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Erneuerbare Energien

„Spezifisch für unser Land“

Brasilien ist einer der führenden Produzenten von Biokraftstoffen weltweit. Das Programm PROALCOOL war anfangs umstritten; es zu starten hat eine Menge Geld gekostet. Heute aber rechnet sich die Produktion von Ethanol. Brasilien profitiert durch Deviseneinnahmen, zusätzliche Jobs, saubere Luft in den Städten und die Beherrschung fortgeschrittener Technologien. Angesichts der globalen Erwärmung und hoher Ölpreise sehen die beiden brasilianischen Wissenschaftler Emilio La Rovere und André Pereira noch viel Potenzial für künftige interessante Entwicklungen.

[ Interview mit Emilio La Rovere und André Pereira ]

Welche Erfahrungen hat Brasilien mit Biokraftstoffen?
La Rovere: Zunächst einmal muss man Ethanol – als Alternative zu Benzin für Ottomotoren – von Biodiesel unterscheiden. In Brasilien wird Ethanol bereits seit der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts genutzt, aber erst in den späten 70er Jahren wurde das staatliche Programm PROALCOOL auf den Weg gebracht. Es sollte die Nutzung von Ethanol fördern – als Reaktion nicht nur auf den Ölschock, sondern auch auf die fallenden Zuckerpreise. Aus Zuckerrohr wurde Ethanol – die Kraftstoffproduktion stieg also und die Zuckerproduktion ging zurück. Heute stammen 14 Prozent der in Brasilien genutzten Primärenergie aus Zuckerrohr. Das Land ist der größte Zuckerrohr-Ethanolproduzent der Welt. Die USA stellen zwar noch mehr her, aber aus Mais und zu höheren Kosten. Außerdem verbrauchen die USA viel mehr fossile Brennstoffe. Brasilien hat im vergangenen Jahr mehr als 15 Milliarden Liter Ethanol produziert, davon 2,5 Milliarden Liter für den Export. Ethanol kann als Zusatz zu Benzin oder als „Gasohol“, ein Gemisch aus Ethanol und Benzin, oder aber unverdünnt für so genannte Ethanol-Autos genutzt werden. Und neue flexibel betriebene Autos, so genannte Flex-Fuel-Autos, fahren sogar sowohl mit Gasohol-Mischungen als auch mit Benzin.

Und was ist mit Biodiesel?
La Rovere: Auch hier hat Brasilien Pionierarbeit geleistet. Bereits Anfang der 80er Jahre gab es ein Biodiesel-Programm, das aber nicht weitergeführt wurde, unter anderem wegen fallender Ölpreise. Vor einigen Jahren hat Präsident Lula ein neues Programm gestartet, um die ländliche Entwicklung zu beschleunigen. Für Ergebnisse ist es noch zu früh.

Worin sehen Sie die größten Erfolge von PROALCOOL?
Pereira: Es ist eines der größten Programme weltweit zur kommerziellen Nutzung von Biomasse im Energiesektor. PROALCOOL hat gezeigt, dass es machbar ist, in großem Stil Ethanol als Kraftstoff zu produzieren und zu nutzen. Durch das Programm konnte Brasilien seine Devisenreserven erhöhen, die Beschäftigung steigern, die Luft in den Städten verbessern und den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren. Über die Jahre hat sich die Technologie verbessert und die Produktivität erhöht. Die Ernteerträge für Zuckerrohr und die pro Tonne Zuckerrohr produzierte Menge Ethanol sind gestiegen. Brasilien beherrscht heute einige fortschrittliche Technologien, zum Beispiel reine Ethanol- oder Flex-Fuel-Autos.

Welche Hindernisse gab es?
La Rovere: Anfangs war PROALCOOL ziemlich umstritten. Die Leute fürchteten negative soziale Folgen und Umweltschäden. Außerdem waren die Produktionskosten für Ethanol mit fast 100 US-Dollar pro Fass sehr hoch. Öffentliche Subventionen waren daher notwendig, um das Projekt in Gang zu bringen. Der Staat steuerte konzessionäre Kredite bei, die bis zu 90 Prozent der Investitionen in neue Brennereien und sogar bis zu 100 Prozent der Kosten für eine Ausweitung des Zuckerrohranbaus abdeckten. Die Hersteller erhielten die Kredite zu sehr günstigen Bedingungen. Außerdem setzte die Regierung Mindestpreise für Ethanol fest, die über denen für Zucker lagen. Ermäßigte Steuersätze sorgten dafür, dass die Verbraucherpreise für Ethanol ungefähr denen für andere Kraftstoffe entsprachen.

Welche sozialen und umweltpolitischen Bedenken gab es?
La Rovere: Es wurde befürchtet, dass der Zuckerrohranbau die Nahrungsmittelproduktion verdrängen könnte. Die bei der Reinigung des Zuckerrohrs entstehenden Abwässer verschmutzten das Grundwasser. Und in den Städten fürchteten die Menschen die Luftverschmutzung durch das für die manuelle Ernte erforderliche Abbrennen von Plantagen. Auch Bodenerosion war ein Thema. Aber Zivilgesellschaft und Wissenschaft haben das Programm genau beobachtet. Heute sind sich die Experten einig, dass die schädlichen Auswirkungen von PROALCOOL weitgehend reduziert werden konnten.

