Landwirtschaft
Rechtssicherheit schaffen
In den ärmsten Ländern der Erde sowie vielen Staaten mit unterem mittlerem Einkommen spielen die Landwirtschaft und der Zugang zu Land eine wichtige Rolle. Auch wenn ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) tendenziell sinkt, bietet die Landwirtschaft vielerorts zusammen mit der Viehhaltung die meisten Arbeitsplätze. In Kambodscha sind dies bei einem Anteil der Landwirtschaft am BIP von 26,7 Prozent fast die Hälfte der Beschäftigten, in Kenia sind es bei einem Anteil von 32,7 Prozent am BIP drei Viertel aller Arbeitskräfte und in Äthiopien sogar 85 Prozent (CIA, 2017).
Vor diesem Hintergrund ist der Zugang vieler Menschen zu landwirtschaftlich nutzbaren Flächen von grundlegender Bedeutung für das wirtschaftliche Überleben. Dem entgegen nimmt die Enteignung von Kleinbauern weltweit zu, sei es durch offenen Landraub, durch die Umwandlung von traditionell bewirtschafteten Flächen in Staats- und danach in Privatland oder mittels anderer, oft fragwürdiger rechtlicher Konstruktionen. Papua-Neuguinea mit geschätzt 3,8 Millionen Hektar, Indonesien, Südsudan, DR Kongo und Mosambik mit immer noch zirka 2,2 Millionen Hektar halten derzeit den Weltrekord in der Flächenumwandlung (Landmatrix, 2017), die fast immer mit Enteignungen der ursprünglichen Nutzer verbunden ist und damit nichts anderes als „Land grabbing“ darstellt (Brot für die Welt, 2016).
In Äthiopien ist der Ausverkauf an Land in den letzten Jahren zu einem Streitthema geworden, das sogar in den staatlich kontrollierten Medien behandelt wird. Es geht in der Hauptsache darum, ob die Landverkäufe von der Zentralregierung oder den regionalen Behörden getätigt und kontrolliert werden. Trotz des offiziellen „Einfrierens“ von Landverkäufen an Ausländer haben auch in jüngster Vergangenheit fast eine Million Hektar ihren Besitzer gewechselt.
In Kambodscha, wo die Entwicklung bereits vor mehr als 15 Jahren begann, ist die Umwandlung seit etwa zwei Jahren bei derzeit 712 000 Hektar zum Stillstand gekommen. Hier zieht der Staat sogar Konzessionen, die er an in- und ausländische Investoren vergeben hat, wieder zurück, wenn das Land innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nicht genutzt wird. Oft sind dann allerdings die wertvollen Bäume bereits verschwunden, oder illegaler Raubbau findet auch auf diesen Flächen weiterhin statt.
In Kambodscha drohte sich der Ausverkauf an Land – zuerst an Militärs und Gefolgschaft der Staatsführung, später auch an Investoren aus dem In- und Ausland und vor allem an chinesische Firmen – zu einem politischen Streitthema zu entwickeln. Zusammen mit Kritik an schlechter Regierungsführung und zunehmenden sozialen Disparitäten begann die Landfrage sogar Wahlen zu beeinflussen und am langjährigen Monopol der Cambodian People’s Party zu rütteln, die bei den Parlamentswahlen 2013 nur noch knapp gewinnen konnte. Dies hat zumindest zu einem partiellen Umdenken geführt, was den willkürlichen Landraub und die nahezu auflagenlose Vergabe von Landkonzessionen betrifft.
Zwei Programme, die bereits vor mehr als zehn Jahren konzeptionell eingeleitet worden waren, aber mehr oder weniger verschleppt oder nicht konsequent umgesetzt wurden, bekamen ebenfalls eine zunehmende Bedeutung: die Eintragung kommunaler Landtitel für Dörfer mit indigener Bevölkerung und die Vergabe sogenannter „sozialer Landkonzessionen“.
Kommunale Landtitel
Das erste Programm findet vor allem im Norden und Nordosten des Landes statt. In der Provinz Ratanakiri stehen einige hundert Indigenen-Dörfer auf der Anwärterliste. Der Prozess dauert in der Regel einige Jahre und erfordert ein komplexes Verfahren, das vor allem durch die Beteiligung von mindestens vier Ministerien sowie durch die erstmals zu erfolgende einvernehmliche Festlegung der Grenzen eines Dorfes zu seinen Nachbardörfern erheblich aufgehalten werden kann. Ist die Grenzfestlegung aber einmal im Konsens erfolgt, erhalten die Dörfer relativ bald einen Vorabtitel, der das Eindringen Dritter und damit auch die Enteignung von Land für agroindustrielle Konzessionen verhindert. Dies wird von den lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die den Prozess begleiten, zumindest für die vergangenen drei Jahre so bestätigt. Allerdings vergibt am Ende das Ministry of Land den eigentlichen Titel, der auch geringere Flächen als beantragt umfassen kann.
