Kommentar

Punktsieg für Correa

Nachdem ein kolumbianischer Luftangriff ein Lager der FARC-Guerrilla in Ecuador zerstörte, wurde die Eskalation der Krise zwischen den beiden Ländern verhindert. Venezuelas Präsident Chávez blamierte sich, und Kolumbien und USA wurden in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) isoliert.


[ Von Mirjam Gehrke ]

Lateinamerika ist nicht der Nahe Osten, Kolumbien kein Pendant zu Israel – trotz der guten Beziehungen zwischen Bogotá und Washington und der strategischen Interessen der USA in der Region. Diplomaten anderer lateinamerikanischer Staaten traten nach dem Luftangriff Kolumbiens geschlossen der Achse Washington-Bogotà entgegen. Die Verletzung der Souveränität eines Landes ist auch mit dem Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel nicht zu rechtfertigen, darin herrscht Konsens in Lateinamerika.

Inzwischen stehen Ecuador und Kolumbien wieder diplomatisch in Kontakt. Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe hat sich bei seinem ecuatorianischen Amtskollegen Rafael Correa entschuldigt. Auch aus Venezuela kamen nach der ersten Krisensitzung der OAS Anfang März versöhnliche Töne. Dass Ecuador und Venezuela in der heißen Phase Tausende von Soldaten an die Grenzen zu Kolumbien schickten, hatte ohnehin wohl eher innenpolitische Motive. Beide Länder unterhalten unverzichtbare Wirtschaftskontakte zu Kolumbien. Militärisch kann Ecuador es mit dem hochgerüsteten Nachbarn gar nicht aufnehmen. Kolumbien verfügt über das größte Militär Lateinamerikas: Mit 270 000 Mann in drei Waffengattungen und 140 000 uniformierten Polizisten.

Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe ist bei den Wählern derweil unangefochten populär. 82 Prozent der Kolumbianer äußerten sich nach dem Luftangriff auf die FARC im März laut Gallup mit Uribes Politik einverstanden. Sein Ansehen verdankt Uribe der konsequenten Militarisierung des Konfliktes mit der Guerrilla, die einst seinen Vater entführte und ermordete. Möglich machen diese harte Politik im Zeichen der eigenen Biographie Dollar-Milliarden, mit denen Washington seit Jahren Antiterrorkampf und Drogenanbau finanziert. Grenzüberschreitung hat bei Uribe System: Die Guerrilla soll zurückgedrängt werden, womit der Krieg in die Nachbarländer exportiert wird.

Ecuadors Präsident Rafael Correa beklagt seit langem die hohen Kosten der Grenzsicherung mit der Dauerstationierung von 10 000 Soldaten. In den vergangenen Jahren hat Ecuador wiederholt gegen das von den USA unterstützte Besprühen illegaler Kokapflanzungen durch kolumbianische Lufteinheiten auf seinem Hoheitsgebiet protestiert. Hauptleidtragende sind Kleinbauern. Ihre Ernten werden vernichtet, sie selbst durch das Pflanzengift krank. Die jüngste Krise zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela lässt sich als Testlauf nach dem alten Motto: „Wie lassen sich US-kritische Regierungen destabilisieren?“ interpretieren. Die USA hängen von der Ölproduktion in Venezuela ab und schielen zudem auf Ecuadors noch unerschlossene Quellen. Die USA-kritischen Präsidenten Correa und Chávez durchkreuzen ihre Pläne.

Chávez steht unter wachsendem Druck im eigenen Land. Sein Modell der sozialen Besänftigung droht unter der hohen Inflation von zuletzt 22 Prozent und der Lebensmittelknappheit zu kollabieren. Die Deviseneinnahmen aus dem Ölexport haben keinen echten Wirtschaftsaufschwung ausgelöst. Es mangelt an Wohnungen und neuen Arbeitsplätzen. Die Mittelschicht reagiert mit Kapitalflucht und Auswanderung. Der Moment war günstig, um Venezuelas Regierung außenpolitisch unter Zugzwang zu setzen – und Chávez blamierte sich prompt. Seinem markig-martialischen Auftreten folgte allzu schnell Schulterklopfen mit Uribe vor Kameras beim Krisengipfel in Santo Domingo.

Geschickter agierte Correa, der neben Säbelrasseln für das heimische Publikum auch eine kluge Reisediplomatie betrieb. Er setzte zwar keine Sanktionen gegen Kolumbien durch, stieß aber auf dem ganzen Kontinent auf offene Ohren. Innerhalb der OAS hat Correa die USA und Kolumbien isoliert. Jetzt sind besonnene Dialogpartner gefragt, welche die südamerikanische Staatengemeinschaft als Bund stärken, der Differenzen im Dialog löst. Vor allem aber muss in politisch stabilen Strukturen und vor dem Hintergrund von Rohstoffboom und Wirtschaftswachstum ein reales Mehr an Wohlstand für die Menschen in Lateinamerika erfahrbar werden. Eine gerechtere Einkommensverteilung ist das beste Mittel im Kampf gegen den Terror.