Wie kam das?
La Rovere: Zum Beispiel wurde der Zuckerrohranbau zum Großteil auf Weideland ausgedehnt und damit die Nahrungsmittelproduktion kaum beeinträchtigt. Das Abbrennen der Felder dagegen ist immer noch ein Problem, aber im Bundesstaat São Paulo, aus dem 60 Prozent der Produktion stammen, wurde diese Praxis schrittweise verboten. Heute werden 20 Prozent der Ernte mit Maschinen eingefahren. Dadurch können die breiigen Rückstände nach der Zuckerextraktion – die Bagasse – effizienter genutzt werden. Bagasse ist selbst eine wichtige Energiequelle für Heizung und Elektrizität. Die Wasserverschmutzung wurde stark reduziert, seit die Abwässer richtig entsorgt und großflächig als Dünger wieder auf die Felder verteilt werden. Das hat die Produktivität erhöht und die Produktionskosten gesenkt. Gleichzeitig hat sich die Luftqualität in den Städten verbessert – insbesondere in São Paulo, der größten und am stärksten verschmutzten Stadt –, denn Autos, die mit Ethanol oder Gasohol fahren, stoßen weniger Schadstoffe aus. Die Nutzung von Ethanol als Benzinzusatz erlaubte es Brasilien überdies, als eines der ersten Ländern verbleites Benzin zu verbieten.

Und was ist mit den befürchteten sozialen Schäden?
La Rovere: Es gibt sogar einige positive Auswirkungen, beispielsweise auf den Arbeitsmarkt im ländlichen Raum. Die Ethanolproduktion bietet 700 000 direkte und mehr als 200 000 indirekte Arbeitsplätze. Es stimmt, die Arbeitsbedingungen sind hart, insbesondere im Nordosten. Aber im Vergleich zu anderen Arbeitskräften in der Landwirtschaft, in der Industrie oder im Dienstleistungssektor werden die Arbeiter im Zuckerrohranbau in São Paulo State relativ gut bezahlt. Es gibt allerdings einen Zielkonflikt: Die maschinelle Ernte ist aus wirtschaftlicher und umweltpolitischer Sicht vorteilhaft, reduziert aber landwirtschaftliche Arbeitsplätze – mit negativen sozialen Folgen.

Wurden die Subventionen Ihrer Ansicht nach sinnvoll genutzt?
La Rovere: Sie haben einen stabilen Rahmen geschaffen, zum Ausbau des Sektors beigetragen und geholfen, dass die Ethanolproduktion für private Forschung und Entwicklung interessant wurde. Das Ergebnis sind beeindruckende Fortschritte in Technologie und Produktivität. In den ersten zehn Jahren von PROALCOOL fielen die Produktionskosten um 50 Prozent. Auch in den folgenden Jahren sind die Kosten gesunken, wenn auch etwas langsamer. Außerdem haben die öffentlichen Gelder den Markt stabilisiert. 1989 gab es Lieferengpässe bei PROALCOOL. Die Besitzer von Ethanol-Autos konnten nicht mehr ausreichend tanken. Das Konsumentenvertrauen bröckelte. Mittlerweile ist es wiederhergestellt – dank niedrigerer Preise und der erfolgreichen Einführung von Flex-Fuel-Autos. Die meisten Tankstellen in Brasilien führen beide Kraftstoffe, und die Fahrer füllen ihre Tanks je nach Preis und Verfügbarkeit.

Wie sind die Perspektiven?
Pereira: Für Ethanol sehr gut angesichts sinkender Produktionskosten einerseits sowie Energiesorgen, hoher Ölpreise und drohender Umweltkatastrophen andererseits. Wir erwarten eine weiter wachsende Ethanolproduktion in Brasilien. Die Binnennachfrage könnte sich in den nächsten 20 Jahren sogar verdreifachen. Das ist allerdings nicht sicher und vielleicht auch gar nicht wünschenswert. Vorher sollten wir die sozialen und ökologischen Folgen untersuchen. Zu den wichtigsten Faktoren zählen die Preise. Die Preise für Biokraftstoffe sinken, und sollten die Ölpreise sich auf dem gegenwärtigen Niveau einpendeln, was wahrscheinlich ist, dann wird sich die Biokraftstoffproduktion auch in anderen Ländern und auf der Basis anderer Pflanzen rentieren. Heute ist die Ethanolproduktion in Brasilien wirtschaftlich gesehen absolut sinnvoll.

