Welternährung

Gefährdete Bauernrechte

Geistige Eigentumsrechte auf Nutzpflanzen und Saatgut geben den Inhabern eine Monopolstellung bei der Kommerzialisierung der Produkte. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das schlecht. Staaten sollten Monopole nur einführen, wenn der erhoffte Nutzen – Innovation – größer ist als der Schaden. Ab einem gewissen Punkt verhindert Schutz, dass Neues entwickelt wird.


[ Von François Meienberg ]

Das vorherrschende Schutzsystem für Pflanzen ermöglicht nicht maximale Innovation. Diese Überregulierung ist im Gegenteil eher hinderlich. Das illustriert eine Initiative des niederländischen Züchterverbands Plantum, dessen Mitglieder 43 Prozent der Sortenschutzrechte in Europa besitzen. Plantum fordert, den Züchtervorbehalt – der Züchtern im Sortenschutzrecht erlaubt, Erbmaterial geschützter Sorten in neue Sorten einzukreuzen – vollständig in die Patentgesetzgebung zu integrieren. Mittels patentgeschützter Pflanzen gezüchtete Sorten wären dann frei zu vermarkten – was die Rechte der Patentinhaber abschwächen würde.

Patente beschränken den Zugang zu genetischen Ressourcen für Zucht und spätere Kommerzialisierung. Das behindert Innovation. Doch selbst die Züchter, für die dieses Schutzsystem gedacht ist, halten es für ineffizient – bei den Gesetzgebern müssten die Alarmglocken läuten.

Ein weiteres Beispiel ist die Opposition des Schweizerischen Obstverbandes gegen die Einführung der neuen Sortenschutzgesetzgebung des Internationalen Verbandes zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) aus dem Jahr 1991 in der Schweiz. Der Obstverband machte geltend, dass man Obstbäume nur an die lokalen Verhältnisse adaptieren kann, wenn sie auf dem eigenen Grundstück vermehrt werden dürfen. Bisher wurden neue Sorten auf diese Weise entwickelt. Leider fanden diese Argumente im Parlament kein Gehör.

Ist die optimale Schutzhöhe gefunden, die maximale Innovation ermöglicht, muss das Schutzsystem auch mit anderen Gemeinschaftszielen abgeglichen werden. Folgende Ziele sollten dabei nicht unterminiert werden:
– Einhaltung der Menschenrechte (insbesondere Right to Food),
– Förderung der nationalen Volkswirtschaft,
– Förderung der nationalen Forschung,
– Schutz und Förderung der biologischen Vielfalt (Umsetzung des FAO-Treaty und der Biodiversitätskonvention),
– keine Oligopole (heute kontrollieren drei Firmen 47 Prozent des Saatgutmarktes) sowie
– einfacher Zugang zu Saatgut und Lebensmitteln für Bauern, Züchter und Konsumenten.

Eingeschränkte Wahlmöglichkeit

Eine besondere Rolle spielt das Sortenschutzrecht als Schutzsystem für neue Pflanzensorten. Gemäß dem TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) muss jedes Land einen solchen Schutz vorsehen – durch Patente, ein anderes wirksames System oder durch die Kombination von beiden. Jeder Staat darf sein eigenes System etablieren, allerdings schränken Freihandelsverträge, die Entwicklungsländer zur Ratifizierung der UPOV-Akte von 1991 zwingen, diese Freiheit zunehmend ein. Staaten müssen abwägen, was für sie besser ist: Der Beitritt zu UPOV oder die Entwicklung eines eigenen Schutzsystems („sui generis“) – was beispielsweise Indien gemacht hat.

Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, empfiehlt, dass jedes Land ein eigenes, an seine Bedürfnisse angepasstes System entwickeln soll, das auch Bauernrechte und Biodiversität stärkt. Bekanntermaßen sind nur national angepasste Sortenschutzsysteme sinnvoll. Schon 1999 hielt IPGRI – das International Plant Genetic Resources Institute, das heute Bioversity International heißt – in einem Bericht fest: „Es gibt kein ideales Sui-generis-System, das den Bedürfnissen aller Länder dient.“

Im vielbeachteten Bericht der von der britischen Regierung gegründeten Commission on Intellectual Property Rights stand 2002: „Entwicklungsländer sollten erwägen, ihr Sortenschutzrecht auf eine realistische Einschätzung dessen zu begründen, wie diese zu ihrer landwirtschaftlichen Entwicklung und Nahrungsmittelsicherheit beitragen kann. Auch die Rolle der Landwirtschaft bei der Erzeugung von Exporten, Devisenverkehr und Beschäftigung sollte berücksichtigt werden. Sie müssten insbesondere über mögliche Modifikationen des UPOV-Modells an ihre eigenen Gegebenheiten nachdenken.”

