Religion

Schillernde Weltmacht

Der Einfluss der Religionen auf die internationale Politik nimmt zu, konstatiert der Politikwissenschaftler Claus Leggewie – und warnt zugleich davor, der deutschen und europäischen Außenpolitik religiöse Postulate aufzuerlegen.

Europa habe zwar christliche Wurzeln, so Leggewie, sei aber kein „christlicher Akteur“ in der Weltpolitik, sondern Menschenrechten und Demokratie verpflichtet. Für diese Werte gelte es zu kämpfen – ohne „in die Falle religiöser Block­bildung“ zu tappen. Auf einem internationalen Forum zum Thema „Weltmacht Religion“ im November im Auswärtigen Amt erläuterte der Professor am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, welchen Einfluss Religionsgemeinschaften und ihre Vertreter inzwischen in der internationalen Politik haben. Zum Beispiel die christliche Rechte der USA: Sie gewann nachhaltigen Einfluss auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, lud den Kampf gegen „evil empires“ apokalyptisch auf und gab der Entwicklungszusammenarbeit und der Menschenrechtspolitik einen christlichen Anstrich. Ihre Ideologie sei in der Mittel- und Oberschicht fest verankert, so Leggewie. Ähnliches gelte auch für religiöse Parteien in Schwellenländern wie die indische BJP oder die AKP in der Türkei.

In gescheiterten Staaten missionieren eifrig und aggressiv Pfingstler oder „Wiedergeborene“. Problematisch ist das laut Leggewie dort, wo sich die Bevölkerung nur noch auf eine religiöse Identität bezieht und die Menschen sich nicht mehr als Bürger eines Staates definieren, wie etwa in Nigeria. „Eine solche Entwicklung ist gefährlich, weil sie auf Intoleranz hinausläuft“, sagt auch Karsten Voigt, AA-Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Leggewie vertritt die Auffassung, dass Religionen zunehmend Konflikte auslösen, verlängern und eskalieren lassen. Andreas Hasenclever von der Uni Tübingen sieht das anders: „Kriege haben in aller Regel politische und ökonomische Gründe. Eine Religion ist meist nicht die Brandursache, kann aber Brandbeschleuniger sein“, stellt der Professor für internationale Politik fest. Politische Eliten würden im Verlauf von Konflikten häufig erst dann auf religiöse Ressourcen zurückgreifen, wenn es um die Legitimierung von Gewalt oder die Verteufelung des Gegners gehe. Um dem vorzubeugen, so Hasenclever, seien die Trennung religiöser Eliten vom Staat sowie umfassende religiöse Bildung der Bevölkerung unerlässlich.

Religion und Glauben bieten aber auch Chancen für die Friedenspolitik. Die Communitá di Sant’Egidio ist ein Beispiel: Die Gemeinschaft, zu der über 50 000 Gläubige unterschiedlicher Konfessionen zählen, hat sich in der internationalen Konfliktvermittlung einen Namen gemacht. Ihr Einsatz ebnete den Weg für Friedensgespräche zwischen den Bürgerkriegsparteien in Mosambik. „Das waren die Früchte unserer Überzeugung, denn wir glauben, dass sich Menschen verändern können“, erklärt Cesare Zucconi, der seit dreißig Jahren der Gemeinschaft angehört. Durch beharrliche Lobbyarbeit können Religionsgemeinschaften sogar an internationaler Normsetzung mitwirken. Rüdiger Noll von der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) erläuterte auf der Konferenz, wie seine Organisation durch unzählige Gespräche mit allen relevanten EU-Politikern dazu beigetragen habe, dass der EU-Vertrag eine Sozialklausel enthalte, die so vorher nicht vorgesehen war.

Natürlich wurde auch über die Rolle des islamistischen Terrors diskutiert. Claus Leggewie erklärte, Islamisten wollten anders als die christliche Rechte Realpolitik nicht beeinflussen, sondern staatliche Strukturen beseitigen. Vertreter der Muslime äußerten sich besorgt über die negative Wahrnehmung des Islam im Westen. „Der echte Islam hat nichts mit gewalttätigem Islamismus zu tun“, betonte Tayseir Mandour vom Supreme Council of Islam in Kairo und warb dafür, den interkulturellen und interreligiösen Dialog fortzusetzen. „Dann muss es aber auch ein ehrlicher Dialog aller Religionen sein“, forderte Leggewie. „Einer, der die Verschränkung von Religion und Gewaltausübung nicht verschweigt.“ (Zum Thema siehe auch E+Z/D+C 10/2007.)

Tobias Pflanz