Die beteiligten lokalen NGOs erhalten zurzeit auch Unterstützung durch deutsche Organisationen, die teilweise mit Mitteln der Bundesregierung gefördert werden. So sind oder waren die Welthungerhilfe und die Johanniter beteiligt (Welthungerhilfe, 2016). Während die geförderten lokalen NGOs einerseits Hilfe bei der Landtiteleintragung leisteten, wurde die Dorfbevölkerung gleichzeitig in Fragen zur Gesundheit, zu landwirtschaftlicher Produktion und der Verbesserung der Ernährungssicherheit unterstützt.
Bei dem Projekt wird deutlich, dass es einen erheblichen Zusammenhang zwischen der Landtitelfrage und der Verbesserung der Lebensbedingungen in den indigenen Dörfern gibt. Die langfristige Präsenz der lokalen NGOs zeigt der Bevölkerung, dass sie im langen Prozess zwischen Antragstellung und Landtitelzuweisung nicht allein dasteht.
Soziale Landkonzessionen
Bei den sozialen Landkonzessionen handelt es sich um ein staatliches Programm, das 2007–2008 in mehreren Provinzen Kambodschas eingeleitet wurde und landlosen Familien kleine Einheiten von ein bis zweieinhalb Hektar Land kostenlos zur Verfügung stellen sollte. Die Bewerber mussten bestimmte Kriterien erfüllen, wozu Landlosigkeit und nachgewiesene Armut zählten. Die Landzuteilungen wurden dann unter allen eingegangenen Bewerbungen ausgelost. Dieses Verfahren wurde mit Unterstützung der Weltbank und von ihr beauftragten Durchführungsorganisationen eingeleitet.
Bei den Flächen handelte es sich fast immer um relativ geringwertiges Buschland, auf dem alle Nutzbäume bereits entfernt worden waren. Sie wurden grob planiert, und es wurden Zufahrtspisten gebaut, einige Brunnen wurde errichtet und ein Minimum an Baumaterial für Wohnhäuser bereitgestellt. Um jedoch die begehrten Landtitel definitiv zu erhalten, verlangten die Regeln, dass die Neubauern nach einem Jahr ihr Land größtenteils bestellt haben mussten. Später wurde diese Vorschrift auf fünf Jahre erweitert. Das löste aber auch das Grundproblem nicht, dass extrem arme Menschen keine finanziellen Reserven haben, um die Zeit zwischen dem Zuzug über Bodenbestellung und der Ernte finanziell zu überbrücken. Deshalb konnte kaum eine Familie ihr Neuland tatsächlich zügig unter den Pflug nehmen, da sie weiterhin auf das Einkommen aus der Lohnarbeit angewiesen blieb. Entsprechend konnten sich die meisten Haushalte nur kurzzeitig um die neuen Felder kümmern.
Vor diesem Hintergrund setzte 2014 ein deutsches Programm ein, das darauf abzielt, die Ansiedlung der Bauern nachhaltig zu unterstützen, und ihnen hilft, die Zeit bis zur Erreichung einer eigenständigen landwirtschaftlichen Produktion zu überbrücken. Das „Improvement of Livelihoods and Food Security Project“ (ILF) bietet den Bauern ein breites Spektrum: Es erlaubt den Familien, ihr neues Land zu bestellen und gleichzeitig vor Ort den Lebensunterhalt durch gemeinnützige Arbeiten zu verdienen, ohne dauernd zwischen alter und neuer Wohnstätte pendeln zu müssen.
Geräte wie Kleintraktoren, einfache Bewässerungseinrichtungen (Handpumpen und Schläuche beziehungsweise Rohrleitungen), Saatgut oder Setzlinge für Bäume, Zuckerrohr oder essbare Blätter liefernde Akazien sowie der Moringa-Baum sollen dabei für schnelle und zudem hochwertige Erträge sorgen, die sowohl zum Verzehr in den Familien als auch für den Markt geeignet sind. Material zur Anlage von Fischteichen, von kleinen Haus-Gemüsegärten oder die Lieferung von Hühner- und Entenküken haben die gleiche Funktion, nämlich den Familien Nahrung zu bieten und die Grundlage für einen landwirtschaftlichen Erwerb zu liefern. Training in Anbautechniken und Tierhaltung, die Beratung zur effektiveren Vermarktung der Produkte und zur Ernährungsverbesserung sollen dazu beitragen, dass alle Familien das ihnen zugeteilte Land tatsächlich nutzen können und damit die Voraussetzungen für die endgültige Eintragung ihrer Landtitel erhalten. Zwischenzeitlich beginnt auch der Staat, erste Schulen zu errichten.
