Handel und Migration
Fluchtursachenbekämpfung
Auch wenn andere Faktoren entscheidender dafür sind, dass Menschen ihre Heimat verlassen – darunter Kriege und Klimaveränderungen –, wirkt sich auch Handel auf Migration aus. Eine kürzlich erschienene Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) nimmt diese Zusammenhänge unter die Lupe.
Laut der Studienautorin Eva Schmieg wirkt sich Migration immer positiv auf Handelsströme aus und vertieft die Handelsbeziehungen zwischen Herkunfts- und Aufnahmeländern. Migranten sorgten vor allem im Aufnahmeland für einen Anstieg von Ex- und Importen. Dies gelte umso mehr für hochqualifizierte Arbeitskräfte, die besonders mobil sind. Für die Herkunftsländer sei dieser „Braindrain“ allerdings ein herber Verlust. Ihnen gingen nicht nur die Investitionen in die Ausbildung der Ausgewanderten verloren, sondern auch Steuereinnahmen.
Besonders davon betroffen ist Subsahara-Afrika. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge leben mehr als 20 Prozent der Menschen, die eine tertiäre Ausbildung in Subsahara-Afrika durchlaufen haben, heute in reichen Industrieländern. Andererseits erweise sich die Diaspora durch Rücküberweisungen und Investitionen für die Herkunftsländer als wichtige Quelle von Kapital, Wissen und Technologie (siehe hierzu auch Sabine Balk im Monitor von E+Z/D+C e-Paper 2019/10).
Handel und Handelsabkommen können sich laut der SWP-Studie sowohl positiv als auch negativ auf Migration auswirken. Einerseits sei die Außenorientierung eines Landes ein wichtiger Faktor für Wirtschaftswachstum. Doch die Weltmarktintegration führe keineswegs automatisch zu weniger Armut: Die ökonomischen Veränderungen könnten auch Arbeitslosigkeit oder gar den Zusammenbruch ganzer Sektoren nach sich ziehen. Die Betroffenen machten sich dann auf den Weg, um in anderen Ländern ihre Chancen zu verbessern.
Aber auch wenn Marktintegration zu einer Einkommenssteigerung führt, könne dies Migration erst einmal anheizen: Schließlich seien Menschen erst ab einem bestimmten Einkommensniveau in der Lage auszuwandern, schreibt Schmieg. Erst langfristig könnten neue Handelsströme und Wachstum zu weniger Migration führen. Entscheidend dafür sei, dass Handelsabkommen so ausgestaltet sind, dass sie auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den Partnerländern abzielen. Marktintegration müsse mit einer Sozial- und Verteilungspolitik einhergehen, die die negativen Folgen für die Menschen abfedert.
Es gibt bereits zahlreiche Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und Afrika. Ihre Ausgestaltung entspricht laut der Autorin schon weitgehend den Erfordernissen nachhaltiger Entwicklung, allerdings könne an vielen Stellen auch noch nachgebessert werden. So seien die Abkommen bisher in erster Linie auf Warenhandel beschränkt und enthielten keine expliziten Aussagen zum Thema Migration. Auch seien Dienstleistungen bislang ausgeklammert. In alle bereits bestehenden Freihandelsabkommen könnten ökologische und soziale Aspekte des Handelns und Wirtschaftens eingebaut werden. Schmieg hält Nachverhandlungen auf Augenhöhe zwischen den Partnerländern für sinnvoll, um eine ausbalancierte Ausgestaltung der Abkommen zu erreichen. Dann könnten sie zu nachhaltiger Entwicklung und somit langfristig auch zur Fluchtursachenbekämpfung beitragen.
Dringenden Handlungsbedarf sieht auch Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie er kürzlich im Handelsblatt ausführte. Im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fordert er eine komplette Neugestaltung der Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Afrikanischen Union. Dieser „EU-Afrika-Pakt“ sollte vier Punkte umfassen:
- Er soll gegen Hunger und Armut sein.
- Die EU soll ihren geplanten Green Deal auf Afrika ausweiten.
- Der Pakt soll ein Abkommen über Sicherheit und Migration umfassen.
- Er soll einen Neuansatz für faire Handelsbeziehungen bieten.
Quellen
Müller, G., 2020: „Der EU-Afrika-Pakt muss ein Jahrhundert-Vertrag werden“. Interview im Handelsblatt, 10.01.2020.
Schmieg, E., 2019: Zusammenhänge zwischen Handelspolitik und Migration. Ein Aktionsfeld für die EU. Berlin, Stiftung Wissenschaft und Politik. SWP-Studie 22.
https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2019S22_scm_Web.pdf