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Stadtplanung basiert oft auf unrealistischen Illusionen. Wichtig ist, alle Interessen zu berücksichtigen – und zwar besonders in kleinen und mittelgroßen Städten.
Freiwillige suchen im März 2009 Dokumente im Schutt des Kölner Stadtarchivs. Mark Keppler/picture-alliance/AP Image Freiwillige suchen im März 2009 Dokumente im Schutt des Kölner Stadtarchivs.

Stadtplaner halten sich häufig für Experten mit einer klaren Vorstellung von der Zukunft. Sie haben aber meist viele relevante Dinge gar nicht im Blick. Vieles entwickelt sich anders als erwartet, und vollständige Übersicht ist aus mehreren Gründen unmöglich:

  • Städte zeichnen sich durch vielfache Selbstorganisation aus. Das gilt beispielweise für Slums, wo Planung und Gesetz oft nicht greifen. Ihren Alltag und sogar ihre Siedlung gestalten die Bewohner weitgehend selbst. Planer sehen Slums als Problem, aber für die Menschen selbst sind Slums die Lösung. Sie leben und arbeiten dort. Eigendynamiken zeichnen auch Firmennetzwerke, Religionsgemeinschaften, soziale Bewegungen und Verkehrsströme aus.    
  • Schneller Wandel ist für Städte typisch. Das gilt etwa für Technologie, Migration oder Protest, um nur drei Schlagworte zu nennen. Städte unterliegen ständiger Transformation. Was heute normal ist, kann morgen ganz anders aussehen.
  • In Städten ist Boden teuer, und Grundbesitzer haben enormen Einfluss. Ihre Interessen stimmen nicht immer mit den Ideen der Planer überein. Korruption ist deshalb in diesem Zusammenhang weltweit verbreitet. Das ist ein Beleg für die Grenzen der Planbarkeit.   

Stadtentwicklung ist komplex, kompliziert und umkämpft. Sicherlich ist Planung wichtig – aber sie muss realistisch sein. Sie muss der Lebenspraxis, nicht hehren Theorien entsprechen. Eine Stadt lässt sich nicht wie eine Fabrik entsprechend rationaler Kriterien planen. Die Meinungen darüber, was vernünftig ist, gehen in der Stadtentwicklung weit auseinander. Städte ähneln auch nicht Maschinen, sondern eher Ökosystemen mit Immunkräften, erstaunlicher Resilienz und einem großen Potenzial für spontanes Verhalten und Konflikt. Planerische Interventionen erweisen sich deshalb oft als kontraproduktiv.

Je besser Stadtplaner eine Stadt und deren vielfältige Bevölkerungsgruppen kennen, desto erfolgreicher werden sie sein. Sie müssen Inklusion anstreben und sollten alle Stimmen anhören, anstatt sich zur Arbeit in feine Büros zurückziehen. Sie sollten gründlich analysieren, weshalb so viele grandiose Pläne scheitern. Nötig wäre so etwas wie ein  „Agora“-Prinzip. Agora heißt auf Altgriechisch „Marktplatz“. Diese Orte wurden – wie auch Roms Forum – für öffentliche Debatten genutzt.   

Um wirklich etwas zu bewirken, müssen Stadtplaner alle Seiten anhören. Je mehr Perspektiven sie verstehen und berücksichtigen, desto besser sind sie den realen Herausforderungen einer Stadt gewachsen. Sie müssen unbequeme Wahrheiten akzeptieren und fest verwurzelte Machtstrukturen erkennen. Um Hindernisse zu überwinden und Privilegien anzugehen, müssen sie breite Koalitionen schaffen, die vielfältige soziale Gruppen einschließen. Top-Down-Planung ist zum Scheitern verurteilt.

Das Agora-Prinzip ist nicht nur für Megastädte wie Lagos, Lahore oder Lima sinnvoll. Aus diversen Gründen ist es gerade für kleine und mittlere Städte wichtig. Ein Grund ist, dass diese Städte schneller wachsen, als große. Zudem sind sie heute von großer Diversität und Multikulturalismus geprägt. Anders als in Megastädten, ist es in kleineren Städten schier unmöglich, sich in geschlossene Gemeinschaften zurückzuziehen.

Überdies verharren kleine und mittelgroße Städte nicht in alten Strukturen. Informationstechnologien sind auch hier von Bedeutung: Vermeintlich rückständige Kleinstädte sind längst nicht mehr von aktuellem Denken abgeschnitten. Hier gibt es weiten Raum für Innovationen.  

Bemerkenswerterweise hat auch Deutschland erhebliche Stadtplanungsprobleme. Großprojekte, wie der neue Berliner Flughafen oder die Hamburger Elbphilharmonie kommen kaum voran. Als eine U-Bahn-Baustelle einstürzte, wurde 2009 Kölns historisches Stadtarchiv mitzerstört. Es gibt noch viele weitere Beispiele für Planungsversagen. Dass trotz engagierter Zivilgesellschaft, starken Institutionen und der verhältnismäßig kleinen Bevölkerungszahlen, Stadtplanung auch in Deutschland nicht immer befriedigend gelingt, ist bemerkenswert. Es zeigt, wie groß die Herausforderungen sind – und dass Realismus Vorrang vor illusionären Wünschen haben muss.


Rüdiger Korff ist Professor für Südost-Asien-Studien an der Universität Passau.
ruediger.korff@uni-passau.de