Afrika
Drei Schritte vor, einer zurück
Von Eva-Maria Verfürth
Noch im Jahr 2000 hatte die Zeitschrift The Economist einen Artikel mit dem Titel „Hoffnungsloses Afrika“ veröffentlicht. Schließlich waren die meisten afrikanischen Staaten in den 1990er Jahren wirtschaftlich kaum gewachsen. Heute sieht das anders aus: „Afrika im Aufbruch“ titelte die Zeitschrift Ende letzten Jahres angesichts hoher Wachstumsraten. Die Wirtschaftswelt ist begeistert.
Christian Wessels von Roland Berger Strategy Consultants erklärt: Für Afrika sei dies die Zeit mit der geringsten Zahl an Konflikten, die Armut sinke, eine kleine Mittelklasse entstehe, und die Demokratien festigten sich. Zwar gebe es noch große Probleme für Unternehmen – wie beispielsweise die Stromversorgung –, doch immerhin wären die meisten Länder bemüht, daran etwas zu ändern. Ein großes Problem für das Unternehmertum bliebe vor allem die Korruption. „Wenn es früher in Afrika drei Schritte vorwärtsging, dann ging es danach wieder drei zurück“, so der Unternehmensberater. „Heute hat man das Gefühl, dass es nach drei Schritten vor nur noch einen zurück geht.“
Der senegalesische Ökonom Abdoulaye Diagne, Vertreter des Wissenschaftsnetzwerks PEP-Africa und Direktor des Forschungskonsortiums CRES, wendet jedoch ein: „Wir haben zwar sicheres Wirtschaftswachstum, aber wir wollen, dass es ein nachhaltigeres und inklusiveres Wachstum wird.“ Schließlich lebt weiterhin fast die Hälfte aller Afrikaner südlich der Sahara von weniger als 1,25 Dollar am Tag, und die Ungleichheit bleibt hoch. Wie es zu schaffen ist, dass Wachstum in Afrika Armut reduziert und Arbeitsplätze schafft, diskutierten die Teilnehmer der PEGNet Conference 2012 „How to make African Economic Lions: Tapping Africa’s Growth and Poverty Reduction Potentials“ Anfang September in Dakar. „PEGNet“ bedeutet Poverty Reduction, Equity and Growth Network und ist ein Verbund von deutschen und internationalen Forschungseinrichtungen.
Kultur der öffentlichen Institutionen
Mwangi Kimenyi von der Brookings Institution betonte, dass wirtschaftlicher Aufschwung den Ärmsten stärker zugutekomme, je ausgeglichener die Einkommensverteilung in einem Land sei. Er forderte daher, dass afrikanische Staaten vor allem durch gute Gesetze die Ungleichheit in der Gesellschaft angehen müssten. Länder wie Angola zeigten, dass sonst vom Aufschwung nur die Reichen profitieren.
Dem Wissenschaftler zufolge braucht es zwei Dinge, damit ein Land sich entwickeln kann: Einkommen und politischen Willen. Bleiben Länder unter einem Einkommensniveau von 2400 Dollar pro Kopf, könne in diesen Ländern keine nennenswerte Entwicklung stattfinden. Doch auch Länder mit ausreichendem Einkommen werden ohne ausreichenden politischen Willen nicht vorankommen.
Der Wissenschaftler vergleicht deshalb das Einkommen verschiedener Länder mit Indikatoren des Human Development Index und kommt zu dem Ergebnis: Die meisten afrikanischen Länder haben sowohl ein Einkommens- als auch ein Willensdefizit. Selbst einkommensstärkere Länder wie Südafrika wiesen in Afrika oft nur verhältnismäßig schlechte Entwicklungswerte auf.
Kimenyi kritisiert in dem Zusammenhang vor allem die „Kultur der öffentlichen Institutionen“: So ergaben Erhebungen, dass Schüler im Senegal täglich nur knapp über drei Stunden effektiv unterrichtet werden, in Tansania sind es sogar nur zwei Stunden. Auch im Gesundheitswesen gibt es Mängel. Ärzte im Senegal widmen ihren Patienten nur rund 39 Minuten täglich, in Tansania 29. Damit Politik sich dieser Missstände annimmt, muss dem Wissenschaftler zufolge politische Macht besser verteilt werden. Auch die Armen müssen Einfluss nehmen können.
Keine leichte Aufgabe
Zu dem Schluss, dass Regierungsführung und soziale Investitionen Schlüssel zu Pro-poor-Wachstum sind, kommen auch Handelsexperten. Ob afrikanische Volkswirtschaften von Freihandel profitieren und ob dieser armutsmindernd ist, variiert zwar je nach Land und Branche. Handelsabkommen zwischen der EU und ECOWAS beispielsweise haben Berechnungen von Ismael Fofana vom International Food Policy Research Institute (IFPRI) zufolge nur dann Vorteile für afrikanische Staaten, wenn die Liberalisierung auf bestimmte Sektoren beschränkt bleibt. Aber auch für Freihandel gilt, dass er sich umso positiver auf Armut auswirkt, je inklusiver der Finanzsektor, je besser das Bildungswesen und die Regierungsführung sind, wie
Maëlan Le Goff vom französischen Forschungszentrum CEPII erklärt.
Die meisten afrikanischen Länder mögen noch einen langen Weg vor sich haben, bis sie wirklich nachhaltiges Wachstum erreichen. Die Konferenzteilnehmer zeigen sich vor allem ob der wachsenden Jugendarbeitslosigkeit besorgt (siehe Kasten). Außerdem, erklärt Kimenyi, täuschten die hohen Wachstumsraten leicht darüber hinweg, dass bisher nicht einmal die Ernährungssicherheit gewährleistet sei. Und der Demokratie-Index verschleiere die Tatsache, dass Nationbuilding oft noch nicht abgeschlossen sei: Vielen Bürgern gehe der Volksstamm über den Staat, und in demokratischen Wahlen entschieden sie nach Stammeszugehörigkeit statt nach Parteiprogramm. Auch die viel gepriesene Mittelschicht sei noch nah an der Armut.
Doch sie wächst und pocht auf Wandel, gibt er zu. Einen grundlegenden Unterschied zu früher sieht auch Aliou Faye, Direktor des Forschungsinstituts CEPOD: „Seit der Jahrtausendwende gibt es deutlichen Fortschritt. Und diesmal geht die Dynamik von den Afrikanern selbst aus.“
Eva-Maria Verfürth