösen Umständen davon. Wie Booba selbst wurde der Account inszeniert als eine freche, talentierte junge Frau mit scharfsinnigem Humor. Er postete Beiträge wie diesen: „Frage: Wer kam zuerst, das Ei oder das Huhn? Ich: Der Bürgermeister sollte immer zuerst kommen. Charot!“
Der Begriff „Charot“ stammt aus der homosexuellen Subkultur der Philippinen, ist aber längst im Mainstream angekommen. Er entspricht der Phrase „Joke lang!“ („Nur ein Witz!“), die auf den Philippinen weit verbreitet ist. Sie dient dazu, das gerade Gesagte schnell zurückzunehmen – eine Art Pseudo-Entschuldigung für etwas, das eigentlich halb oder sogar ganz ernst gemeint ist. Auf den Philippinen gibt es mehr als 170 Sprachen; die Amtssprachen sind Filipino und Englisch.
Die Verwendung von „Charot“ wurde zum Markenzeichen von Ethel Booba. Im Jahr des Amtsantritts von Präsident Rodrigo Duterte, 2016, veröffentlichte die Komikerin ein Buch, das die Tweets von @iamethylgabison zusammenfasste unter dem Titel „#Charotism: the wit and wisdom of Ethel Booba“.
Während die Duterte-Regierung ihre Macht ausbaute und die Pandemie ausbrach, wurden die Tweets immer witziger und der Ton immer dreister. Der Account kritisierte etwa die Regierung dafür, dass sie das damals größte private Nachrichtenunternehmen ABS-CBN möglichst schnell schließen wollte und lieferte sich dazu Twitter-Wortgefechte mit einem bekannten Pro-Duterte-Blogger. @iamethylgabison thematisierte auch, dass die Vizepräsidentin Leni Robredo – die von der Opposition unterstützt wurde und diese repräsentierte – von einer Troll-Armee auf Social Media schikaniert wurde. Einer ihrer Tweets kann so interpretiert werden, dass er auf eine orchestrierte digitale Kampagne gegen die Opposition hinweist.
Inmitten der Covid-19-Pandemie wurde Social Media auf den Philippinen zu einem virtuellen politischen Schlachtfeld. Der Hintergrund war sehr real, gewalttätig und auch tragisch: der Terror und die Gewalt des sogenannten Krieges gegen die Drogen, den Präsident Duterte ausgerufen hatte und der sich als Krieg gegen kleine Drogenhändler*innen und -konsument*innen entpuppte. Schätzungen zufolge wurden Zehntausende ohne Gerichtsverfahren umgebracht. Hinzu kamen die Dringlichkeit und die Unsicherheiten der Pandemie, die auch viele politische Kontroversen und Korruption mit sich brachte.
Der Internationale Strafgerichtshof erließ Haftbefehl gegen Duterte, und der Ex-Präsident wurde im März in Manila festgenommen. Dies führte auf Social Media zu einem regelrechten Krieg zwischen Dutertes Befürworter*innen und Gegner*innen. Als eine der wirksamsten Waffen erwies sich der philippinische Witz, dem die Menschen etwa auf Facebook freien Lauf ließen.
Tradition politischen Humors auf den Philippinen
Vor den Zeiten des Internets funktionierte der philippinische Witz vor allem live. Stand-up-Comedians wie Willie Nepomuceno und Nanette Inventor brachten das Publikum in Hotel-Lounges und TV-Shows zum Lachen, indem sie vernichtende politische und gesellschaftliche Kommentare abgaben oder treffsicher – manchmal auch spontan – hochrangige Persönlichkeiten imitierten. Willie Nepomuceno, der 2023 im Alter von 75 Jahren starb, war für viele der führende Imitator des Landes: Seine Karriere umfasste fünf männliche philippinische Präsidenten: von Ferdinand Marcos (der Vater des derzeitigen Präsidenten) bis Rodrigo Duterte. Er imitierte sie alle auf unnachahmliche Weise und zog sie kunstvoll durch den Kakao.
