Internationaler Sport

„Kenne den Zeitraum, in dem du glühst“

Während sich der Radsport langsam von Dopingskandalen erholt, krankt es in der russischen Leichtathletik. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ist alarmiert und reagiert mit neuen Regeln. Im Gegensatz zu Russlands Sportbehörden nehmen das deutsche Kontrolleure sehr ernst.
Die russische Dreisprung-Hallenweltmeisterin Jekaterina Konewa ist in der Vergangenheit wegen Dopings gesperrt worden. Jetzt ist das ganze Leichtathletikteam von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. AP Photo/picture-alliance Die russische Dreisprung-Hallenweltmeisterin Jekaterina Konewa ist in der Vergangenheit wegen Dopings gesperrt worden. Jetzt ist das ganze Leichtathletikteam von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen.

Drei einfache Regeln, um nicht er­wischt zu werden: Trage eine Uhr, habe dein Handy immer griffbereit, und kenne den Zeitraum, in dem du „glühst“. Das schreibt der US-Ex-Radprofi Tyler Hamilton 2012 in seinem Buch „Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte“. Mit „glühen“ meint er die Zeitspanne, in der leistungssteigernde Substanzen im Körper nachweisbar sind. Minutiös beschreibt er, wie seine Teamkollegen und er Dopingkontrolleure jahrelang überlisteten.

Hamilton schildert erstmals das ganze Ausmaß des Dopingsystems im Profiradsport der 1990er und 2000er Jahre: ein Netzwerk von korrupten Ärzten, gewissenlosen Teamchefs und bestechlichen Labormitarbeitern. Er schreibt von roten Testosteronpillen, vom Hormon Erythropoetin (Epo) im Kühlschrank und Eigenbluttransfusionen in Hotelzimmern.

Das Dopingmittel Epo spielt bis heute eine große Rolle im Ausdauersport. Die Ausdauerleistung eines Sportlers ist davon abhängig, wie gut der Körper Sauerstoff aufnehmen kann. Je mehr rote Blutkörperchen, desto besser die Aufnahme. Epo regt die Produktion roter Blutkörperchen an.

Hamilton gehörte zur eingeschworenen „Bruderschaft“ gedopter Fahrer – bis er aufflog. Ein Jahr nach seinem Olym­piasieg 2004 sperrte ihn der Radsport-Weltverband (UCI) für zwei Jahre, weil er positiv auf Blutdoping getestet worden war. Als ehemaliger „Doper“ war seine Rückkehr in führende Radteams schwierig.

Sein Bericht dreht sich aber auch um die Schlüsselrolle von Radsportprofi Lance Armstrong. Als jahrelanger Trainingspartner und zweitstärkster Mann hinter Armstrong erlebte Hamilton das systematische Doping hautnah mit. Er war später Kronzeuge in den Ermittlungen gegen Armstrong. 2012 erkannte der UCI Armstrong alle seine sieben Tour-de-France-Siege ab sowie alle Titel seit 1998.


„Kultur des Betrugs“

Auch die Leichtathletik ist betroffen. Ende 2014 lieferte der investigative Journalist Hajo Seppelt in einem ARD-Dokumentarfilm Beweise für Russlands ausgeklügeltes Dopingsystem. Daraufhin schaltete die WADA eine unabhängige Kommission (IC) ein, um den Anschuldigungen nachzugehen. Sie legte im November 2015 einen 300-seitigen Bericht vor. Der IC-Vorsitzende Richard Pound sprach bei einer Pressekonferenz von „hässlichen Überraschungen“.

Die Verstöße waren so gravierend, dass der Internationale Leichtathletikverband (IAAF) beschloss, die Gesamtrussische Leichtathletik-Föderation (ARAF) vorläufig zu suspendieren. Die IC schlug auch vor, fünf Athletinnen, vier Trainer und einen Sportmediziner auf Lebenszeit zu sperren. Vorerst dürfen keine russischen Leichtathleten an den diesjährigen Olympischen Spielen in Brasilien teilnehmen.

Die Kommission stellte eine tiefverwurzelte „Kultur des Betrugs“ fest. An der Spitze der teils kriminellen Machenschaften standen der ehemalige ARAF-Chef Valentin Balachnitschew, der medizinische ARAF-Leiter Sergej Portugalow sowie der Leiter des WADA-akkreditierten Labors in Moskau, Grigori Rodschenko.

Rodschenko, Portugalow sowie Trainer sollen Schmiergelder von Athleten verlangt haben, um positive Tests zu vertuschen. Chefmediziner Portugalow sei der Drahtzieher im geheimen nationalen Dopingprogramm gewesen. Aber auch andere Ärzte und Labormitarbeiter hätten systematisches Doping gedeckt.

Die IC deckte auch Verstöße bei der Russischen Anti-Doping-Agentur (RUSADA) auf. Mitarbeiter hätten Trainern und Athleten frühzeitig angekündigt, wann Dopingtests stattfinden. Obwohl einer WADA-Regel zufolge der Aufenthaltsort eines Sportlers zu jeder Zeit bekannt sein muss, nahm das die RUSADA nicht so genau. Mitarbeiter sollen auch mit falschen Identitäten bei Testproben gearbeitet und gesperrten Athleten erlaubt haben, trotzdem bei Wettkämpfen anzutreten.

Im Januar 2016 folgte der zweite Teil des IC-Berichts, der den ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack schwer belastet: Diack und sein „geschlossener innerer Zirkel“ hätten Korruption, Vetternwirtschaft und die Verschleierung von Doping aktiv unterstützt. Als öffentlich bekannt wurde, dass die französische Justiz gegen Diack ermittelt, trat er im August 2015 zurück. Sein Nachfolger ist der Brite Sebastian Coe.