Wie sieht es bei Biodiesel aus?
Pereira: Auch Biodiesel hat ein großes Potenzial. Es bleibt allerdings noch viel zu tun, um den erforderlichen regulatorischen Rahmen zu schaffen. Das ist eine noch größere Herausforderung als im Fall von Ethanol. Biodiesel ist noch nicht wettbewerbsfähig. Es wird mehr brauchen als öffentliche Förderung und Steuervergünstigungen. Den Bauern nutzt das brasilianische Biodiesel-Programm ohne Zweifel schon heute, aber es ist noch nicht wirtschaftlich. Das könnte sich ändern, wenn große Energiefirmen wie Petrobras einsteigen. Es gibt mögliche Synergien bei der Produktion von Biodiesel und Ethanol. Beispielsweise wäre es sinnvoll, Ethanol als Input in der Biodieselproduktion zu nutzen – und umgekehrt. Das würde die Unabhängigkeit von anderen Energiequellen erhöhen und den Profit steigern, zum Beispiel durch die Ausgabe international handelbarer Emissionszertifikate.

Was können reiche Länder, die ihre CO2-Emissionen reduzieren müssen, daraus lernen?
Pereira: Wenn man Benzin durch Ethanol aus Zuckerrohr ersetzt, dann schrumpft der Kohlendioxidausstoß um rund 90 Prozent. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zusätzlich müssen einige spezifische lokale Faktoren bedacht werden: landwirtschaftliche Praktiken, inklusive der Nutzung fossiler Kraftstoffe; der Ertrag pro Hektar; die Energieeffizienz der Ethanolherstellung; die Energie, die im Pflanzendünger steckt; die durch Bewässerung verursachten Kosten und anfallende Nebenprodukte, wie Zuckerrohr-Bagasse, die selbst eine wichtige Energiequelle ist. Was in Brasilien sinnvoll ist, funktioniert nicht unbedingt in einem anderen Land. Die Gesamtbilanz muss außerdem den Ausstoß anderer Treibhausgase wie CH4 und N2O berücksichtigen. Es hilft dem Klima zudem nicht, wenn Wälder abgeholzt werden, um auf den freien Flächen Energiepflanzen anzubauen. Dennoch sollten wohlhabende Länder, die ihre Treibhausgasemissionen senken müssen, über die bestmögliche Nutzung von Ethanol nachdenken. Die Reduzierung der Emissionen im Transportsektor sollte nicht nur auf der Ersetzung von Benzin durch Ethanol beruhen. Maßnahmen zum Energiesparen, zum Beispiel durch einen effizienteren Gebrauch und durch eine Förderung des öffentlichen statt des privaten Personenverkehrs, sind wichtiger als Biokraftstoff.

Werden Biotreibstoffe irgendwann mit fossilen Brennstoffen konkurrieren?
Pereira: Die Frage ist, wie weit sich die Nutzung von Biotreibstoff ausweiten lässt. Derzeit hat Brasilien weltweit die besten Voraussetzungen für die Ethanolherstellung. Aber die Produktion müsste extrem gesteigert werden, um vollständig auf Biotreibstoff umzusatteln – und die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen eines solchen Wandels könnten wenig wünschenswert sein. Das gilt erst recht im globalen Maßstab im Hinblick auf Aspekte wie die durchschnittliche Produktivität, die Verfügbarkeit von Wasser und Land, die Kosten sowie die Energie- und CO2-Bilanz. Technologische Durchbrüche könnten das Bild jedoch wieder ändern – zum Beispiel wenn sich die Biokraftstoffe der zweiten Generation durchsetzen, die weniger Land und Energie in der Herstellung beanspruchen.

Welche Lehren können andere Entwicklungsländer daraus ziehen?
La Rovere: Die Entwicklung in Brasilien ist spezifisch für unser Land. Es gibt verschiedene Projekte im Rahmen des Clean Development Mechanism, von denen viele mit der Energieeffizienz in der Ethanolproduktion zu tun haben. Sie generieren Emissionszertifikate, die den Cash-flow der Fabriken verbessern. Die natürlichen Bedingungen in Brasilien sind sehr gut. Selbst ohne die Amazonas-Region abzuholzen, hat das Land die größten noch ungenutzten Agrarflächen. Es gibt verschiedene Klimazonen, die sich für verschiedene Pflanzensorten eignen. Die biologische Vielfalt ist immens, größer als irgendwo sonst in der Welt, und es gibt wahrscheinlich noch andere Möglichkeiten, Biobrennstoffe herzustellen, die wir heute noch nicht kennen. Brasilien spielt deshalb naturgemäß eine führende Rolle in der Produktion und Nutzung von Biotreibstoffen. Aber die Biokraftstoffentwicklung bietet eine gute Chance, ländliche Entwicklung generell neu zu denken. Auch andere Entwicklungsländer sollten Biomasse verstärkt nutzen – und Biotreibstoff ist nicht die einzige Möglichkeit. Denkbar ist auch die Herstellung von Nahrungsmitteln, Fasern, Plastik, Baumaterial, industriellen Rohstoffen oder Pharmazeutika. Viele Entwicklungsländer könnten ihre biologische Vielfalt stärker nutzen. In den Worten des Wissenschaftlers Ignacy Sachs: Sie könnten noch vor den Industrieländern einen wirklich nachhaltigen und arbeitsintensiven Entwicklungsweg einschlagen, der auf einem ökologisch gesunden Management von Wäldern, Land und Wasser ruht.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.