Nachteile für Entwicklungsländer

Die Sortenschutzgesetzgebung UPOV hat aber besonders für Entwicklungsländer auch einige Nachteile. Dazu zählen:
– Staaten, die heute der UPOV beitreten wollen, müssen Sortenschutzgesetze haben, die der Akte von 1991 des UPOV-Übereinkommens entsprechen. Die Anpassung an nationale Bedürfnisse ist dabei extrem unflexibel (siehe Kasten).
– UPOV 91 entspricht offensichtlich nicht den Bedürfnissen der Entwicklungsländer. Von 15 Ländern, die durch ihren früheren Beitritt noch die Akte von 1978 übernehmen konnten – zwölf aus Lateinamerika, zudem China, Kenia und Südafrika –, hat in der Zwischenzeit kein einziges Land die Akte von 1991 ratifiziert. Es ist offensichtlich, dass ihnen UPOV 78 besser entspricht. Entwicklungsländer, die UPOV später beitraten, wurden zum Teil durch Freihandelsabkommen mit einem OECD-Staat dazu gezwungen.
– Indien hat die Gesetzgebung mit viel Aufwand angepasst und eine Sortenschutzgesetzgebung eingeführt, die die Rechte der Bauern wie die der Züchter respektiert (siehe Aufsatz von Suman Sahai, S. 159). Die Bauern dürfen unter gewissen Bedingungen sogar geschütztes Saatgut verkaufen. Somit entspricht das indische Recht weder UPOV 78 noch UPOV 91.
– UPOV stärkt die Züchterrechte und verliert dabei den Blick für das Ganze (wie etwa Ernährungssicherheit, Entwicklung und Biodiversität). Eine kohärente Gesetzgebung muss aber immer berücksichtigen, wie sich eine Regulierung auf andere Bereiche auswirken wird. Ähnlich wie bei der WIPO (World Intellectual Property Organization) vor der Diskussion zur Development Agenda geht man auch bei der UPOV immer noch davon aus, dass „mehr Schutz“ die gesamte Volkswirtschaft und die Wohlfahrt eines Staates immer positiv beeinflusst. Dieser Ansatz ignoriert übergeordnete Ziele wie das Recht auf Nahrung.
– Die Verhandlung für die UPOV-Akte von 1991 wurde von Industrie-Staaten und Südafrika geführt. Situation und Bedürfnisse von Ländern des Südens wurden dabei nicht berücksichtigt. Entsprechend entstand ein Schutzsystem für die industrialisierte Landwirtschaft des Nordens und nicht für jene des Südens.
– Noch heute werden Stakeholder nur selektiv eingebunden. Wenn neben den Staaten nur die Saatgutindustrie am Verhandlungstisch sitzt, kann es kein ausgewogenes Resultat geben. Die Partizipation von NROs und der Bauernorganisation Via Campesina wurde 2009 aus politischen Gründen abgelehnt.

Gefahren und Möglichkeiten

Im Oktober 2009 stellte Olivier De Schutter der UN-Generalversammlung seinen neuen Bericht „The right to food – Seed policies and the right to food: enhancing agrobiodiversity and encouraging innovation“ vor. Darin zeigt er auf, dass Patente und Sortenschutzrechte Ernährungssicherung und Biodiversität gefährden können. Er erinnert die Staaten an ihre Pflicht, das Recht auf Nahrung auch im Rahmen ihrer Saatgutgesetzgebung zu respektieren, zu schützen und umzusetzen:
– „Die Staaten sind dazu verpflichtet, den bereits existierenden Zugang zu ausreichenden Nahrungsmitteln zu respektieren. Eine Gesetzgebung oder ähnliche Maßnahmen, die den Bauern in ihrer Angewiesenheit auf informelle Saatgutsysteme hinderlich wären, kämen einer Verletzung dieser Verpflichtung gleich, da dies den Bauern ihre Existenzgrundlage entziehen würde.“
– „Die Staaten sind verpflichtet, das Recht auf Nahrung zu schützen. Daher sollten sie Aktivitäten von Patentinhabern sowie Pflanzenzüchtern regulieren, damit durch diese das Recht auf Nahrung der Bauern nicht verletzt wird. Darauf sind diese angewiesen, um weiterhin Landwirtschaft betreiben zu können.“
– „Die Staaten sind verpflichtet, das Recht auf Nahrung umzusetzen, und zwar indem sie die Bevölkerung pro-aktiv dabei unterstützen, Zugang zu den Ressourcen zu erhalten und diese zu nutzen. Das bedeutet die Sicherung ihrer Lebensgrundlage.“

De Schutter weist auf besondere Gefahren hin, zeigt aber auch Möglichkeiten, diesen Risiken zu begegnen:
– Den meisten Ländern wurde eine UPOV-gemäße Gesetzgebung nahegelegt, ohne dass hierbei die Bedürfnisse der betroffenen Länder berücksichtigt wurden; auch wurde nicht zwischen Pflanzensorten unterschieden. Die Länder sollten zuerst die Umsetzung des Rechts auf Nahrung prüfen, um sicherzustellen, dass die IPR (Rechte an geistigem Eigentum) mit den Entwicklungsbedürfnissen einhergehen.
– Die oligopolistische Struktur des Inputgeber-Markts kann dazu führen, dass Bauern der Zugang zu Saatgut verwehrt wird. Diese produktive Ressource ist jedoch für den Lebensunterhalt unerlässlich. Auch die Lebensmittel können hierbei teurer und somit für die Ärmsten weniger erschwinglich werden. Die Staaten sollten hier von Kartellrechtsvorschriften Gebrauch machen.
– Eine Möglichkeit, ein Gleichgewicht zwischen den Rechten der Pflanzenzüchter und den Bedürfnissen der Bauern herzustellen, ist die Stärkung der Bauernrechte in der nationalen sowie internationalen Gesetzgebung. Das kann erreicht werden, indem man die Bauern aktiv in die Gestaltung und Durchführung der Saatgutgesetzgebung einbezieht.
– Die IPR entlohnen und fördern Standardisierung und Homogenität, dabei sollte ja gerade die Agrobiodiversität entlohnt werden. (…) Ein weiteres Problem ist zudem die Stärkung von Züchterrechten gemäß der UPOV-Akte von 1991.