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Ökosysteme

Gefährliche Staudämme

Der Mekong-Fluss ernährt und versorgt Menschen aus fünf Ländern Südostasiens mit Wasser. Deren Regierungen wollen ihn nun zudem zur Stromgewinnung nutzen. Das jedoch gefährdet das Ökosystem und führt zu Streit zwischen den Regierungen und der Zivilgesellschaft.

Von Katja Dombrowski
Reparatur eine Reuse: Die meisten Menschen, die am Tonle-Sap-See in Kambodscha wohnen, leben vom Fischfang. Pablo Corral Vega/Majority World/Lineair Reparatur eine Reuse: Die meisten Menschen, die am Tonle-Sap-See in Kambodscha wohnen, leben vom Fischfang.

Der Arten- und Nahrungsreichtum des Mekong ist schier unfassbar: 1300 Fischarten leben in dem Fluss, der quer durch Südostasien fließt, von China über Myanmar, Laos, Thailand und Kambodscha nach Vietnam. Allein aus dem unteren Mekong, also dem Flussverlauf südlich der chinesischen Grenze, werden jedes Jahr 2,5 Millionen Tonnen Fisch geholt. Das entspricht einem Viertel des weltweit in Flüssen und Binnenseen gefangenen Fischs. Für einen großen Teil der 60 Millionen Menschen im Einzugsgebiet ist der Fluss der Haupteiweißlieferant und eine der wichtigsten Nahrungsquellen.

Doch in dem 4900 Kilometer langen Strom liegt noch ein anderer Reichtum verborgen – die Kraft des Wassers. Dessen Energiepotenzial ist gewaltig, die Nutzung vergleichsweise billig und die Ressource erneuerbar. Deshalb möchten die Regierungen der Region, dass der Mekong ihre Länder künftig mit Strom versorgt.

Sechs große Kraftwerke am Hauptstrom sind bereits in Betrieb, alle in der westchinesischen Provinz Yunnan. Mehr als 30 weitere sind im Bau oder in Planung, mindestens acht davon in Yunnan und ein gutes Dutzend am Oberlauf in der chinesischen Provinz Qinghai und der autonomen Region Tibet. Laos baut beziehungsweise plant zehn Kraftwerke und Kambodscha zwei. Genaue Informationen dazu werden jedoch nicht öffentlich gemacht.

Doch die Pläne zur Stromgewinnung führen zu Konflikten. Robert Mather, Südostasienleiter des Umweltschutznetzwerks IUCN, formuliert es so: „Man kann nicht beides gleichzeitig haben: die derzeitige Menge Fisch und die geplante Menge Strom.“ Die Wasserkraftwerke mit ihren gewaltigen Staudämmen und -mauern würden das Ende des Fischreichtums und des weltweit einzigartigen Ökosystems in seiner jetzigen Form bedeuten.

Verheerende Folgen

Dafür, doch noch beides unter einen Hut zu bringen, setzt sich die Mekong River Commission (MRC) ein. In der 1995 gegründeten zwischenstaatlichen Organisation haben sich die Unterlauf-Anrainer Laos, Kambodscha, Thailand und Vietnam zur Zusammenarbeit verpflichtet. Die MRC wird zum großen Teil von Geberländern finanziert. Sie lehnt Stromgewinnung durch Wasserkraft nicht ab, propagiert aber eine verantwortungsbewusste, nachhaltige Nutzung der Mekong-Ressourcen. Nur wenn ein Konsens der Mitgliedsländer erreicht wird, soll ein Projekt realisiert werden. China dagegen, das jede Energiequelle dringend für seine boomende Industrie benötigt, lässt sich weder durch Umweltbedenken noch durch internationale Abstimmungsprozesse aufhalten und handelt im Alleingang. Immerhin sind China und Myanmar aber Dialogpartner der MRC.

Gleich das erste Kraftwerk am Unterlauf jedoch, eine Anlage mit einer Leistung von 1285 Megawatt (MW) in der nordlaotischen Provinz Xayaburi, entfachte einen bitteren Streit zwischen den MRC-Mitgliedsländern (siehe Kasten, S. XXX). Die Regierung von Laos ist entschlossen, das Kraftwerk zu bauen. Der Worl Wide Fund for Nature (WWF) jedoch erklärte das Megaprojekt in seinem im Mai veröffentlichten Bericht "Seven Sins of Dam Building" zu „einem der verheerendsten Kraftwerksprojekte der Welt“. Durch Xayaburi würden 13 einzigartige, miteinander verbundene Flusssysteme auseinandergerissen und ihrer zentralen ökologischen Funktion beraubt.

Laut der Umweltschutzorganisation International Rivers müssen dem entstehenden Stausee mindestens 2100 Menschen weichen; die ersten Umsiedlungen haben bereits stattgefunden. Weitere 202 000 Menschen, die in der Nähe des künftigen Kraftwerks leben, verlieren landwirtschaftliche Flächen, den Fisch als Nahrungs- und Einkommensquelle, ihr Einkommen aus der Goldwäscherei oder den Fluss als Transportweg.

Kambodscha wird wohl am meisten unter Xayaburi leiden: Der Mekong bestimmt hier den Zyklus des Flusses Tonle Saps, der sich aus dem gleichnamigen See speist und bei Phnom Penh in den Mekong mündet. Während der Regenzeit führt der Mekong so viel Wasser, dass der See auf das Zehnfache anschwillt. „Der Mekong ist unser Lebenselixier: Er sorgt für die Reproduktion der Fische im Tonle Sap und bewässert und düngt unser Land“, erklärt Chit Sam Ath von der River Coalition of Cambodia. Ohne den Mekong-Zyklus gäbe es weder Fisch noch Reis in nötiger Menge.