Nach der gewaltlosen Revolution von 1986 löste die Regierung unter Präsidentin Corazon Aquino den Diktator Marcos ab. Während ihrer Amtszeit füllte eine TV-Show namens „Sic o’Clock News“ ihre 30-minütige Sendung mit Sketchen und Imitationen, präsentiert als Korrespondentenberichte und Interviews in einer fiktiven Nachrichtensendung. Die Sendung persiflierte Kongressabgeordnete und die neue Regierung aufs Schärfste. Sie nahm in ihren Sketchen kein Blatt vor den Mund und kritisierte sogar die eigenen Sponsoren. Sie zeigte somit auch, dass die Aquino-Regierung bereit war, sich auf den Arm nehmen zu lassen. Das war gelebte Meinungsfreiheit – im Gegensatz zur vorhergehenden Diktatur.
Wer beleidigt ist, verliert
Eine strenge Verfolgung mussten die Komiker*innen damals nicht fürchten. Wie in vielen anderen Teilen der Welt, fällt die Parodie auf den Philippinen unter „Fair Use“. Diese Norm erlaubt es in bestimmten Fällen, eigentlich urheberrechtlich geschütztes Material ohne Genehmigung zu verwenden. In den 1980er- und 1990er-Jahren herrschte auf den Philippinen zudem die Grundeinstellung „pikon-talo“, was grob übersetzt so viel bedeutet wie „wer beleidigt ist, verliert das Spiel“. Das verhalf Komiker*innen zu einer Art Straffreiheit – machte sie aber auch in gewisser Hinsicht zu Kompliz*innen. Vorgeblich korrupte Politiker*innen konnten behaupten, die Kritik sei in der Tat „nur ein Witz“.
Einige kluge Politiker*innen rückten sogar Parodien auf sich selbst ins Rampenlicht. Berühmt wurde der Fall der Transgender-Frau Ate Glow, die ihren Lebensunterhalt damit verdiente, die damalige Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo zu imitieren. Sie trat schließlich bei Wahlkampfveranstaltungen für Arroyo auf, als diese 2004 für eine volle Amtszeit kandidierte. Obwohl Arroyo sie anfangs nie offiziell engagierte, war ihre Popularität so stark gestiegen, dass die Präsidentin sie später zur Repräsentantin der Anti-Drogen-Kampagne der Regierung erkor.
Verschärfte Gesetze
Im Jahr 2012 führte die Regierung unter Präsident Benigno Aquino III. ein Gesetz zur Verhinderung von Cyberkriminalität ein. Seither kann Verleumdung auf Social Media mit Geldstrafe, zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen oder bis zu zwölf Jahren Haft geahndet werden. Dies machte Online-Persönlichkeiten zu leichten Zielen für dünnhäutige Politiker*innen – und für jene, die die Macht der sozialen Medien verstanden.
Gleichwohl blieb der kunstvolle Witz ein mächtiges Werkzeug auf Social Media. Er reißt soziale und wirtschaftliche Grenzen ein, dient aber auch der Abgrenzung. So gut wie alles kann zur Zielscheibe des komödiantischen Vergnügens werden – von Prominenten bis hin zu bekannten Marken und Unternehmen. Zig Millionen Philippiner*innen sind beispielsweise auf Facebook und verbreiten dort fleißig lustige Memes.
Der philippinische Humor, der die Menschen durch schwierige politische Zeiten hindurch begleitet hat, blüht im digitalen Zeitalter weiter auf, wie das Beispiel von @iamethylgabison zeigt. Dass sich Ethel Booba allerdings von dem Account distanziert hat und er abrupt dauerhaft stillgelegt wurde, erinnert an das Ende der TV-Show „Sic o'Clock News“ nicht einmal vier Jahre nach ihrem Start im Jahr 1987. Ihr gingen die Sponsoren und Werbekunden aus – sie hatte sie mit ihren politischen und sozialkritischen Inszenierungen, Gags und Pointen vergrault und wurde so zum Opfer ihres eigenen erfolgreichen Humors. So hatte sie eines bewiesen: In einem Land, in dem Humor eine Waffe und ein Ventil ist, kann die reale Welt genauso absurd sein wie eine Comedy-Nummer.
Angelo R. Lacuesta ist philippinischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Präsident
von PEN Philippinen.
sargelacuesta@gmail.com