Standardisierung
Aus Abwasser wird Trinkwasser
2010 haben die UN Sanitärversorgung zum Menschenrecht erklärt. Trotzdem hat nach wie vor mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung keinen Zugang zu funktionierenden Sanitäranlagen und Abwasserentsorgung. Viren, Bakterien und andere Krankheitserreger verbreiten sich unter diesen Bedingungen schnell. Rund 80 Prozent der Krankheiten in Entwicklungsländern gehen auf verschmutztes Wasser und schlechte sanitäre Verhältnisse zurück. 1,4 Millionen Kinder unter sechs Jahren sterben jedes Jahr an infektiösen Durchfallerkrankungen – das sind mehr Todesfälle als durch Malaria, Masern und AIDS zusammen.
Einfache Anlagen wie Latrinen und Klärgruben lösen das Problem nur zum Teil. Denn sie bieten in vielen Fällen keine sichere Entsorgung von Abwässern. Es fehlt häufig an der nötigen Infrastruktur, um die Anlagen instand zu halten oder auch nur zu leeren. Die Folge sind Leckagen. Das kontaminiert die Umwelt und verunreinigt Trinkwasserquellen. Auch ist eine sachgemäße Behandlung von Abwässern und Schlämmen selten gewährleistet.
Weil keine zentralen oder keine funktionierenden Anlagen existieren oder die Entfernungen zu groß sind, werden 98 Prozent der Abwässer unbehandelt und unkontrolliert in Flüsse, Seen und Meere entsorgt. Eine dezentrale Behandlung brächte viele Vorteile: organisatorisch und logistisch sowie für die hygienische und die gesundheitliche Situation der Menschen vor Ort.
Westen kein Vorbild
Eine Sanitärversorgung nach westlichem Vorbild eignet sich in Entwicklungsländern häufig nicht. Kanalisationssysteme sind schlicht zu teuer. Toiletten mit Spülung verbrauchen zu viel Wasser, das in vielen Regionen ohnehin knapp ist. Daher sind Alternativen gefragt, die den lokalen Bedingungen gerecht werden. Dezentrale Ansätze sind hier vielversprechender.
Die sichere Beseitigung von Abwasser und organischen Reststoffen ist aber nur ein Ziel. Denn Aufbereitungsanlagen im Stil von sogenannten Omni-Processor-Anlagen leisten noch viel mehr: Sie gewinnen Energie, Biogas, Dünger, Pflanzenkohle (Hilfsstoff für die Kompostierung) und sogar Trinkwasser aus den Abfällen. Mit diesen wertvollen Ressourcen ließe sich die Lebenssituation der Menschen deutlich verbessern.
Abwässer, aber auch organische Abfälle werden hohen Temperaturen ausgesetzt, sodass das darin enthaltene Wasser verdampft und die Feststoffe zurückbleiben. Der Wasserdampf wird aufgefangen, während die Feststoffe verbrannt werden. Die Wärme aus dem Verbrennungsprozess dient dazu, Dampf herzustellen, der Turbinen antreibt. Die erzeugen Elektrizität, die die Anlage selbst nutzt oder in das lokale Stromnetz einspeist, falls mehr produziert wird als benötigt. Aus dem kondensierten und gereinigten Wasserdampf entsteht sauberes Trinkwasser. Auch alternative technische Lösungen werden derzeit erforscht.
Fehlende Standards
Genau hierin liegt jedoch ein zentrales Problem. Entwickler verfolgen unterschiedliche Ansätze und Strategien, die noch nicht alle ausgereift sind. Der Prüfdienstleister TÜV SÜD arbeitet am ersten international anerkannten Standard für Anlagen zur dezentralen Abwasserbehandlung. Damit würden die existierenden Lösungsansätze transparent und vergleichbar. Entwickler könnten sich bei der Konzeption und Optimierung der Anlagen und Prozesse an diesem Standard orientieren. Typischerweise werden Standards lange nach der Einführung von Produkten entwickelt. In diesem Fall dagegen soll der Standard die Entwicklung und Etablierung der dezentralen Aufbereitungsanlagen erleichtern.
