Väter

Fehlendes Vorbild

In Südafrika wachsen viele Kinder vaterlos auf. Wenn Teenager schwanger werden, bleiben sie mit ihrem Nachwuchs meist allein. Das ist eine Konsequenz des falschen, aber weit verbreiteten Verständnisses von Männlichkeit. Damit die Situation besser wird, müssen Männer als Väter Verantwortung übernehmen.
Oft führen Vorstellungen von Männlichkeit in die Irre. Florian Kopp/Imagebroker/Lineair Oft führen Vorstellungen von Männlichkeit in die Irre.

Kurz vor dem 17. Geburtstag meiner Mutter wurde ich geboren. Mein biologischer Vater war wohl 23, vielleicht auch älter. Er hat sich nie wie ein Papa verhalten. Ich habe keinen Beziehung zu ihm; ich weiß nicht einmal, wann er geboren wurde.

Es war hart, ohne Vater aufzuwachsen. Meine Mutter konnte sich weder auf eine glückliche Beziehung noch auf einen Broterwerber stützen. Als kleiner Junge konnte ich nicht viel tun, um sie zu trösten, aber ich tat mein Bestes. Mir fehlte der biologische Vater zudem als Vorbild. Ich konnte mir nicht bei ihm abschauen, wie er die Herausforderungen des Lebens anging. Das wäre, wie ich im Rückblick weiß, hilfreich gewesen. Ich habe meinen Weg im Leben gefunden, aber ich hatte es schwerer als die, die mit einem Vater aufwuchsen.

Ich wurde 1984 geboren. Damals war das Tabu, ein uneheliches Kind zu haben, noch größer als heute. Die Zahl der alleinerziehenden Mütter wächst, und das scheint kein großes Thema mehr zu sein. Unverheiratete Mütter werden heute nicht mehr ausgegrenzt, allgemein anerkannt sind sie aber auch nicht.

Die Xhosa-Tradition befürwortet die sexuelle Abstinenz junger Mädchen. Wenn ein Teenager trotzdem schwanger wird, erwartet unsere Volksgruppe, dass der jugendliche Vater eine hohe Kompensation leistet. Der Xhosa-Spruch dazu heißt: „Kufuneka uhlawule ngokuwisa ibele lalomntwana.“ Wörtlich übersetzt bedeutet er: „Du musst dafür zahlen, dass du die Brust dieses Kindes hast fallen lassen.“

Leider können aber nicht alle jungen Männer, die Mädchen schwängern, das nötige Geld aufbringen. Bevor der Kolonialismus und die Einführung von Geld die Xhosa-Kultur durcheinanderbrachte, wurden Kühe als Buße überreicht. Heute geht es dagegen meist um Geld – und daran herrscht wegen hoher Arbeitslosigkeit Mangel. Wer nicht zahlen kann, ist beschämt, und die Beziehung zur jungen Mutter endet.

Grundsätzlich wäre eine Ehe möglich – aber auch das erfordert Geld. Der Bräutigam muss „Lobola“, den Brautpreis, zahlen. Wer weder Bußgeld noch Lobola zahlt, wird als Vater nicht anerkannt und darf sein Kind nicht sehen. Diese Kinder wachsen vaterlos auf. Die Xhosa-Tradition ist in der heutigen Gesellschaft dysfunktional, was zeigt, wie sehr der Kolonialismus afrikanische Gesellschaften erschüttert hat.

Die hohe Zahl der alleinerziehenden Frauen hat noch weitere Gründe. Arbeitsmigration ist wichtig. Männer verlassen herkömmlicherweise die Dörfer und suchen Arbeit im Bergbau oder in städtischen Industriebetrieben. Mütter und Kinder bleiben zurück. Das wurde in den Apartheids-Jahren brutal durchgesetzt, als sie in den sogenannten „Homelands“ leben mussten, die für die schwarze Bevölkerung vorgesehen waren und für deren Entwicklung absichtlich nichts getan wurde. Diese Regionen sind heute noch arm und strukturschwach.


Echter Sex

Die heutige Jugend wächst in einer verwirrenden Welt auf. Einerseits gilt – jedenfalls für Mädchen – sexuelle Abstinenz als gut, aber andererseits feiert die Pop­kultur Sex, und das interessiert junge Leute. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um mit einem Partner intim zu werden? Was machen Paare dann? Und wo und wann findet sich dafür der nötige Privatraum? Junge Leute bleiben mit solchen Fragen allein, und deshalb geht oft etwas schief.

Verhütung ist ein riesiges Problem, obwohl im Zeitalter von HIV/Aids eigentlich klar ist, dass Kondome nicht nur vor Schwangerschaften schützen. Es gibt aber leider die überholte Vorstellung, Sex mit Präservativ sei kein echter Sex. Ein junger Mann erzählte mir, er hätte mit seiner Freundin ein Kind gezeugt, als sie es sich miteinander „gemütlich“ gemacht hatten. Aufzustehen, das Haus zu verlassen und ein Kondom zu besorgen, hätte die Situation zerstört.

Unsichere junge Männer und Frauen probieren aus, was sie mit ihren Körpern tun können, aber Scham hält sie davon ab, sich rechtzeitig Verhütungsmittel zu beschaffen. Das hieße ja auch, Sex zu planen, was den Normen widerspräche, die Mädchen beigebracht werden. Die Jungs halten sich dagegen an die Machosicht, der zufolge Sex mit Gummi kein richtiger Sex ist. Bessere Sexualaufklärung täte beiden Geschlechtern gut.