Der IC zufolge war Diacks Einfluss so groß, dass er ohne Widerstand seine beiden Söhne als Berater einstellen ließ. Diack habe zudem seinen Anwalt Habib Cissé damit beauftragt, alle biologischen Athletenpässe (ABP) von russischen Athleten persönlich zu überwachen. Der 2009 von der WADA eingeführte Athletenpass dokumentiert Blut- und Urinwerte über einen längeren Zeitraum. Cissé habe nicht nur zahlreiche positive Testergebnisse vertuscht, sondern auch Athleten erpresst.

Dem korrupten Spiel kam laut IC zugute, dass ARAF-Präsident Balachnitschew gleichzeitig IAAF-Schatzmeister war. Der Anwalt Cissé und Balachnitschew konnten sich gegenseitig informieren und so das russische Dopingsystem decken. Kurz nach der ARD-Reportage Ende 2014 trat Balachnitschew von beiden Ämtern zurück.

Laut dem Journalisten Seppelt hat sich seitdem in Russland trotzdem nicht viel getan. Zwar versicherte der russische Sportminister Witalij Mutko kurz nach den Enthüllungen, dass einige der Involvierten gefeuert worden seien. In einer zweiten ARD-Reportage Mitte 2015 zeigte Seppelt jedoch, wie gesperrte Trainer ihren Job trotzdem weiter ausüben und weiter mit Dopingmitteln dealen. Hinzu kommt, dass die frisch ernannte RUSADA-Führungskraft Anna Anzeliowitsch Termine für Dopingkontrollen mit Sportlern abgesprochen haben soll.

Während es die Aufgabe der russischen Justiz ist, die Verantwortlichen zu ahnden, hat die WADA in ihrem Einflussbereich reagiert. Sie entzog dem Moskauer Labor die WADA-Zulassung und überarbeitete ihre Anti-Doping-Regeln (englisch „Code“), an die sich alle Sportverbände und Anti-Doping-Agenturen weltweit halten müssen.


Effektivere Kontrollen

Die deutsche Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) nimmt den neuen WADA-Code sehr ernst. Im aktuellen Jahresbericht steht, Deutschland habe 2015 als erstes Land die neuen Vorgaben des WADA-Codes umgesetzt. Nach dem neuen System seien die nationalen Anti-Doping-Organisationen für alle Trainings- und Wettkampfkontrollen verantwortlich. Diese seien dadurch noch unberechenbarer und effektiver. Noch 2014 organisierten die deutschen Sportfachverbände die Wettkampf-Kontrollen und setzten sie teils auch selbst um.

Im gleichen Jahr führte die NADA insgesamt 8652 Trainingskontrollen im In- und Ausland durch. Schwerpunkt seien Topathleten gewesen, etwa Olympia- und Paralympics-Teilnehmer der Winterspiele in Sotschi und Fußballnationalspieler vor der WM in Brasilien. Die Organisation steigert ebenfalls die Wettkampfkontrollen, die sie bald ganz übernehmen soll.

Bei den Tests hält sich die NADA an den neuen Doping-Kontrollplan der WADA. Der schreibt Zusatzkontrollen vor wie etwa Zusatzanalysen von Blut- und Urinproben. Dabei baut die NADA auf das Institut für Biochemie der deutschen Sporthochschule Köln und das Institut für Dopinganalytik und Sportbiochemie Dresden in Kreischa. Beide seien führend in der Welt.
Auch die Strafen sind laut NADA-Bericht nach dem neuen Code schärfer geworden. Wird bei einem Sportler Doping nachgewiesen, bekomme er nun regulär vier Jahre Sperrfrist. Athleten dürften zudem keinen sportlichen oder beruflichen Kontakt zu einem Trainingsbetreuer haben, der zuvor gegen die Anti-Doping-Bestimmungen verstoßen habe. 2014 gab es laut NADA in Deutschland 86 Dopingverstöße; in 22 Fällen folgten Strafen, und bei 30 wurden die Verfahren wegen mangelnder Beweise eingestellt.

Die NADA bemüht sich, so transparent wie möglich über verbotene Substanzen zu informieren. Dafür bietet sie die Online-Medikamenten-Datenbank ‚Nanamed‘ an. Diese richtet sich an Sportler, Eltern, Ärzte und Betreuer. Die Datenbank gibt es mittlerweile auch als App.

Oft sickern wichtige Information aber nicht durch. Ein Beispiel: Im Januar 2016 setzte die WADA das Herzmittel Meldonium auf die Verbotsliste. Jetzt lässt sie Sportler, die vor März 2016 mit weniger als einem Mikrogramm im Körper erwischt wurden, auf Gnade hoffen. Darunter ist auch der russische Tennisstar Maria Scharapowa. Viele der Sportler wollen von dem Verbot nichts mitbekommen haben. Laut Kritikern hat sich die WADA mit der Lockerung keinen Gefallen getan. So bleibt auch die oberste Wächterin im Anti-Doping Kampf nicht unumstritten.


Theresa Krinninger ist freie Journalistin.
theresa.krinninger@gmail.com


Literatur
Hamilton, T., und Coyle, D., 2012: The secret race. New York, Bantam.

Links
WADA-Bericht 1:
https://wada-main-prod.s3.amazonaws.com/resources/files/wada_independent_commission_report_1_en.pdf

WADA-Bericht 2:
https://wada-main-prod.s3.amazonaws.com/resources/files/wada_independent_commission_report_2_2016_en_rev.pdf

NADA Jahresbericht 2014:
http://www.nada.de/fileadmin/user_upload/nada/Downloads/Jahresberichte/NADA-Jahresbericht_2014.pdf

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