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Tod in Ndola

Der Tod von UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld 1961 bei einem Flugzeugabsturz bleibt mysteriös. UN-Untersuchungen haben bislang kein überzeugendes Ergebnis geliefert. Ein neues Buch schildert den Sachstand und erörtert Hamarskjölds Rolle bei der Dekolonisierung Afrikas. Für die UN hatte sie langfristige Bedeutung.
Dag Hammarskjöld und Kwame Nkrumah, der als erster Regierungschef des unabhängigen Ghanas ein Wortführer der blockfreien Länder war. picture-alliance/Everett Collection Dag Hammarskjöld und Kwame Nkrumah, der als erster Regierungschef des unabhängigen Ghanas ein Wortführer der blockfreien Länder war.

Henning Melber ist kein unvoreingenommener Autor. Der deutsch-schwedische Sozialwissenschaftler ist ehemaliger Direktor der Dag-Hammarskjöld-Stiftung in Uppsala. Er gehörte auch zu dem Komitee, das vor einigen Jahren den seinerzeitigen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon dazu brachte, abermals offizielle Ermittlungen zu starten. Die Frage, weshalb das Flugzeug damals in der Nähe von Ndola im heutigen Sambia abstürzte, ist bislang unbeantwortet. Sein persönliches Engagement legt Melber offen. (Volle Transparenz erfordert auch zu erwähnen, dass er seit Jahren regelmäßig für E+Z/D+C schreibt und zum Freund geworden ist.)

„Dag Hammarskjöld, the United Nations and the Decolonisation of Africa“ ist ein ebenso ehrgeiziges wie kurzes Buch. Auf nur 180 Seiten, von denen 50 Fußnoten, Quellenhinweise et cetera enthalten, behandelt Melber Dinge, die ihm aus langjähriger wissenschaftlicher Arbeit vertraut sind. Wer nur wenig über die Geschichte der UN und der Dekolonisierung weiß, wird die Lektüre vermutlich anstrengend finden. Sie lohnt sich aber.

Der Hintergrund des tragischen Endes Hammarskjölds war die Kongokrise von 1960/61. Am 30. Juni 1960 wurde die belgische Kolonie unabhängig. Schon zwei Wochen später bedrohten Sezessionsbestrebungen in der rohstoffreichen Katanga-Region die Integrität des jungen Staates. Belgien unterstützte die Abspalter mit Truppen, was dem Unabhängigkeitsvertrag widersprach. Nach Schießereien forderten Kongos Präsident Joseph Kasavubu und Premierminister Patrice Lumumba die UN zur Intervention auf.

Melber schildert detailliert, wie Hammarskjöld den Schaden begrenzen wollte und welchen Einschränkungen er unterlag. Das größte Problem war der tiefe Graben im Sicherheitsrat. Die westlichen Länder hielten weitestgehend zu Belgien, wohingegen die Sowjetunion den Einfluss der USA und der ehemaligen Kolonialmächte begrenzen wollte. Das verengte den Handlungsspielraum der UN.

Dennoch gelang es Hammarskjöld, eine UN-Resolution herbeizuführen. UN-Truppen wurden in den Kongo entsandt, aber da ihr Auftrag nicht klar formuliert war, konnten sie nicht wirkungsvoll eingreifen. Die Blauhelm-Mission blieb umstritten. Kritiker sagten entweder, sie tue zu viel oder zu wenig.

Melber erläutert, wie Hammarskjöld sich vor allem auf die bündnisfreien Länder stützte, die überwiegend ehemalige Kolonien waren. Angesichts des Patts im Sicherheitsrats konzentrierte Hammarskjöld sich auf Initiativen in der Generalversammlung, in der die Zahl blockfreier Mitgliedsländer kontinuierlich wuchs.

Deren Spitzenpolitikern gefiel Hammarskjölds Vorgehen, denn er wollte sie vor unangemessener Einflussnahme durch die Hegemonialmächte schützen. Er fand, den jungen Nationen stehe möglichst großer politischer Handlungsspielraum zu. Heute würden wir von „Ownership der Partnerländer“ sprechen. Dass er Afrika so auch aus dem Kalten Krieg abschirmte, missfiel derweil West wie Ost.

Die Lage im Kongo wurde noch schwieriger, weil Kasavubu und Lumumba sich zerstritten. Eine Weile lebte Lumumba unter UN-Schutz, aber er verzichtete dann darauf und versuchte wieder Macht zu erlangen. UN-Truppen waren präsent, als er festgenommen wurden, und weitere Blauhelme wurden später Zeugen, als er nach Katanga gebracht wurde. Dort wurde er am 17. Januar gefoltert und getötet. Die UN-Mission stand sofort in der Kritik, weil sie ihn nicht ausreichend geschützt hatte.

Laut Melber hatte Hammarskjöld keine direkte persönliche Zuständigkeit für die Truppen. Er war somit nicht für den ungenügenden Schutz Lumumbas verantwortlich. Es ist auch nicht klar, was die UN-Soldaten hätten tun sollen. Präsident Kasavubu stützte sich auf Armeechef Mobutu Sésé Seko, der später in einem Militärputsch die Macht ergriff und als skrupelloser Diktator von 1965 bis 1997 herrschte. Lumumba war ein frühes Opfer Mobutus.

