Sommer-Special

Iran als Kind verlassen und später heimkehren

Zehn Jahre nach Erscheinen sind die Themen von Persepolis aktueller denn je. Wenn Marjane Satrapi humorvoll und doch prägnant ihre Kindheit und Jugend in Teheran und Wien beschreibt, wird nicht nur erschreckend deutlich, was religiöser Fundamentalismus und Krieg für die betroffenen Menschen bedeuten, sondern auch, wie sehr das Leben im Exil junge Menschen aus der Bahn werfen kann. Dies ist der erste Beitrag unserer Sommer-Spezial-Reihe, in der wir in der Rubrik "In Kürze" Ferienliteratur empfehlen.

Von Eva-Maria Verfürth
Frauen im traditionellen Tschador in Yazd, Iran. Verfürth Frauen im traditionellen Tschador in Yazd, Iran.

Ein kleines Mädchen unter einem großen Kopftuch: „Da bin ich mit 10 Jahren; das war 1980“, beginnt die Comic-Autobiographie der Iranerin Marjane Satrapi. „Das erste Jahr, in dem das Tragen des Kopftuchs in der Schulen Pflicht wurde.“ Mit 10 Jahren erlebte Satrapi den ersten großen Umbruch in ihrem Land: Die iranische Revolution stürzte 1979 das weltliche Schah-Regime und begründete die Islamische Republik. Ab diesem Zeitpunkt änderte sich alles für sie: Mädchen und Jungen wurden nicht mehr gemeinsam unterrichtet, ihre Eltern nahmen jeden Tag an Demonstrationen teil, und als ihre Mutter dabei von der westlichen Presse fotografiert wurde, veränderte sie ihr Aussehen, um nicht erkannt zu werden.

In eindrücklichen schwarz-weiß Bildern erzählt Marjane Satrapi im Folgenden Episoden aus ihrer Kindheit und Jugend in Teheran und später im Exil in Wien. Mit viel Humor und scharfer Beobachtung veranschaulicht sie dabei die politische Geschichte ihres Landes: Sie berichtet, wie die islamischen Fundamentalisten Stück für Stück eine repressive Gewaltherrschaft aufbauen, wie Verwandte im Gefängnis landen, und wie die Erwachsenen von Folter und Mord erzählen. Sie entlarvt die Absurditäten des Alltags und die Widersprüche in der Ideologie der Revolutionswächter. Vielleicht genau deshalb passt sie sich auch als Jugendliche nie ganz an das neue System an, sondern testet immer weder die Grenzen des Möglichen aus. „Ich erinnere mich, dass ich einen ganzen Tag von den Revolutionswächtern festgehalten wurde, nur weil ich rote Socken anhatte“, erzählt sie. Das mag absurd erscheinen, aber die Erklärung liegt nahe: „Das Regime hatte verstanden, dass eine Person, die sich ständig Dinge fragen muss wie: Ist meine Hose lang genug? Sitzt mein Kopftuch? Ist mein Make-up unaufdringlich?, nicht mehr fragen wird: Was ist mit meiner Meinungsfreiheit? Und was passiert eigentlich in den politischen Gefängnissen?“

Mit dem ersten Golfkriegs beginnt auch die wirtschaftliche Knappheit, und immer mehr junge Männer werden zum Militärdienst eingezogen. Als Bomben auf Teheran fallen, entschließen sich Marjanes Eltern, sie zum Schutz auf eine Schule in Wien zu schicken.

Der Umzug macht ihr das Leben aber nicht leichter: Sie habe gedacht, dass sie den religiösen Iran gegen ein offenes und säkulares Europa tausche, schreibt sie. Stattdessen landet sie in einem von katholischen Nonnen geführten Wohnheim im Wien. Wieder entspricht Marjane nicht den moralischen Ansprüchen und Regeln ihrer religiösen Aufpasser. Es fällt ihr schwer mit den Mitschülern Freundschaften zu knüpfen, die eine ganz andere Weltsicht haben als sie selbst. Die Suche nach ihrer Zugehörigkeit stürzt sie zeitweise in eine existentielle Krise. Als sie nach vier Jahren in den Iran zurückkehrt, um visuelle Kommunikation zu studieren, fühlt sie sich aber auch in der Heimat fremd und muss entscheiden, wo sie wirklich hingehört.

Seit 1994 lebt Marjane Satrapi nun in Frankreich. Ihr Buch Persepolis ist eine tief berührende Geschichte über den Iran – aber auch ein eindrücklicher Bericht vom Leben im Exil und den Problemen von Flüchtlingen in Europa.

Die Verfilmung von Persepolis 2007 war ein großer Erfolg. Der Film wurde 2008 für den Oscar nominiert. Während er bis dahin im Iran verboten war, wurde er nun auch im eigenen Land gezeigt: „Dies wäre der erste iranische Film gewesen, der einen Oscar bekommen hätte,“ erklärte Satrapi in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. „Also haben sie [die Regierung] sieben Vorführungen mit jeweils 75 Zuschauern angesetzt, 25 Minuten waren aus dem Film herausgekürzt worden, angeblich sexuelle Szenen. Plötzlich war ich, nachdem ich lange als Staatsfeindin, Hure des Westens und Mitarbeiterin des CIA und Mossad beschimpft worden war, völlig in Ordnung.“

So förderte am Ende auch die reale Geschichte des Films die Widersprüche des Regimes so deutlich zutage, als wäre es eine weitere Episode aus „Persepolis“.