Durch diese Maßnahmen nicht gelöst werden kann das Problem, dass die Qualität des zugeteilten Landes höchst unterschiedlich ist. Anstatt den Familien jeweils zwei der drei Einheiten verschiedener (guter und weniger guter) Qualität zuzuteilen, haben die einen Glück und erhalten ein Stück sehr gutes Land, die andern aber nur mittelmäßige Flächen.
Schlussfolgerungen
Das kambodschanische Beispiel ist hervorragend geeignet, drei grundsätzliche Schlussfolgerungen zur Verbindung der Landfrage mit Armutsbekämpfung und Verbesserung der Ernährungssicherheit abzuleiten:
- Die breite Absicherung von Landtiteln für bäuerliche Nutzer ist eine grundlegende Voraussetzung für die nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung in Ländern, die überkommende Landrechtssysteme verändern wollen. Wo Unsicherheit hinsichtlich der Landnutzungsrechte herrscht, wird einerseits von den „Noch-Nutzern“ nicht mehr in das Land investiert, andererseits ist die Folge von Rechtsunsicherheit immer Enteignung, Verdrängung und Verarmung der ländlichen Bevölkerung.
- Es besteht allerdings auch im Rahmen von Transformationsprozessen im Landrecht durchaus die Chance, mehr Menschen als bisher zu Landtiteln zu verhelfen, und zwar auch solchen Gruppen, die bisher landlos waren. Im kambodschanischen Fall betraf dies zwar bisher vorrangig nichtgenutztes Land, allerdings besteht derzeit auch die Chance, armen Familien Land aus nichtgenutzten (leider immer aber illegal durchforsteten) agroindustriellen Konzessionen zuzuteilen. Der entwicklungspolitische Dialog könnte entsprechend auch in Ländern wie Äthiopien, Indonesien oder Kenia dazu führen, strenger auf die tatsächliche Nutzung von erteilten Großkonzessionen zu achten und zumindest alle nicht genutzten Konzessionen wieder einzuziehen und das Land an Kleinbauern (zurück) zu verteilen. Die GIZ startet in Äthiopien derzeit ein Vorhaben, welches die Behörden in die Lage versetzen soll, die Verträge und Auflagen mit Landkäufern im Sinne der „Voluntary Guidelines“ (FAO, 2012) zu handhaben.
- Das Beispiel Kambodscha zeigt deutlich, dass es mit der Vergabe von Land allein nicht getan ist. Die Neubauern müssen sofort nutzbares Land erhalten, versehen mit der notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur. Zudem müssen sie eine finanzielle Überbrückung bekommen, die es ihnen ermöglicht, bis zum Verkauf der ersten Vollernte wirtschaftlich zu überleben. Da es vielen Familien auch an landwirtschaftlicher Erfahrung mangelt, ist zudem eine Aus- und Fortbildung wichtig, die auch so etwas wie finanzielle Kompetenz umfassen muss. Die Landvergabe muss gerecht und mit Blick auf die Nachhaltigkeit erfolgen, das heißt, die Größe der Flächen und die Qualität der Böden muss überall so beschaffen sein, dass die Bauern eine dauerhafte Existenz aufbauen können.
Frank Bliss ist Professor für Ethnologie an der Universität Hamburg und freier entwicklungspolitischer Gutachter.
bliss.gaesing@t-online.de
Karin Gaesing ist Geographin und Raumplanerin an der Universität Duisburg-Essen und freie entwicklungspolitische Gutachterin.
Quellen
Brot für die Welt, 2016: Land rights matter! Anchors to reduce land grabbing, dispossession, and Displacement.
https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analysis_60_Land-Policy-Study.pdf
CIA, 2017: World Factbook 2017.
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/
FAO, 2012: Voluntary guidelines on the responsible governance of tenure of lands, fisheries and forest in the context of national food security.
http://www.fao.org/docrep/016/i2801e/i2801e.pdf
Landmatrix, 2017:
http://www.landmatrix.org
Welthungerhilfe, 2016: Blogeintrag.
http://www.welthungerhilfe.de/blog/engagement-gegen-landraub-in-kambodscha/