Tourismuspotenzial
Zukunftsfähig und entwicklungsfreundlich
Der Tourismus gilt als Schlüsselsektor zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs), die 2015 die Millenniumsziele ablösen sollen. Doch ist der Tourismus in seiner Nachhaltigkeits- und Entwicklungsbilanz keinesfalls besser (oder schlechter) als irgendein anderer Sektor. Gutes, umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement und die konsequente Analyse von Armutsursachen können aber erheblich dazu beitragen, Tourismus entwicklungsfreundlich zu gestalten.
Die positiven ökonomischen Effekte des Tourismus sind schnell benannt: Jobs, Einkommen und Devisen. Über eine Milliarde internationaler Touristen tragen zu neun Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts bei. Die Einnahmen des grenzüberschreitenden Tourismus belaufen sich jährlich auf über 1000 Milliarden Dollar. Überdurchschnittliches Wachstum im Tourismus findet vor allem in und zwischen Schwellenländern statt.
Um beurteilen zu können, inwiefern die Einnahmen aus Tourismus auch armen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen zugutekommen, muss man genauer hinschauen. In vielen Entwicklungsländern werden Waren, wie beispielsweise Lebensmittel, oft aus strukturellen Gründen nicht vor Ort beschafft, sondern importiert. Deshalb verwundert es nicht, dass Entwicklungs- und Schwellenländer pro internationalem Gast weniger Einnahmen generieren als entwickelte Länder.
Kein Wohlstand für alle
Die Arbeit im Tourismus ist sehr von der Saison abhängig und räumlich stark konzentriert. Aufstiegsmöglichkeiten haben oft nur diejenigen, die eine Fremdsprache sprechen und ein vergleichsweise hohes Maß an formaler Bildung mitbringen. So trägt der Tourismus zwar absolut zu mehr Einkommen bei vielen bei. Gleichzeitig droht er sozio-ökonomische Unterschiede in der Gesellschaft zu vergrößern und damit strukturellen Ursachen von Verarmung Vorschub zu leisten.
Im Rahmen der touristischen Entwicklung und Erschließung werben viele Länder mit guten Investitionsbedingungen, das heißt niedrigen Steuern und geringen Umwelt- und Sozialauflagen. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer setzen auf Sonderwirtschafts- und Entwicklungszonen. Die Steuerbegünstigungen und -befreiungen verhindern aber, dass Einnahmen generiert werden, die in den Gesellschaften verteilt werden können und damit auch die Menschen erreichen, die nicht direkt vom Tourismus profitieren. In diesen Sondergebieten berichten zivilgesellschaftliche Organisationen immer wieder von Vertreibungen und mangelnder Beteiligung der Menschen vor Ort – wie ein Beispiel in Myanmar aktuell zeigt. Menschenrechtsverletzungen im Zuge der touristischen Entwicklung in Sri Lanka beklagt gegenwärtig die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Sie macht öffentlich, dass Fischern durch die touristische Nutzung von Küstengebieten der Zugang zum Meer erschwert oder vollständig verwehrt wird.
Ökologische Schäden
Auch die Ökobilanz des Tourismus ist differenziert zu betrachten. Auf lokaler Ebene hängt es sehr von den Investoren und den politischen Entscheidungsträgern ab, ob sie Ökosysteme durch touristische Nutzung schützen oder zerstören. Von den Verantwortlichen hängt es auch ab, wie sie mit zunehmendem Müll und Abwasser sowie der steigenden Nachfrage nach Ressourcen umgehen. Unbestritten sind aber die klima-und umweltschädigenden Auswirkungen des Flugverkehrs, dessen Emissionen in hohen atmosphärischen Schichten besonders klimaschädlich sind.
Der Flugverkehr wächst jährlich um gut fünf Prozent, in einigen Schwellenländern sogar im zweistelligen Bereich. Mittlerweile nutzen jedes Jahr 3,3 Milliarden Passagiere ein Flugzeug. In allen Ländern sind es die Mitglieder der wachsenden Mittel- und Oberschicht, die fliegen. Die Folgen des Klimawandels treffen aber besonders ärmere Menschen in Entwicklungsländern, weil sie oft in starkem Maße von der Landwirtschaft abhängen und finanziell keine Kompensationsmöglichkeiten für Ernteausfälle und steigende Preise haben.
Es ist deshalb eine Frage der globalen Gerechtigkeit, Tourismus klimafreundlich zu gestalten. Gerade im Kurz- und Mittelstreckenbereich könnten Flüge reduziert oder gänzlich vermieden werden. Eine Mobilitätswende bei uns und die Förderung klimafreundlicher, öffentlicher Massenmobilität – auch in Entwicklungs- und Schwellenländern – wären dazu nötig.
Im Tourismus hat Nachhaltigkeit eine besondere soziokulturelle Dimension: In keiner anderen Wirtschaftsbranche kommt der Kunde zum „Produktionsort“ und bekommt die Chance, die Menschen zu treffen, die für „sein“ Produkt verantwortlich sind – seien es die Mitarbeiter im Hotel, die Reiseführerin oder die Menschen, die im Urlaubsort leben.
Wenn es gelingt, Angebote zu schaffen, die Begegnung zwischen Touristen und Einheimischen auf Augenhöhe zulassen, kann der Tourismus zum globalen Verständnis und Austausch beitragen und die gegenseitige Wertschätzung erhöhen. Gelingt dies nicht, droht die Zerstörung der traditionellen Lebens- und Kulturformen im Urlaubsland. So können Angebote entstehen, die vor Ort nicht nur fragwürdig, sondern auch schädlich sind. Das Beispiel „Voluntourismus“ belegt dies. Dabei nehmen Reisende nicht nur touristische Angebote wahr, sondern machen freiwillig für kurze Zeit Arbeitseinsätze in sozialen Einrichtungen. Grundsätzlich ist ein Blick hinter die touristischen Kulissen begrüßenswert, er lässt in vielen beliebten Einsatzländern aber Korruption und Kinderhandel blühen, damit Reisende Einsätze in Kinderheimen absolvieren können.