Denn so vielversprechend die dezentrale Abwasserbehandlung auch ist: Vor einer umfassenden Nutzung muss sichergestellt sein, dass die Anlagen für Mitarbeiter, Umwelt und Bevölkerung sicher sind. Sie müssen zuverlässig und effizient funktionieren und bestimmte Qualitäts- und Effizienzanforderungen erfüllen.
In erster Linie muss natürlich gewährleistet sein, dass der Behandlungsprozess Krankheitserreger zuverlässig beseitigt und alle entstehenden Produkte, beispielsweise Trinkwasser, gesundheitlich unbedenklich sind. Auch die Pflanzenkohle oder der Dünger müssen frei von Pathogenen sein und die an sie gestellten Anforderungen erfüllen, etwa in Bezug auf den Nährstoffgehalt. Gleiches gilt für die prognostizierte Strommenge. Dies führt zu einer stringenten und letztendlich zielführenden Entwicklung, aber auch zu erhöhter Marktakzeptanz.
Ein Omni-Processor lässt sich unter bestimmten Bedingungen wirtschaftlich betreiben. Trinkwasser, Strom und Pflanzendünger werden in Entwicklungsländern dringend gebraucht. Erst wenn die neuen Technologien zuverlässig funktionieren, sind sie auch für Betreiber und Investoren interessant. Um das zu ermöglichen, müssen Hersteller, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen noch einige Hürden nehmen.
Neben den technischen Anforderungen gehören dazu beispielsweise der Betrieb und die Instandhaltung. Die Arbeitssicherheit, die Emissionswerte und Leitlinien für Qualitätsmanagementsysteme spielen eine zentrale Rolle. Wichtig ist auch, dass Behörden, Betreiber und Prüfunternehmen vor Ort in die Lage versetzt werden, komplexe Maschinen mit direkten Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und auf die Umwelt zuverlässig zu prüfen und zu zertifizieren.
Die Einführung von Standards ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich die Technologien auf dem Markt etablieren. Künftig wird sich auch die Frage stellen, welche Geschäftsmodelle sich für den Betrieb solcher Anlagen besonders eignen und wie sie durch ihre Erzeugnisse und Beschäftigungsmöglichkeiten einen ökonomischen Mehrwert in die Regionen bringen können.
Praxistaugliche Ansätze
Im ersten Projektschritt identifiziert TÜV SÜD existierende internationale und nationale Standards, die für dezentrale Abwasserbehandlungsanlagen relevant sind. Mehrere Abteilungen des Prüfdienstleisters sind daran beteiligt: Water Services, Anlagentechnik, Umwelttechnik, Elektro- und Gebäudetechnik sowie Werkstofftechnik. Im zweiten Schritt analysiert TÜV SÜD die Design- und Funktionsprinzipien, nach denen die Anlagen bisher konzipiert, errichtet und betrieben werden. Anschließend wird beides miteinander in Bezug gesetzt, um auszuloten, wie und an welchen Stellen eine Standardisierung möglich und sinnvoll ist.
Mittelfristig will TÜV SÜD einen Standard entwickeln, der unter dem Dach der International Organization for Standardization (ISO) als International Workshop Agreement veröffentlicht werden soll. Der kontinuierliche Austausch mit den Anlagenentwicklern und -betreibern sowie Marktteilnehmern in den Entwicklungsländern hat dabei einen hohen Stellenwert. Dieses Vorgehen stellt einen praxistauglichen und zielführenden Standard sicher und schafft die Basis dafür, sichere Technologien international voranzutreiben – was sich auch positiv auf die Marktakzeptanz der Anlagen auswirken dürfte.
Andreas Hauser ist Leiter von TÜV SÜD Water Services in Singapur.
andreas.hauser@tuv-sud.sg
Link
TÜV SÜD: Sanitation. Foster sustainable solutions.
http://www.tuv-sud.com/industry/water-services/sanitation