Auch das Mekong-Delta, das wichtigste Reisanbaugebiet Vietnams, ist in hohem Maße vom Fluss abhängig. Der vietnamesische Präsident Truong Tan Sang warnte auf dem Gipfeltreffen der asiatisch-pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft Apec im September 2012 vor zwischenstaatlichen Konflikten um den Zugang zu Wasser. Er verglich die Bedeutung des Wassers für das 21. Jahrhundert mit der des Öls im 19. und 20. Jahrhundert.

Auch die Menschen in Nordthailand, die am Mekong leben, fürchten die Auswirkungen: „Unsere Lebensgrundlage wird vollkommen verändert“, sagt Itthiphol Khamsuk, ein lokaler Vertreter der Mekong-Gemeinden aus sieben Provinzen des Landes. Durch die Dämme in China seien die Pegelstände bereits gesunken und der natürliche Zyklus habe sich geändert. „Der Fisch ist viel weniger geworden und die Anbauflächen am Fluss müssen in der Trockenzeit viel länger bewässert werden als früher“, erklärt er. Wenn aus den Dämmen Wasser abgelassen werde, komme die Flut heftig und zur Unzeit. Auch Erosion sei dadurch ein Problem geworden.

Den Preis nicht wert

Doch die Regierung in Vientiane lässt sich nicht zurückhalten. Im September informierte sie die MRC darüber, dass sie im November mit dem Bau eines weiteren Mekong-Kraftwerks beginnen wird: Don Sahong an der kambodschanischen Grenze. Und für Pak Beng, das nördlich von Xayaburi liegt, sollten noch 2013 die Zugangsstraßen für die Baustelle gebaut werden. Die Regierung stritt dies jedoch ab. Den obligatorischen Abstimmungsprozess mit der MRC hat sie noch nicht eingeleitet.

Sollten alle geplanten Projekte umgesetzt werden, würde mehr als die Hälfte des unteren Mekongs in Stauseen verwandelt. Laut Weltfischzentrum und WWF könnten die Fische dann nicht mehr zu ihren stromaufwärts gelegenen Laichplätzen schwimmen. Rund 70 Prozent der 1300 Fischarten im Mekong unternehmen jedes Jahr weite Wanderungen, darunter diverse vom Aussterben bedrohte Arten wie der bis zu drei Meter lange Mekong-Riesenwels, den die Protestbewegung zu ihrem „Flaggfisch“ gemacht hat.

Schutzmaßnahmen wie Fischtreppen oder -aufzüge halten Kritiker aus zwei Gründen für ungeeignet: wegen der vielen verschiedenen wandernden Arten, die ganz unterschiedliche Aufstiegshilfen benötigten, und aufgrund ihrer Masse. „Zur Hauptwanderzeit kommen bis zu 30 Tonnen Fisch pro Stunde an einer Stelle vorbei“, erklärt Pianporn Deetes von International Rivers Thailand. „Die können unmöglich alle im Lift transportiert werden.“

Das befürchtete Artensterben ginge mit dramatischen wirtschaftlichen Folgen für die Region einher. Der Wert der Mekongfischerei beträgt schätzungsweise 1,54 Milliarden Euro pro Jahr, wobei der hohe Eigenkonsum der Anwohner und die Weiterverarbeitung noch nicht eingerechnet sind. Die MRC geht von Einbußen von bis zu 42 Prozent aus. Dazu kommen Verluste für die Landwirtschaft von geschätzten 400 Millionen Euro pro Jahr. Zudem steht die Ernährungssicherheit auf dem Spiel.

Die erwarteten Gewinne aus der Wasserkraft wiegen diese Nachteile für die Menschen am Mekong nicht auf: Sie werden weder vom Strom noch von den Einnahmen maßgeblich profitieren. Den Reibach werden private Bau- und Betreiberfirmen und der Staat als Anteilseigner und Steuerempfänger machen.

Dass die Nutzung der Wasserkraft am Mekong wichtig für die Energiesicherheit der Region sei, halten Fachleute für falsch. Die MRC hat errechnet, dass die geplanten Kraftwerke am Hauptstrom zusammen 13 160 Megawatt erzeugen könnten. Das wären acht Prozent des 2025 erwarteten Strombedarfs im unteren Mekongbecken. Auf die könnte allein durch eine Steigerung der Energieeffizienz verzichtet werden. Thailand etwa, der mit Abstand größte Verbraucher in der Region, sieht im eigenen Land Einsparmöglichkeiten von bis zu 25 Prozent in den nächsten zwanzig Jahren.

Auch ein weiteres Argument für die Stromerzeugung durch den Mekong ist schnell entkräftet: Zwar ist die Quelle erneuerbar, aber die Nutzung in der geplanten Form alles andere als nachhaltig, da weder sozial noch ökologisch. Am Hauptstrom hält Mather von IUCN eine nachhaltige Nutzung generell für unmöglich. „An den Zuflüssen wäre der Schaden geringer“, sagt er. Außerdem sollten kleinere Kraftwerke installiert werden. Der Umweltexperte verweist auf andere erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind und Biomasse, die nachhaltiger genutzt werden könnten. „Meiner Meinung nach sollten Mekong-Kraftwerke die letzte Option sein.“

Katja Dombrowski arbeitet als freie Journalistin in Bangkok. kd@katja-dombrowski.info