Die Menschen in den Mittelpunkt stellen
Um Tourismus entwicklungsfreundlich zu gestalten, müssen Entscheidungsträger deshalb vor allem die heimische Bevölkerung an touristischen Entscheidungen teilhaben lassen. Armutsbekämpfung durch Tourismus ist mehr, als „nur“ Einnahmen zu erzielen. Die Politik muss auch finanzielle Mittel umverteilen, damit besonders von Armut betroffene Menschen teilhaben und die Ursachen von Armut beseitigt werden können.
Menschen vor Ort sollten gefördert und qualifiziert werden, um Aufstiegsmöglichkeiten im Tourismus zu erhalten und die Chance zu bekommen, sich selbst im Tourismus ein Auskommen zu schaffen. Grundlegend gilt, dass Tourismus nur dann zukunftsfähig sein kann, wenn er die Rechte der Menschen schützt und achtet, die kulturellen Gegebenheiten respektiert und die natürliche Lebensgrundlage schützt und erhält.
Die grenzüberschreitende Natur des internationalen Tourismus bedingt, dass der Sektor weitgehend unreguliert ist. Die internationale Gemeinschaft konnte sich bisher beispielsweise nicht auf verbindliche Emissionsreduktionen für die internationale Mobilität einigen, weshalb der Flug- und Schiffsverkehr ohne finanzielle Auflagen weiter wachsen kann.
Auf globaler Ebene ist die Welttourismusorganisation (UNWTO) der Vereinten Nationen für die „Welttourismus-Politik“ zuständig. Der UNWTO gehören Staaten und – als einzige UN-Sonderorganisation – affiliierte Unternehmen an. Ihr Fokus liegt auf dem Wachstum des Tourismus und dem Abbau von Wachstumshemmnissen. Ihr „Globaler Ethik-Kodex“ stellt eine Orientierungshilfe für Staaten und Unternehmen dar, er beinhaltet aber keine bindenden Elemente oder gar Sanktionsmechanismen.
Insgesamt wird in Politik und internationalen Institutionen viel von „nachhaltigem Tourismus“ oder „grünem (inklusiven) Wachstum“ gesprochen. Die Begriffe bleiben aber schwammig, denn keine Organisation hat bislang eine konsensfähige Definition vorgelegt.
Tourismusbezogene Entwicklungspolitik
Um die Entwicklungsfreundlichkeit des Tourismus zu erhöhen, ist ein umfassender Ansatz nötig. Dieser muss gleichermaßen auf lokaler wie internationaler Ebene greifen sowie Tourismusunternehmen und Reisende mit ins Boot holen. Auf lokaler Ebene muss es darum gehen, den Menschen vor Ort effektiv Mitsprache an der touristischen Entwicklung zu ermöglichen und ihre Rechte, etwa auf ihr Land oder den Zugang zu Wasser und Ressourcen, zu schützen.
In fast allen Ländern der Welt gibt es lokal getragene touristische Initiativen wie Anbieter von Touren oder von Übernachtungsmöglichkeiten. Diese haben aber oft Defizite bei Administration und Vermarktung. In vielen Ländern sind sie benachteiligt, weil die Politik ihre Bedürfnisse nicht hinreichend berücksichtigt. So fehlen vielerorts Gesetzgebungen, die beispielsweise private Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten oder gemeindebasierte Tourismusinitiativen schützen und fördern. Viele dieser Anbieter sind kaum vernetzt und können keine politische Lobbyarbeit betreiben. Diese Initiativen und Programme miteinander zu vernetzen und ihre Fähigkeiten zu fördern, sollte ein Ziel lokaler tourismusbezogener Entwicklungspolitik sein.
Auf internationaler Ebene gilt es, Bedingungen zu schaffen, damit die ökologischen und sozialen Kosten des Tourismus erfasst werden. Nur so wird es möglich, dass nichtnachhaltige touristische Anbieter ihre realen Kosten ausweisen müssen und damit der Wettbewerb nicht über den Preis allein gestaltet werden kann. Dazu gehört auch das Ende der Subventionierung von Flugreisen, die laut Umweltbundesamt allein in Deutschland mit 10 Milliarden Euro jährlich zu Buche schlägt. Außerdem gehört dazu auch die Zahlung existenzsichernder Löhne in Unternehmen und entlang der touristischen Dienstleistungskette. Die Entwicklung verbindlicher Regeln für Unternehmen ist notwendig, damit sie Risiken für die Menschenrechte identifizieren und beseitigen und zur Rechenschaft gezogen werden können – auch wenn sie Menschenrechtsverletzungen im Ausland begehen.
Antje Monshausen ist Referentin Tourismus und Entwicklung und Leiterin der Arbeitsstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt.
tourism-watch@brot-fuer-die-welt.de
http://www.tourism-watch.de
Links:
Sector-wide Impact Assessment aus Myanmar:
http://www.myanmar-responsiblebusiness.org/swia/tourism.html
Studie der Gesellschaft für bedrohte Völker zu Sri Lanka:
www.gfbv.ch/tourismus
Umweltschädliche Subventionen in Deutschland:
http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/umweltschaedliche_subventionen_2014_0.pdf
Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus:
http://tourism-watch.de/files/profil18_voluntourismus_final.pdf