Erderwärmung
Technologische Revolution und kluge Politik
Seit Beginn der Industrialisierung etwa um 1850 hat sich die Erde bereits um ein Grad erwärmt, erklären die Autoren des IPCC-Berichts. Sie halten das 1,5-Grad-Ziel aus naturwissenschaftlicher Sicht für machbar, allerdings erfordere dies weitreichende Veränderungen in Industrie, Verkehrsinfrastruktur, Energieversorgung und Landnutzung. Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen, insbesondere CO2, müsste in den nächsten Jahren rapide sinken. Leider sieht der Trend derzeit anders aus. Seit Beginn der 1990er Jahre ist der CO2-Ausstoß förmlich explodiert und um 60 Prozent gestiegen.
Ich glaube, dass das 1,5-Grad Ziel nicht mehr zu erreichen ist, Politik und Wirtschaft agieren zu träge. Aber wenigstens das 2-Grad-Ziel wäre machbar. Dazu müsste die Wirtschaft bis etwa 2050 kohlenstoffneutral werden und anschließend zu negativen Emissionen übergehen – also netto CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Dazu bräuchte es aber eine technologische Revolution. Das kann schnell gehen, aber die Politik müsste die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen. Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus, dass dies passieren würde.
Leider klaffen Anspruch und Wirklichkeit in der internationalen Klimaschutzpolitik häufig auseinander. Ein Strukturwandel wie dieser erfordert langfristiges Denken und politischen Willen. Staaten müssen sich an ihre Klimaschutzziele halten. Europa und auch Deutschland haben ihre Vorreiterrolle im Klimaschutz abgegeben. Deutschland wird sein selbstgestecktes Ziel verfehlen, die Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken. Länder wie Polen halten an einer langfristigen Energieversorgung mit Kohle fest.
In Deutschland, das zu den zehn größten CO2-Emittenten gehört, ist neben dem Energie- auch der Verkehrssektor ein Problem. Der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem die Treibhausgasemissionen immer noch wachsen. Hier wurden falsche Anreize hin zu größeren Autos gesetzt und zu wenig in den öffentlichen Nahverkehr und attraktive Bahnangebote in der Fläche investiert. Im Vergleich dazu hat Norwegen in Oslo beispielsweise vor vielen Jahren eine City-Maut eingeführt und fördert jetzt massiv die Elektromobilität. Nur Elektroautos dürfen kostenlos in die Stadt hineinfahren. Damit werden nicht nur Treibhausgase verringert, sondern auch die Luftqualität in der Stadt verbessert – eine Win-win-Situation.
Ein weiteres Beispiel für eine sinnvolle politische Maßnahme ist die Bepreisung von CO2. In den vergangenen zwölf Monaten ist der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel von sieben auf 20 Euro gestiegen. Ein weiterer Preisanstieg könnte die richtigen Anreize zur Senkung von Emissionen setzen. Neben der Reduktion von Treibhausgasemissionen wird es auch nötig sein, CO2 aus der Atmosphäre wieder zu entfernen. Dieses könnte man beispielsweise zur Erzeugung von erneuerbarem Erdgas oder synthetischer Kraftstoffe nutzen.
Zudem wird derzeit an verschiedenen Methoden zum Geo-Engineering geforscht. Durch technische Eingriffe soll damit die Erderwärmung gedämpft werden. Beispiele dafür sind das Einbringen von Schwefeldioxid in die Erdatmosphäre oder die Düngung der Meere mit Eisen oder Phosphor. Die Risiken derartiger Methoden sind unkalkulierbar wie auch die benötigten finanziellen Mittel. Keine dieser Techniken wird jedoch in den nächsten Jahrzehnten in großem Maßstab einsatzbereit sein. Die Reduktion von Treibhausgasen hat daher weiterhin Priorität.
Ohne entschlossenes politisches Handeln wird sich die Ungleichheit zwischen Ländern durch den Klimawandel verschärfen. Einige der Länder, die von Umweltveränderungen am stärksten betroffen sind, können sich Anpassungsmaßnahmen nicht leisten. Eine zunehmende Erwärmung würde dort schlimmere Folgen haben als in Ländern, deren Emissionen maßgeblich zur Erwärmung beitragen.
Auch wenn China derzeit fast 30 Prozent des weltweiten CO2 emittiert, gibt es eine historische Verantwortung in Europa und den USA. Letztere sind gemessen am kumulativen Treibhausgasausstoß, der viele Jahrzehnte berücksichtigt, für die Hälfte des Anstiegs der Treibhausgase verantwortlich. Wichtig wäre es, dass einige Länder mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass kluges Wirtschaften nicht zu Lasten der Umwelt gehen muss.
Mojib Latif ist Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Präsident des Club of Rome Deutschland.
mlatif@geomar.de