Der Haupterfolg der UN-Politik war sicherlich, dass der Kongokonflikt nicht auf andere afrikanische Länder übergriff. Wie Melber schreibt, brachten diplomatische Rückschläge Hammarskjöld dennoch zur Verzweiflung. Er wollte weitere Eskalation unbedingt verhindern. Nach Gefechten zwischen UN-Truppen und sezessionistischen Kämpfern in Katanga arrangierte Hammarskjöld ein Treffen mit deren Anführer Moise Tshombe in Ndola. Damals gehörte die Stadt zu Nordrhodesien und unterlag als Teil der British Central African Federation der Herrschaft eines weißen Minderheitsregimes.

Hammarskjölds Flieger stürzte beim Anflug auf Ndola am 18. September 1961 ab. Die nordrhodesischen Behörden führten das offiziell auf Pilotenfehler zurück. Spätere Untersuchungen zeigten aber, dass sie nicht alle vorliegenden Informationen berücksichtigten. Insbesondere vernachlässigten sie, was schwarze Augenzeugen berichtet hatten. Einige hatten ein weiteres Flugzeug am Himmel bemerkt, andere hatten Hammarskjölds Maschine brennen sehen. Melbers Ausführungen zufolge dauerte es auch sehr lange, bis die Beamten das Wrack fanden. Sicherheitskräfte seien wohl zuerst vor Ort gewesen und hätten Manipulationen an der Absturzstelle vornehmen können.

Der Autor führt aus, dass mehrere Parteien nicht nur ein Interesse am Tod des UN-Generalsekretärs gehabt haben könnten, sondern wohl auch über die Mittel verfügten, den Absturz herbeizuführen. Dazu gehörten die Rebellen in Katanga, die weißen Minderheitsregime im südlichen Afrika sowie Mitgliedsländer des Sicherheitsrates.

Die UN vermuten, dass die Geheimdienste verschiedener Länder noch relevantes Beweismaterial haben – wie etwa Aufnahmen des Funkkontakts von Hammarskjölds Pilot mit dem Flughafen in Ndola. Besonders die USA und das britische Königreich stehen im Verdacht, relevante Belege zurück zu halten. Melber schreibt, sie hätten die UN-Aufforderung, solche Materialien freizugeben, nicht befolgt.

Das Individuum zählt

Melbers Hauptanliegen ist es aber nicht, das Drama von Ndola zu erzählen. Ihm geht es vor allem um Hammarskjölds Einfluss auf die Entwicklung der UN und das Ende der Kolonialherrschaft. Melber ist als Teenager in Namibia aufgewachsen und schloss sich dem Freiheitskampf an. Er ist Mitglied der heutigen Regierungspartei und früheren Befreiungsbewegung SWAPO. Der Autor verteidigt Hammarskjöld gegen Vorwürfe, er habe den Kapitalismus unterstützt, imperialistischen Kräften gedient und rassistische Neigungen gehegt.

Der Afrikakenner sieht Hammarskjöld als Kind seiner Zeit. Viele seiner Vorfahren waren Beamte oder Pfarrer, auch sein Vater war Spitzendiplomat. Die politische Kultur Schwedens, die auf Konsens und Inklusion ausgerichtet ist, hat Hammarskjöld tief geprägt. Er selbst wirkte als wirtschaftswissenschaftlicher Experte am Aufbau des schwedischen Sozialstaats mit, bevor er in den auswärtigen Dienst wechselte.

Melber erläutert, wie dieser protestantisch geprägte kulturelle Hintergrund das Handeln des UN-Generalsekretärs beeinflusste. Integrität war ihm wichtig – sowohl seine eigene als auch die der Institution, die er vertrat. Hammarskjöld war überzeugt, multilaterales Handeln könne massenhaftes Leid verhindern, wenn Parteien ehrlich und gewissenhaft kooperierten. Das Buch zitiert ausführlich aus Hammarskjölds Reden und Schriften.

Manche Kritiker beanstanden, Hammarskjöld sei weiß und Angehöriger des Bürgertums gewesen. Melber entgegnet, alle Individuen hätten eine persönliche Geschichte. Der Autor räumt ein, dass weiße Männer in vielfacher Hinsicht privilegiert seien, stellt aber zugleich klar, dass das weder bedeute, dass jeder weiße Mann das gut fände, noch dass alle weißen Männer andere Menschen ausbeuteten. Er urteilt zudem, UN-Personal werde wohl auf Dauer aus einem einfachen Grund überwiegend den Mittelschichten entstammen: Akademische Bildung und Fremdsprachenkenntnisse seien unverzichtbar.

Dass es innerhalb der UN-Verwaltung auf persönliche Beziehungen ankommt, macht der Autor deutlich. Tatsächlich sei der Austausch im Team, das sich mit dem Kongo befasste, oft schwierig gewesen. Das habe mehr Probleme bereitet als das weltanschauliche Differenzen taten.

Die Sowjetführung warf Hammarskjöld seinerzeit vor, den Kapitalismus zu unterstützen. Diese Kritik wurde von anderen wiederholt. Heute wissen wir, dass die Vorstellung, der Kapitalismus lasse sich leicht mit einer besseren Wirtschaftsordnung ersetzen, sich in der Praxis vielfach als falsch erwiesen hat. Melber könnte so argumentieren, wählt aber einen anderen Weg: Er betont, Hammarskjöld habe Afrikas unabhängig gewordene Staaten generell vor hegemonialem Einfluss schützen wollen.

Unter Hammarskjöld beruhte UN-Diplomatie auf Balancen, die gut durchdacht werden mussten. Daran hat sich nichts geändert – und das gehört, wie Melber schreibt, zum Erbe Hammarskjölds.

Quelle
Melber, H., 2019: Dag Hammarskjöld, the United Nations and the decolonisation of Africa. London, Hurst.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von  E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation .
euz.editor@dandc.eu

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