Teenagerschwangerschaften sind dort besonders selten, wo weder Abstinenz gepredigt noch sexuelle Aktivität verteufelt wird. Das zeigen internationale Statistiken. Stimmige Aufklärung reduziert das Risiko ungewollter Schwangerschaften ebenso wie das von Geschlechtskrankheiten. Sex sollte als natürlicher Teil des Lebens gesehen werden. Aufklärung trägt auch zur Prävention von Vergewaltigungen bei, denn unreflektiertes Machogehabe macht sexualisierte Gewalt wahrscheinlicher.

Manche Menschen wollen traditionelle Regeln strikt durchsetzen. Das geht aber in urbanen Gesellschaften, die viel individuellen Freiraum bieten, kaum. Die Menschen unterliegen nicht mehr der strengen Kontrolle ihrer Dorfgemeinschaften – und das ist auch gut so.

Männliche Teenager haben oft verzerrte Vorstellungen davon, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Das Klischee ist, dass Männer dominant sind und sich einfach nehmen, was sie wollen. Teils wird angenommen, dass afrikanische Chiefs sich früher so verhielten. Tatsächlich waren die Verhältnisse aber komplizierter. Die Autorität der Chiefs wurde zwar gefeiert, aber sie mussten auch dafür sorgen, dass es der Gemeinschaft gut ging. Sie mussten den Lebensunterhalt sicherstellen und Konflikte schlichten.

Koloniale Unterdrückung und organisiertes Verbrechen haben eine ungesunde Gewaltkultur hervorgebracht. Wir brauchen heute ein anderes Verständnis von Männlichkeit – und dafür müssen Bildung und Aufklärung sorgen. Einige zivilgesellschaftliche Organisationen wie etwa das Sonke Gender Network leisten diesbezüglich gute Arbeit (siehe Interview mit Dean Peacock in E+Z/D+C 2014/04, S. 161 ff.).


Neuer Ausblick

Die Lage ist nicht hoffnungslos. Manche jungen Väter übernehmen bereits Verantwortung für ihren Nachwuchs, ohne die Mütter zu heiraten.

Siviwe Njamela begriff mit 14, dass es ein Nachteil war, ohne Vater aufzuwachsen, auch wenn ihm das bislang selbstverständlich vorgekommen war. Als Jugendlicher zeugte er dann mit seiner Freundin noch vor dem Schulabschluss selbst ein Kind. Sie zogen eine Abtreibung in Erwägung, entschieden sich aber bewusst für das Kind. Siviwe schloss die High School ab – wenn auch nicht mit den Noten, die er sich erhofft hatte. Er musste sich nun mal um Mutter und Tochter kümmern. Heute hat er einen festen Arbeitsplatz und beteiligt sich an der Erziehung seiner Tochter.

Phumelelo Ndlovu hatte weniger Glück. Er ging ohne Abschluss von der Schule ab, weil er sich um seine Freundin und die gemeinsame Tochter kümmern wollte. Seine Tochter nennt er heute einen „großen Segen“.

Marcellino Fillies will einmal ein verantwortungsvoller Vater werden. Er ist ein leidenschaftlicher Musiker und gibt Grundschulkindern Marimbaunterricht. In seinem Stadtteil sind Alkohol und Gangstertum weit verbreitet, aber er hat sich von Kriminalität ferngehalten. Er sagt, er hätte genug damit zu tun gehabt, sich um seine jüngeren Geschwister zu kümmern.

Seine Mutter erzog ihre Söhne allein, und Marcellino war der älteste. Nach der Schule holte er gegen 17 Uhr den jüngsten Bruder aus einer Tagesstätte ab. Er brachte ihn heim, gab ihm zu essen, spielte mit ihm, wusch ihn und brachte ihn ins Bett. Nebenbei erledigte er, so gut es ging, seine Hausaufgaben. Der Arbeitsplatz der Mutter war weit entfernt – sie kam erst nach 20 Uhr heim.

Individuelle Lebensläufe unterscheiden sich natürlich im ganzen Land sehr. Es ist aber bemerkenswert, dass manche jungen Männer ein verantwortungsvolles Verständnis von Vaterschaft haben, selbst wenn sie nicht heiraten.

Früher wurden junge Xhosa-Männer im Lauf ihrer Initiation darin unterwiesen, ihr Leben zu organisieren und ihre Familien zu ernähren. Heute ist das nicht mehr durchgängig der Fall. Viele Männer verschwinden einfach, wenn sie ein Mädchen geschwängert haben.
Südafrikas Männer kümmern sich auch nicht um Familienplanung. Das gilt als Aufgabe der Frauen, die allerdings auch glauben, sie müssten die Männerwünsche erfüllen. Das Resultat dieser paradoxen Erwartungen sind ernste Probleme – von Schwangerschaft bis HIV/Aids. Es wäre besser, wenn junge Männer von Anfang an verantwortungsvolle Väter als Vorbilder hätten.


Sonwabiso Ngcowa ist Schriftsteller und Sozialwissenschaftler. Die jungen Männer, die in diesem Essay vorkommen, beschreibt ein Buch, das er zusammen mit Melanie Verowoerd verfasst hat: „21 at 21 – The coming of age of a nation“ (Vlaeberg 2015: Missing Ink). Sein Roman „Nanas Liebe“ ist auf Deutsch im Peter Hammer Verlag (Wuppertal, 2014) erschienen.
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